Parlamentskorrespondenz Nr. 696 vom 20.06.2023

Politik am Ring: Klima in Not. Wie will Österreich seine Klimaziele erreichen?

Parlamentsfraktionen diskutierten den Stand der Maßnahmen zum Stopp des Klimawandels in Österreich

Wien (PK) – Vor dem Hintergrund der allseits bekannten Aktionen von Klimaklebern sowie der andauernden öffentlichen Diskussion zur Klimakrise ist es fraglich, ob die von Österreich gesetzten Maßnahmen diesem wichtigen Thema gerecht werden und in der Lage sind, diesbezüglich eine rasche, aber auch nachhaltige Verbesserung der Situation herbeizuführen. Ein neues Klimaschutzgesetz ist nach wie vor nicht beschlossen und das Klimaziel Österreichs bis 2030 scheint aus heutiger Sicht ebenso außer Reichweite zu sein wie die angepeilte Klimaneutralität bis 2040.

Um einen Überblick über die derzeitige Situation gewinnen zu können, diskutierten gestern in der Internet-TV-Sendung Politik am Ring unter der Moderation von Gerald Groß Vertreter:innen der fünf Parlamentsfraktionen mit der Rechtsanwältin Michaela Krömer und mit Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Universität für Bodenkultur Wien.

Technologieoffenheit und alternative Energien

Es gebe mit konkreten Maßnahmen hinterlegte Regierungsarbeit, führte ÖVP-Abgeordneter Joachim Schnabel aus und verwies darauf, dass etwa der öffentliche Verkehr massiv ausgebaut und das nationale Klimaticket eingeführt worden seien. Er zeigte sich überzeugt, dass mit Technologieoffenheit und alternativen Energien die Erreichung der Klimaziele nach wie vor möglich sei, und dies nicht nur in Österreich, sondern auch auf europäischer und internationaler Ebene. Demgegenüber äußerte sich Abgeordneter Lukas Hammer, Umweltschutzsprecher der Grünen, mit einer ambivalenten Einschätzung: Einerseits habe ihm zufolge keine vorherige Koalition so viel für den Klimaschutz getan, andererseits würden das Ambitionsniveau und das derzeitige Tempo nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Es sei aber technisch möglich, wenn gleichzeitig sozialer Ausgleich geschaffen werde und es darüber Konsens im Parlament geben würde.

Österreich werde es nicht schaffen, das selbst gesetzte Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, zu erreichen, kritisierte der Umwelt- und Klimaschutzsprecher der NEOS, Abgeordneter Michael Bernhard. Österreich liege diesbezüglich innerhalb der Europäischen Union weit abgeschlagen. Ein Grund dafür sei, dass in der Klimadiskussion Ideologie sehr oft über die Wirksamkeit gestellt werde, es brauche mehr Kompromissbereitschaft vonseiten der Regierungsfraktionen. Abgeordneter Walter Rauch, Umweltsprecher der FPÖ, sah ebenfalls eine ideologisch behaftete Thematik, wies aber zusätzlich darauf hin, dass die bislang gesetzten Maßnahmen wirtschaftsstandortfeindlich seien und zur Belastung der Bevölkerung in vielen Bereichen ihrer Lebensrealitäten führten. Als Beispiele führte er die CO2-Steuer und die Normverbrauchsabgabe bei Pkw und kleinen Lkw an.

Die Umwelt- und Klimasprecherin der SPÖ, Abgeordnete Julia Elisabeth Herr, gab zu bedenken, dass schon im Jahr 2019, beim damaligen Beschluss des Nationalen Energie- und Klimaplans, klar gewesen sei, dass dieser Plan nicht ausreiche und die Klimaziele damit verfehlt werden würden. Ein Klimaschutzgesetz sei seit 900 Tagen überfällig, damit sei Österreich das einzige Land in der Europäischen Union, das keine nationalen gesetzlichen Klimaziele definiert habe, so Herr. Die SPÖ habe immer gesagt, sie würde es unterstützen, das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen – dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass zeitgleich Antiteuerungsmaßnahmen umgesetzt würden.

Expert:innen mit Kritik an Regierungsparteien

Michaela Krömer, Rechtsanwältin und ausgebildete Wirtschaftsmediatorin, zeigte sich überzeugt, dass die Politik die Zeit "verschlafen" habe, um die Erreichung der Klimaziele noch zu ermöglichen. Aus rechtlicher Sicht brauche es Rahmenbedingungen, es brauche ein Klimaschutzgesetz – dies deshalb, um Maßnahmen zu bündeln, sie wissenschaftlich überprüfbar zu machen und um rechtliche Beschwerdemechanismen zu ermöglichen. Ihrer Ansicht nach, so die Expertin, erfordere dies die Bundesverfassung, weil in der derzeitigen Situation Grund- und Menschenrechte bedroht und verletzt seien.

Krömer berichtete weiters, sie vertrete als Rechtsanwältin zwölf Kinder zwischen fünf und 16 Jahren, die eine Klimaklage vor dem Verfassungsgerichtshof gegen die Republik führten, und erklärte, dass es sich dabei rein technisch nicht um eine Klage, sondern um einen Individualantrag handle. Mit diesem wende sie sich an den Verfassungsgerichtshof als "negativen Gesetzgeber", der Passagen aus dem Gesetz hinausstreichen könne, durch welche die Kinder in ihren Verfassungsrechten verletzt würden. Diese Kinder würden aufgrund von fehlenden Klimaschutzmaßnahmen ihre Zukunft als gefährdet sehen. Auf die Frage von Moderator Groß, wann mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu rechnen sei, antwortete Krömer, dass es jedenfalls noch in diesem Jahr – Juni oder September – eine Entscheidung geben werde.

Einen Blickpunkt aus Sicht der Wissenschaft brachte Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Boku Wien, ein, der meinte, die Diskussion sei von Fakten weit entfernt. Es hätte in den vergangenen drei Jahren zwar eine bessere Klimapolitik gegeben, aber bei konkreten Maßnahmen, wie etwa Tempo 100 auf Autobahnen oder einem Gesetz zur Förderung des Heizungstausches, hätten die Regierungsparteien "gepasst". Die Emissionsbilanz zeige klar, dass die Emissionen in Österreich pro Jahr nur um 2 bis 3 Prozent sinken würden, vorgesehen seien aber 6 Prozent; da tue sich, so Steurer, eine nicht mehr schließbare Lücke auf, wenn man noch ein Jahr länger zuwarte.

Steurer relativierte auch die Möglichkeiten der von Abgeordnetem Schnabel angesprochenen Technologieoffenheit, da diese an physikalische Grenzen stoßen können. Es sei zu bedenken, dass der Einsatz von Technologien, wie zum Beispiel der Ersatz von konventionellen Energien durch Wasserstoff, nicht in allen Bereichen gleich erfolgversprechend sei, wie die ÖVP das zu vermitteln versuche. In Richtung Abgeordnetem Rauch betonte Steurer, dass Klimaschutz weder wirtschafts- noch wettbewerbsfeindlich sei. Als Beispiel nannte er die deutsche Automobilindustrie, die gegenüber China aufgrund des verspäteten Technologiewandels hin zum Elektroauto heute klare Wettbewerbsnachteile hätte.

Ideologie und Werte in der Klimadebatte

Zu kritisieren sei auch der Vorwurf ideologischer Argumentation, so Steurer. Er bezeichnete es als "absurd", dass SPÖ-Vorsitzendem Babler ein marxistisches Weltbild unterstellt würde, nur weil sich dieser für die Einführung von Tempo 100 ausspreche.

In einer Replik auf die Aussagen von Steurer widersprach Abgeordneter Schnabel und betonte, dass viele moderne Errungenschaften auf Technologieoffenheit basierten, die sehr wohl dem Klima zuträglich seien.

Abgeordneter Bernhard brachte im Zusammenhang mit dem Begriff Ideologie die Wertehaltung in die Diskussion ein, da es einen Unterschied mache, wie Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden. Die Zielsetzung sei zwar die gleiche, trotzdem seien die möglichen Instrumente unterschiedlich. Es brauche etwa, so der NEOS-Abgeordnete, nicht automatisch den Klimabonus, wenn man eine CO2-Steuer einführe.

Zum Thema Tempo 100 merkte Abgeordneter Rauch an, es sei aufgrund der Technologie und der Entwicklung der Fahrzeuge heute vernachlässigbar, ob man mit 100 oder mit 130 km/h fahre, und auch der Treibstoffverbrauch sei erheblich zurückgegangen. Zudem stelle er sich die Frage, wer denn freiwillig mit dem Auto fahre, wenn er nicht müsste. Dem stimmte Abgeordneter Hammer zu und meinte, dass man deshalb Alternativen zum Auto schaffen müsse. In der SPÖ sei Tempo 100 ein emotionales und kontrovers diskutiertes Thema, konstatierte Abgeordnete Herr und unterstrich ihre Ansicht, dass große Teile der Bevölkerung für eine Verkehrs- und Temporeduktion seien.

Transformation der Industrie

Im Regierungsprogramm ist festgelegt, dass die CO2-Emissionen, die bei der Zementproduktion entstehen, bis 2040 auf null reduziert werden müssen. Eine Lösung, CO2 abzuscheiden, ist das sogenannte Carbon Capture, wobei Transport und Einlagerung von CO2 in Österreich verboten sind. Experte Reinhard Steurer machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Klimawissenschaftler im Gebäudebau – auch im mehrgeschossigen – in Holz eine gute Lösung dieses Problems sehen würden, da Holz eine CO2-Senke sei und CO2 dadurch dauerhaft gebunden würde.

Das Thema Transformation der Industrie sei ein sehr wichtiges, hielt Abgeordneter Hammer fest und hob hervor, dass dafür fast 3 Milliarden Euro bis 2030 zur Verfügung gestellt würden, damit die Industrie in Österreich verbleibe und CO2-neutral werde. Hammer verwies in diesem Zusammenhang auf die Voest, die mit dem Transformationsfonds 2027 auf Elektrolichtbogenofentechnologie umsteigen wolle.

Abgeordnete Herr bezeichnete den Transformationsfonds als wichtigen Schritt, die Industrie in Österreich klimaneutral zu machen, urgierte aber gleichzeitig, die Beschäftigten zu berücksichtigen, was nicht in ausreichendem Maße erfolgt sei, da keine Arbeitsplatzgarantien gegeben seien. Des Weiteren solle die Staatsholding Öbag den politischen Auftrag erhalten, diese Transformation voranzutreiben und klimafreundliche Industrien aufzubauen, so Herr.

Abgeordneter Bernhard machte in diesem Zusammenhang geltend, dass die Politik den Rahmen vorgeben müsse, aber dass es um die Akzeptanz der Wirtschaft gehe, um private Investitionen, darum, die Bereitschaft von Bürger:innen zu schaffen, in einem bestehenden marktwirtschaftlichen System Handlungen zu setzen, die auch in die Klimaneutralität führten.

Expertin Krömer bekräftigte, dass es ein Klimaschutzgesetz und klare Maßnahmen brauche, aber all das müsse auch in legistischer Hinsicht konsequent durchdacht werden. Sie betonte zudem, dass es viele klimaschädliche Subventionen gebe, die abgeschafft gehörten, und verwies auf das Thema des sozialen Ausgleichs. Auch Abgeordnete Herr griff dieses Thema auf und meinte, man müsse Klimaschutz breiter denken, eine Millionärssteuer etwa könnte einen großen Impact auf Klimaschutz haben und wäre die treffsicherste CO2-Steuer.

Das Thema Infrastruktur sei ebenfalls wichtig, erklärte Abgeordneter Schnabel und betonte, dass die E-Ladeinfrastruktur ausgebaut werden müsse, damit die Bevölkerung bereitwilliger E-Autos kaufen würde. Ebenso müsse man beim Thema Wasserstoff sowie bei der Ertüchtigung des Stromnetzes vorne mit dabei sein.

Erneuerbare-Wärme-Gesetz

Experte Reinhard Steurer stellte die Frage in den Raum, was es brauche, um die notwendige Zweidrittelmehrheit zustande zu bringen, um das Erneuerbare-Wärme-Gesetz zu beschließen. Abgeordnete Herr führte aus, seit März sei nicht mehr verhandelt worden. Ihr sei wichtig, dass bei einem Austausch des Heizsystems die Kosten nicht auf die Mieter:innen abgewälzt würden und das Ganze sozial verträglich gestaltet werde. Diesem Standpunkt schloss sich Abgeordneter Rauch an, denn die Investitionen in eine neue Heizung seien viel höher als die Förderungen. Im Wiener Regierungsprogramm sei der Punkt "Ausstieg aus allen Gasheizungen bis 2040" enthalten, erklärte Abgeordneter Bernhard aus Sicht der NEOS, und man warte auf das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, um auf dieser Grundlage Förderinstrumente zu etablieren.

Die Förderungen für den Umstieg weg von einer Gas- oder Ölheizung seien verzehnfacht worden, konstatierte Abgeordneter Hammer, und für das unterste Einkommensfünftel sei eine spezielle Förderschiene ins Leben gerufen worden. Nach der Blockade durch die SPÖ werde nun wohl wieder konstruktiv verhandelt werden. Abgeordneter Schnabel merkte kritisch an, dass die SPÖ auch die Forderung aufgestellt habe, dass alle Mieter:innen ein gesetzlich verankertes Mitspracherecht beim Heizungstausch erhalten sollten. Man werde jetzt aber wieder in Verhandlungen mit der SPÖ gehen.

Maßnahmen für den Klimaschutz in der laufenden Legislaturperiode

Auf die abschließende Frage des Moderators Gerald Groß, was für den Klimaschutz noch innerhalb dieser Legislaturperiode möglich sei, erläuterte Abgeordneter Schnabel, dass noch einiges aus dem Regierungsprogramm abzuarbeiten sei und er guter Dinge sei, dass diesbezüglich – vor allem in Verbindung mit der Europäischen Union – einiges auf den Weg gebracht werde; auch das Klimaschutzgesetz werde man angehen können. Darüber zeigte sich Abgeordneter Hammer erfreut, für den das Erneuerbare-Wärme-Gesetz oberste Priorität habe, wie er betonte, da ansonsten die Wärmewende nicht zu schaffen sei. Das Regierungsprogramm umzusetzen sei wesentlich.

Abgeordneter Bernhard betonte, aus parlamentarischer Sicht sei das Klimaschutzgesetz sehr wichtig, weil es um die Frage gehe, wie die gemeinsamen Ziele im Föderalismus heruntergebrochen würden. Ebenso von Bedeutung sei die Infrastruktur: Es brauche viel stärkere Netze und es sei nötig, die Möglichkeit zu haben, Emissionen zu binden und außer Landes zu bringen. Demgegenüber äußerte sich Abgeordneter Rauch skeptisch, denn das Verhältnis zwischen den Regierungsparteien sei schlecht und alle Anträge der Oppositionsparteien würden vertagt. Ein Anliegen wäre es ihm, die Bodenversiegelung hintanzuhalten und Flächen zu renaturalisieren. Abgeordnete Herr nannte einerseits ernsthafte Verhandlungen zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz sowie zum Klimaschutzgesetz als wichtig, andererseits müsse man beim Personalmangel gegensteuern. Abschließend betonte sie, es wäre notwendig, Klimaschutz sozial gerechter zu machen.

Reinhard Steurer erachtete ebenfalls die Umsetzung des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes sowie ein Klimaschutzgesetz als wichtigste Punkte, die schnellstens anzugehen seien. Auch Michaela Krömer befürwortete den Beschluss eines Erneuerbare-Wärme-Gesetzes, und man sollte, so Krömer, so schnell wie möglich den derzeitigen verfassungswidrigen Zustand beheben, etwa in Form eines Klimaschutzgesetzes mit Beschwerdemöglichkeiten.

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 18. September 2023, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek der Website des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar. (Schluss) uwe