Parlamentskorrespondenz Nr. 458 vom 27.04.2023

NEOS fordern in Dringlichem Antrag Maßnahmen gegen Personalnot

Debatte im Nationalrat über Arbeitskräftemangel

Wien (PK) – Die NEOS forderten heute im Nationalrat mit einem Dringlichen Antrag die Bundesregierung auf, dem Arbeitskräftemangel in Österreich "vehement" entgegenzutreten. Die grassierende Personalnot gefährde den Wohlstand, warnte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Versäumnisse der Bundesregierung sah Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher nicht. Für die nächste Hochkonjunktur gelte es, strukturell zu reagieren, etwa in Bezug auf Alterung, den Teilzeit-Trend sowie eine Branchen-Verschiebung.

In der anschließenden Debatte zeigten die Fraktionen den aus ihrer Sicht vorhandenen Handlungsbedarf auf. Die ÖVP als auch die FPÖ sprachen sich dafür aus, das Arbeitskräfte-Potenzial stärker auszuschöpfen. Die Freiheitlichen stellten sich zudem gegen eine weitere Zuwanderung. Die Sozialdemokrat:innen traten für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein. Die Grünen wiesen auf das Potenzial bei ausländischen Arbeitskräften und bei Frauen hin.

Der NEOS-Antrag, der in der Minderheit blieb, zielt insbesondere auf Reformen im Bereich von "Fehlanreizen im Abgaben- und Sozialsystem", auf das Thema Arbeitskräfte aus dem Ausland sowie auf Kinderbetreuung/Elementarbildung und Bildung bzw. Lehre ab. Der demografische Wandel sorge sonst dafür, dass laut Schätzungen bis 2040 über 360.000 Arbeitskräfte fehlen würden.

Kritisiert werden im Antrag Fehlanreize und politische Untätigkeit. So sei Vollzeitarbeit in Österreich sehr hoch besteuert, zudem sei das Land hinsichtlich Zuwanderung wenig attraktiv für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Zu einem mangelhaften Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten komme außerdem ein "Mismatch" im Bereich der Bildung hinzu, wo etwa die Lehre immer weniger in Anspruch genommen werde. Die NEOS fordern dazu unter anderem eine Senkung der allgemeinen Abgabenlast auf Arbeit, eine Einwanderungsstrategie nach kanadischem Vorbild zur Vereinfachung der Anwerbung von Fachkräften, attraktivere Arbeitsbedingungen in der Kinderbetreuung bzw. einen schrittweisen Rechtsanspruch für einen Kinderbetreuungsplatz sowie eine Flexibilisierung der Lehrausbildung, Förderung der Nach- und Neuqualifikation und Selbsterhalter-Stipendien auch für Berufsausbildungen.

Meinl-Reisinger: Grassierende Personalnot gefährdet Wohlstand

Die grassierende Personalnot sei nicht mehr nur eine Problematik für Betriebe, sondern betreffe alle Bereiche und gefährde massiv den Wohlstand und das Wohlergehen in Österreich, warnte Beate Meinl-Reisinger (NEOS). In Österreich seien doppelt so viele Stellen unbesetzt als im EU-Durchschnitt, die Zahl nähere sich mittlerweile an die Arbeitslosenzahlen an. Es brauche jetzt echte Lösungen und nicht nur leere Worte, so Meinl-Reisinger. Sie kritisierte die Bundesregierung, nicht nur nicht ihren Job zu machen, sondern die Situation noch zu verschlimmern, etwa durch das Schengen-Veto und mit Abschiebungen jener, die Leistungen erbringen. Auch die Rot-Weiß-Rot-Karte sei weit von "unbürokratisch" entfernt und ein Tropfen auf den heißen Stein.

"Absandeln" würde dadurch sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch der Wirtschaftsstandort sowie das Gesundheitssystem und das Bildungssystem. Es sei hoch an der Zeit, dem Thema jene Priorität einzuräumen, die es brauche. Zu den vier Vorschlägen der NEOS ergänzte Meinl-Reisinger, dass nicht Teilzeitarbeitende bestraft werden sollten, sondern dass sich Mehrleistung auszahlen müsse. Beim Punkt Einwanderung kritisierte sie die Bürokratie, die Dauer der Verfahren und eine fremdenfeindliche Politik. So stehe für Hochqualifizierte das Zielland Österreich an vorletzter Stelle. Zwei Drittel aller Mangelberufe seien außerdem Lehrberufe, pochte Meinl-Reisinger auf eine Aufwertung der Lehre.

Kocher: Personalmangel derzeit etwas entschärft

Das Thema Arbeitskräfte sei wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand, räumte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher ein. Die großen Versäumnisse der Bundesregierung sehe er allerdings nicht. Im Hinblick auf die Konjunktur habe sich derzeit der Personalmangel etwas entschärft. Für die nächste Hochkonjunktur gelte es, strukturell zu reagieren, etwa in Bezug auf Alterung, den Trend zur Teilzeit sowie eine Verschiebung in den Branchen. An bereits gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung zur Entlastung von den Abgaben nannte Kocher etwa die ökosoziale Steuerreform, die Abschaffung der kalten Progression und eine Lohnnebenkostensenkung. Er räumte aber ein, dass es hier weitere Maßnahmen brauchen werde.

Was die Lehre betrifft, nannte er unter anderem die neue Pflegelehre als Beitrag. Derzeit sei ein Anstieg an Lehrlingen zu verzeichnen und es gebe in Österreich eine konstant hohe Quote in der Lehre im Vergleich mit anderen Ländern. Bei der Rot-Weiß-Rot-Karte verzeichne man mittlerweile einen Anstieg der Bewilligungen um 50 Prozent, so der Minister. Einen Ausbau der flächendeckenden Kinderbetreuung bezeichnete Kocher als unabdingbar und entscheidenden Faktor, um allen die Wahlmöglichkeit zu geben. Es sei die gemeinsame Aufgabe von Sozialpartnern, Politik und Gebietskörperschaften, auf ausreichend Arbeitskräfte zu achten. Er zeigte sich überzeugt, dass diese Herausforderung machbar sei, wenn man gemeinsam auf allen Ebenen ansetze.

NEOS: Zu viele Anreize für Teilzeitarbeit

"Die Hütte brennt", meinte Gerald Loacker (NEOS) zu der aktuellen Lage am Arbeitsmarkt. Ein Auslöser für diese Situation sei, dass Teilzeitarbeit hierzulande "belohnt" werde. So gebe es im Steuer- und im Pensionssystem Anreize, welche die Menschen nicht motivieren, mehr zu arbeiten. Zudem bemängelte Loacker mittels eines im Zuge der Debatte eingebrachten Entschließungsantrags, der in der Minderheit blieb, die ungenügende Datenlage über die Wochenarbeitszeiten der Beschäftigten. Eine Verbesserung sei notwendig, um gezieltere Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel und gegen den "Teilzeitboom" setzen zu können, forderte der NEOS-Mandatar eine Erfassung im Zuge der monatlichen Abgabenmeldungen der Unternehmen. Die jährlich 6.000 Rot-Weiß-Rot-Karten seien bei 200.000 offenen Stellen lediglich ein "Tropfen auf den heißen Stein". Die Verfahren dafür seien zudem zu bürokratisch und zu lange, bemängelte Loacker. Österreich habe zudem eine zu hohe Abgabenquote und zu viele Mittel würden im System "versickern".

Die Vorschläge der NEOS würden darauf abzielen, dass kleinere und mittlere Einkommen ansteigen und mehr bei den Menschen ankommt, erklärte Michael Bernhard (NEOS). Viele ausländische Arbeitskräfte seien auch deswegen nicht nach Österreich zurück gekommen, da sie in anderen Ländern netto mehr verdienen könnten. Der Fachkräftemangel sei ein Lehrlingsmangel. Zwei Drittel aller Berufe in der Mangelberufsliste seien Lehrberufe, forderte Yannick Shetty (NEOS) eine Reform und Attraktivierung der Lehre. Den Personalmangel in Schulen und Kindergärten gebe es "nicht erst seit gestern" betonte NEOS-Mandatarin Martina Künsberg Sarre. Gerade in der Elementarpädagogik gelte es, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, um genügend Personal zu bekommen und somit vor allem Frauen eine Vollzeitarbeit zu ermöglichen.

ÖVP: Arbeitskräfte-Potenzial stärker ausschöpfen

Das Arbeitsmarkt-Thema sei ein "brennendes", meinte Michael Hammer (ÖVP). Die Bundesregierung habe aus diesem Grund sehr viele Anstrengungen unternommen, um auf den Fachkräftemangel zu reagieren. Es sei eine gute Wirtschaftspolitik gemacht worden. Diese sei für die sehr niedrigen Arbeitslosenzahlen und die gute Wirtschaftsentwicklung verantwortlich. Die Beschäftigung sei hoch, das Beschäftigungsausmaß sei aber zurück gegangen, berichtete Hammer und trat für einen Mix an Maßnahmen ein. So müsse das Arbeitskräfte-Potenzial stärker ausgeschöpft, das Beschäftigungsausmaß erhöht und qualifizierte Zuwanderung ermöglicht werden. Es brauche Anreize, damit sich Vollzeitarbeit mehr lohnt, meinte er. Zudem brauche es eine Reform des Arbeitslosengeldes, damit wieder mehr Menschen in Beschäftigung gebracht werden. Im Bereich der Kinderbetreuung sprach sich Hammer für Wahlfreiheit aus. Da nicht überall das Kinderbetreuungsangebot in gleichem Maße angenommen wird, brauche es einen "bedarfsgerechten" Ausbau. Das Instrument der Rot-Weiß-Rot-Karten "greife", die Prozesse dahinter sollten aber beschleunigt werden. Betriebe und Österreich, aber nicht die "Schleppermafia", sollten entscheiden, welche Arbeitskräfte nach Österreich kommen, meinte Hammer.

Den medial kolportierten Vorschlag der SPÖ nach einer Arbeitszeitverkürzung angesichts der benötigten 250.000 Arbeitskräfte kritisierte Maria Theresia Niss (ÖVP). Man müsse vielmehr überlegen, wie Menschen mehr arbeiten können und Potenziale heben. Mehr Frauen von Teilzeit in Vollzeit zu bringen, forderte auch Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP). Das fehlende Kindergarten-Personal sei dabei eine Herausforderung. Zudem trat die Abgeordnete für eine Reform des Arbeitslosengeldes und Maßnahmen ein, damit ältere Arbeitnehmer:innen länger im Arbeitsprozess bleiben können.

SPÖ: Verbesserung der Arbeitsbedingungen notwendig

Lehrlinge seien eine der wichtigsten Gruppen bei den Arbeitnehmer:innen, meinte Rainer Wimmer (SPÖ). Dennoch seien Lehrwerkstätten geschlossen worden und viele Betriebe würden nicht mehr ausbilden. Für ein besseres Image brauche es unter anderem eine bessere Entlohnung. Branchen, die eine gute Entlohnung vorweisen, hätten keine Probleme, Personal zu finden. Handlungsbedarf ortete Wimmer bei der "viel zu kleinen" Umweltstiftung. Ebenso ausbaufähig sei das Kinderbetreuungs-Angebot. Hier wäre man weiter, wenn die ÖVP nicht blockiert hätte. Es sei seitens der letzten Regierungen nichts unternommen worden, um die Arbeitswelt zu verbessern, sondern man habe mit der Verlängerung der Arbeitszeit, der Feiertags-Streichung und der Aufgabe des Kampfes gegen Sozialdumping das Gegenteil gemacht. Mit einer aktuellen Verordnung ermögliche man zudem eine sehr schlechte Unterbringung von Landarbeiter:innen. Dies grenze an "Sklaven-Halterei", kritisierte Wimmer.

In einem Land, wo einem Ablehnung und Hass entgegen "schwappen", wollen Arbeitskräfte nicht hingehen, kritisierte Christoph Matznetter (SPÖ) die Migrationspolitik der FPÖ und warnte davor, dass qualifizierte Arbeitskräfte dadurch von einer Beschäftigung in Österreich abgehalten würden. Es brauche bessere Arbeitsbedingungen, bessere Arbeitszeitmodelle, höhere Bezahlung und den Ausbau der Kinderbetreuung, forderte Cornelia Ecker (SPÖ). Die Bundesregierung habe die arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen "verschlafen" und einen verantwortungslosen Umgang mit den Facharbeitskräften gepflegt, zeigte sich Klaus Köchl (SPÖ) überzeugt.

FPÖ: Eigenes Potenzial an Arbeitskräften vor weiterer Zuwanderung ausschöpfen

Es müsse das "eigene" Potenzial an Arbeitskräften ausgeschöpft werden, bevor weitere Zuwanderung ermöglicht werde, forderte Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Das Problem sei, dass zu wenige junge Menschen eine Lehre machen wollen. Dies sei die Folge einer verfehlten Politik der letzten Jahrzehnte. So sei etwa das Schulsystem "zu Tode" reformiert worden. Als Folge könnten viele Schulabgänger:innen nicht sinnerfassend lesen und die Grundrechnungsarten beherrschen. Zudem würden Kinder von Zuwander:innen aufgrund ihrer mangelnden Deutsch-Kenntnisse in vielen Schulen ein Problem darstellen. Viele von ihnen seien nicht Willens, Deutsch zu lernen. Belakowitsch sprach sich gegen eine weitere Zuwanderung aus. Letztes Jahr habe es 120.000 Asylwerber:innen gegeben, von denen vermutlich 80-90.000 bleiben werden und in fünf Jahren vermutlich nur eine Handvoll im Arbeitsmarkt integriert sein wird. Zudem kritisierte die Freiheitliche, dass die Anforderungen der Rot-Weiß-Rot-Karte "herunter geschraubt" wurden. Hinsichtlich der Debatte um den Ausbau der Kinderbetreuung und der Reduktion von Teilzeit betonte Belakowitsch, dass sie keiner Mutter vorschreiben wolle, ob und in welchem Ausmaß diese arbeiten solle. Vielmehr solle man gegen den Missbrauch von Teilzeitbeschäftigung durch Konzerne vorgehen.

Gegen die Zuwanderung von "unqualifizierten" Menschen wandte sich Peter Wurm (FPÖ). Auch sein Fraktionskollege Christian Lausch sah in den vorgeschlagenen Erleichterungen für ausländische Arbeitskräfte lediglich ein "Kaschieren des jahrzehntelangen arbeitsmarkt-politischen Versagens" von ÖVP und SPÖ. Viele Anregungen der NEOS, wie die Senkung der Abgabenlast auf den Faktor Arbeit, hätten durchaus ihre Berechtigung, erklärte Hannes Amesbauer (FPÖ).

Grüne: Ökonomisches Potenzial von Frauen und ausländischen Arbeitskräften

Die Situation sei aufgrund des Personalmangels in vielen Bereichen schwierig, meinte Jakob Schwarz (Grüne). So sei die grüne Wende aufgrund der Personalknappheit und des damit verbundenen geringeren Tempos gefährdet. Hinsichtlich der NEOS-Vorschläge zum Ausbau der Kinderbetreuung und der Zuwanderung signalisierte Schwarz Zustimmung. Deren Vorschläge zum Abgabensystem, insbesondere den Fokus auf höhere Einkommensschichten, hinterfragte der Grünen-Budgetsprecher allerdings. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Entlastung niedriger Einkommen seien verteilungspolitisch wichtig. Zudem kritisierte er die angestrebte Senkung der Lohnnebenkosten, da eine solche auch Folgen auf die Leistungen des Staates hätten.

Barbara Neßler (Grüne) betonte das ökonomische Potenzial von ausländischen Arbeitskräften und von Frauen, das es angesichts des Fachkräftemangels zu nutzen gelte. Dafür brauche es einerseits eine Umstiegsmöglichkeit von der "Asylschiene" auf die Rot-Weiß-Rot-Karte und andererseits eine flächendeckende, ganzjährige Kinderbetreuung. Gerade in letzterem Bereich habe die Bundesregierung mehr geleistet, "als je eine Regierung zuvor", wie Sibylle Hamann (Grüne) auf verschiedene elementarpädagogische Ausbildungsprogramme verwies. Insgesamt sei der Arbeitskräftemangel gesamtgesellschaftlich ein Problem. Positiv sei aber, dass sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt habe, meinte Elisabeth Götze (Grüne). (Fortsetzung Nationalrat) mbu/pst/wit

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