Parlamentskorrespondenz Nr. 627 vom 06.06.2023
Kinderrechte in Österreich: Rechtlich stark verankert, aber Umsetzung noch nicht in allen Bereichen gegeben
Wien (PK) - Einen Fünf-Punkte-Forderungskatalog legt das "Kinderrechte-Volksbegehren" vor, das österreichweit von 172.015 Personen unterzeichnet wurde (1796 d.B.). Nach einer Ersten Lesung im Nationalrat wurden die Forderungen des Volksbegehrens im Rahmen eines Hearings mit Expert:innen und Vertreter:innen aus den betroffenen Ressorts vom Familienausschuss weiter behandelt. An dem Hearing nahmen auch Familienministerin Susanne Raab sowie Vertreter:innen des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, des Justizministeriums sowie des Bildungsministeriums teil.
Das Volksbegehren formulierte fünf Punkte, in denen aus Sicht der Initiator:innen noch Handlungsbedarf besteht und deren Umsetzung überfällig ist. So solle die vollständige UN-Kinderrechtskonvention in den Verfassungsrang gehoben, eine staatliche Unterhaltsgarantie eingeführt und das Kinderbetreuungsgeld signifikant erhöht werden. Auch müsse eine tägliche Turnstunde an Schulen realisiert und der Import von Produkten, die mit Kinderarbeit in Zusammenhang stehen, verboten werden.
Zu dem Hearing waren Lukas Papula als Bevollmächtigter sowie Madeleine Kreuzer und Viktoria Hofer als seine Stellvertreter:innen eingeladen. Papula meinte, seit der Einreichung des Volksbegehrens sei in einigen Bereichen durchaus etwas passiert, es gebe aber noch immer offene Punkte, etwa bei der Umsetzung einer Unterhaltsgarantie, der vollständigen Umsetzung der UN-Kinderrechts-Charta und dem tatsächlichen Verbot von Produkten aus Kinderarbeit. Kreuzer sah im Volksbegehren eine Aufforderung zum Handeln an die politischen Entscheidungsträger:innen.
Als Expert:innen waren Alexandra Lugert (Österreichischer Familienbund), Erich Fenninger (Volkshilfe Österreich), Caroline Culen (Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit), Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez (Netzwerk Kinderrechte) sowie der Schüler Tom Seliger in den Ausschuss eingeladen worden. Sie gaben den Abgeordneten Auskunft über aktuelle Entwicklungen, wiesen auf offene Fragen hin und formulierten Anregungen. Nach der Diskussion im Familienausschuss wird das Volksbegehren noch vom Nationalratsplenum behandelt werden.
Statements der Expert:innen verweisen auf Umsetzungsbedarf in vielen Bereichen
In den einleitenden Statements der Expert:innen wurden vor allem Fragen, welche die Zukunftsperspektiven der nächsten Generation berühren, thematisiert. Angesprochen wurden etwa der Klimaschutz und das Recht auf eine gesunde Umwelt, gleichberechtigter Zugang zu Angeboten der Gesundheit und Bildung, sowie eine Reihe sozialer Fragen. Der Bogen spannte sich von Verhinderung der Kinderarmut über Kinderschutzstandards bis zum Umgang mit geflüchteten Kindern und der Inklusion von Kindern mit Behinderungen.
In den darauffolgenden Wortmeldungen der Abgeordneten des Familienausschusses kam ein Konsens über die Wichtigkeit der Anliegen von Kindern und Jugendlichen zum Ausdruck. Die Mandatar:innen dankten den Initiator:innen und Unterstützer:innen des Volksbegehrens dafür, wichtige Themen in den Fokus der Politik gerückt zu haben. Für die angebotenen Lösungsvorschläge und Anregungen interessierten sich Gudrun Kugler und Johanna Jachs (beide ÖVP), Eva Maria Holzleitner, Maximilian Köllner, Christian Oxonitsch und Petra Wimmer, (alle SPÖ), Rosa Ecker (FPÖ), Barbara Neßler (Grüne), Michael Bernhard und Helmut Brandstätter (beide NEOS).
Lugert: Resilienz von Eltern und Kindern stärken
Alexandra Lugert (Bundesgeschäftsführerin des Österreichischen Familienbundes) hielt es für besonders wichtig, Eltern Zeit für die Erziehungsarbeit zu ermöglichen und sie und ihr Umfeld zu stärken. Dazu müssten sie die notwendigen Ressourcen erhalten. Kampf gegen die Kinderarbeit müsse vor allem auch die Ursachen bekämpfen, also die Armut der Familien. Die Unterhaltsgarantie sah sie skeptisch, man solle aber Lücken im bestehenden System des Unterhaltsvorschusses schließen.
Als wichtige Maßnahme betrachtet Lugert eine Ausweitung von Angeboten der Elternbildung. Viele Probleme, etwa auch mit Gewalt in Familien, seien auf Überforderung zurückzuführen. Sie begrüße es daher, dass dem Thema Elternberatung im Eltern-Kind-Pass Aufmerksamkeit geschenkt werde. Wichtig sei es auch, die Medienkompetenz von Eltern zu erhöhen, damit diese wissen, welchen Gefahren ihre Kinder in den Sozialen Medien ausgesetzt sind.
Fenninger: Kindergrundsicherung mindert Sorgenlast von Familien
Erich Fenninger von der Volkshilfe Österreich wies auf die Auswirkungen der Teuerung hin, die dazu führe, dass 36 % der österreichischen Haushalte über Einkommensverluste berichten. Vor allem steigende Lebensmittelpreise würden dazu führen, dass an anderen Stellen gespart werde, oft auf Kosten der sozialen Teilhabe. Für sozial schwächere Familien sei ein gutes Angebot an öffentlicher Infrastruktur besonders wichtig. Kinderarbeit sei auch in Europa und sogar in Österreich zu finden und stehe mit Armut und Ausgrenzung in einem ursächlichen Zusammenhang.
Fenninger sah einen starken Anstieg von Depressionen unter Kindern und Jugendlichen. Diese hätten zum einen mit allgemeinen Zukunftsängsten zu tun, aber auch damit, dass die Schule nicht als Schutzraum erlebt werde, sondern als Ort eines hohen Erwartungsdrucks. Sehr viel an Belastungen ließen sich von Kindern und Jugendlichen nehmen, wenn die materielle Absicherung gegeben sei. Fenninger berichtete von positiven Ergebnissen bei Versuchen mit einer Kindergrundsicherung. Werde die extreme Sorgenlast von den Eltern genommen, wirke sich das auch auf die Kinder in vielfältiger Weise aus. Sie zeigten bessere Schulerfolge und auch chronische Krankheiten würden weniger oft auftreten.
Seliger: Aktiv auf Jugendliche zugehen
Tom Seliger berichtete aus seiner eigenen Erfahrung als Schüler der Internationalen Schule Kufstein und sah es als besonders wichtig an, mehr Sport und Bewegung im Schulalltag anzubieten. Damit könne neben gesundheitlichen Vorteilen auch erreicht werden, dass der Schulalltag als angenehmer empfunden werde. Seliger war es auch ein besonderes Anliegen, dass der Konsum von Luxusgütern nicht auf Kosten von Kindern in anderen Länder gehen dürfe.
Die positiven Auswirkungen von Sport auf die physische wie mentale Gesundheit wurde durch Studien klar belegt, sagte Seliger. Im Laufe der Pandemie seien die psychischen Belastungen von Jugendlichen stark gestiegen. Er selbst habe unter seinen Altersgenoss:innen beobachten können, dass viele von ihnen sich stark zurückgezogen hätten und die Isolation auch zu weiteren Problemen, etwa Alkoholmissbrauch, geführt habe. Bewährt habe es sich aus seiner Sicht, Psycholog:innen in die Schulen zu bringen, wobei es wichtig sei, dass diese auch aktiv auf die Jugendlichen zugehen können.
Schaffelhofer-Garcia Marquez: Kinderschutz braucht umfassendes Konzept
Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez, Netzwerk Kinderrechte Österreich, betonte, dass Kinderrechte kein parteipolitisches Thema seien, sondern als Teil der Menschenrechte alle angehen. Das Netzwerk Kinderrechte weise seit 1998 auf Probleme und offene Fragen hin. Kindern sei es wichtig, Gleichheit und Gleichstellung zu erleben. Reformbedarf sah die Expertin hier bei Staatsbürgerschaft und Wahlrecht, dem Kampf gegen Kinderarmut und der Treffsicherheit der Familienleistungen. Auch der Schutz vor Gewalt müsse verbessert und der Klimaschutz ernst genommen werden.
Die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Kinderschutzpakets sei wichtig, da ein ressortübergreifender Ansatz notwendig sei. Wichtig sei es auch, Lehrer:innen entsprechende Ressourcen zu geben, damit sie Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen setzen können. Hier gehe es um Gewalt in den verschiedensten Formen, nicht nur um sexualisierte Gewalt, die man mit dem Kinderschutzpaket thematisieren könne. Für die Expertin von Bedeutung sei auch, dass Kinder und Jugendliche in alle Konzepte eingebunden werden und ihre Sichtweise der Probleme berücksichtigt wird. Klimaschutz sei für Kinder und Jugendliche ein Thema, weil hier das Recht auf eine gesunde Umwelt und ein gesundes Aufwachsen direkt berührt werden.
Culen: Rechte zwar grundsätzlich gesichert, aber Mängel der konkreten Umsetzung
Caroline Culen (Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit), sah Probleme weniger bei der rechtlichen Verankerung der Kinderrechte, etwa im Bundesverfassungsgesetz Kinderrechte, als bei der realen Umsetzung. Für gesunde Ernährung oder Bewegung und Sport gebe es beispielsweise Nationale Aktionspläne, allerdings seien viele Maßnahmen nicht realisiert. Kinder müssten auch gehört werden, dazu könne ein Kinderbeirat beitragen.
Auf die Fragen der Abgeordneten, wo Problemfelder bestehen, wies sie darauf hin, dass vor allem für Kinder mit Behinderungen oder seltenen Krankheiten die Bildungsteilhabe nicht gesichert sei. Oft stellte schon die fehlende Barrierefreiheit von Bildungseinrichtungen ein Problem dar. Im Gesundheitsbereich wäre das Angebot an kostenlosen Therapien auszuweiten, außerdem fehle es an Kassenärzt:innen, vor allem auch für die Versorgung bei psychischen Problemen. Auch müsse das Wissen um Kinderrechte erweitert werden. Frühzeitige politische Bildung sei angesichts eines Wahlalters von 16 Jahren ebenfalls wichtig, damit Jugendliche informierte Entscheidungen treffen können.
Raab: Werde mich Verbesserungen bei Kinderrechten nicht verschließen
Familienministerin Susanne Raab begrüßte es, dass das Volksbegehren wichtige Themen ihres Ressorts aufgegriffen und die öffentliche Aufmerksamkeit darauf gelenkt habe. Österreich biete ein dichtes Netz an sozialer Unterstützung für Kinder und Familien an, um ihnen bestmögliche Rahmenbedingungen zu geben, und liege bei den Familienleistungen international im Spitzenfeld. Mit der Valorisierung der Familienleistungen habe die Bundesregierung zuletzt einen wichtigen Erfolg im Kampf gegen die Teuerung erzielt. Mit dem geplanten weiteren Paket zur Bekämpfung der Kinderarmut wolle man die Treffsicherheit der Maßnahmen noch weiter erhöhen. Im Bereich des Kinderschutzes führe sie Gespräche mit Justizministerin Alma Zadić, zudem stehe sie laufend in Verhandlungen mit den Ländern. Ein Erfolg sei, dass der Bund im Rahmen einer 15a-Vereinbarung sich erstmals an der Finanzierung von Schutz- und Übergangswohnungen beteiligen werde.
Die bestmögliche Umsetzung des Kinder- und Jugendschutzes sei für sie ein zentrales Anliegen, betonte die Ministerin. Daher evaluiere man die Umsetzung der Kinder- und Jugendrechte. Wenn sich dabei Verbesserungsbedarf zeigen sollte, werde sie sich diesem nicht verschließen, betonte die Familienministerin. Sie unterstütze auch den Kampf gegen Kinderarbeit in vollem Umfang.
Stellungnahmen zu den Anliegen des Volksbegehrens wurden auch von Vertreter:innen der angesprochenen Ressorts abgegeben. So wies Brigitte Ohms vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts darauf hin, dass Österreich die Kinderrechte weit umfassender als andere Staaten in der Verfassung berücksichtige. Wenn es um Verbesserungen gehe, so sehe sie diese in erster Linie in der Sicherstellung der Umsetzung dieser Rechte.
Peter Barth nahm seitens des Justizministeriums Stellung zur Weiterentwicklung des Kindschaftsrechts. Was die geforderte Unterhaltsgarantie angehe, so arbeite man daran, Lücken in der Regelung des Unterhaltsvorschusses zu schließen und auf diese Weise sicherzustellen, dass alle erdenklichen Problemfälle gelöst werden können.
Doris Wagner berichtete als Vertreterin des Bildungsministeriums über die Verankerung der Gesundheitsförderung in den Lehrplänen der Schulen. Dieser liegt ein übergreifendes Konzept zugrunde, mit dem man einen Kulturwandel in den Schulen erreichen wolle. (Schluss Familienausschuss) sox
HINWEIS: Das Hearing des Familienausschusses konnte auch via Livestream mitverfolgt werden und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.