Parlamentskorrespondenz Nr. 763 vom 28.06.2023

EU-Hauptausschuss: Migration, Außenpolitik und EU-Budget dominieren Debatte

Nehammer und Edtstadler stellen sich Fragen der Abgeordneten im Vorfeld der Europäischen Ratssitzung

Wien (PK) – Der Umgang mit irregulärer Migration, die Erhöhung des EU-Budgets sowie außen- und wirtschaftspolitische Erwägungen standen heute im Zentrum des EU-Hauptausschusses. Vor dem Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in den kommenden beiden Tagen im Rahme des Europäischen Rates tauschten sich Bundeskanzler Karl Nehammer und EU-Ministerin Karoline Edtstadler mit den Abgeordneten über die dort dominierenden Fragen und Österreichs Positionen zu diesen aus.

Mit drei Anträgen auf Stellungnahme wollte die FPÖ diese Verhandlungspositionen dahingehend gerichtet sehen, dass Österreich sich gegen eine Aufstockung des Finanzrahmens der EU und gegen eine Förderung von Munitionsprodukten zugunsten der Ukraine ausspricht. Zudem forderten sie Bundeskanzler Nehammer auf, bei der Ratssitzung eine verpflichtende Verteilung von Migrant:innen auf die EU-Staaten und Strafzahlungen bei der Verweigerung dieser Quoten abzulehnen. Alle drei Anträge erhielten nur die Stimmen der Freiheitlichen und blieben damit in der Minderheit.

Nehammer: Paradigmenwechsel bei Asyl und Migration eingeleitet

In der Sondersitzung des Europäischen Rates am 9. Februar hätten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf weitreichende Maßnahmen geeinigt, um die irreguläre Migration einzudämmen, berichtete Bundeskanzler Nehammer. In der kommenden Ratssitzung sei es nun wichtig, dass Europa die Weichen zu jenem Paradigmenwechsel in der Asylpolitik stellt, den Österreich und einige andere Mitgliedsstaaten eingeleitet hätten. Um den Schlepper:innen ihr Geschäftsmodell zu entziehen und damit die Menschen sich nicht mehr auf den mitunter gefährlichen Weg nach Europa begeben, sei vor allem auch die Zusammenarbeit mit sicheren Drittstaaten notwendig, erklärte Nehammer Petra Steger (FPÖ), die die EU als "Teil des Problems" und nicht als Lösung ansah.

NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak regte an, die Rückführungsabkommen etwa an die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu koppeln, ansonsten würden diese Abkommen nicht funktionieren. Nehammer verwies auf eine bereits getroffene Vereinbarung mit Marokko und noch folgende Übereinkommen mit Ägypten und Indien. Diese könnten nur durch eine Gesprächskultur "auf Augenhöhe" gelingen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, erlaube man gleichzeitig, qualifizierten Kräften aus diesen Ländern nach Österreich einzureisen. Die Kooperation mit den Drittstaaten kosteten zwar einiges an Geld, sei jedoch bei weitem vorteilhafter als das aktuelle System, so Nehammer.

Was den Außengrenzschutz betreffe, müssten "den Worten erst noch Taten folgen". Bulgarien habe dementsprechende Mittel erhalten und ein auf österreichische Initiative zurückgehendes Pilotprojekt zu beschleunigten Asylverfahren an den Außengrenzen werde nun auf die gesamte EU-Außengrenze ausgeweitet. Jene mit einer geringen Chance auf Asyl könnten so abgewiesen und zurückgestellt werden, berichtete Nehammer.

Von Reinhold Lopatka (ÖVP) nach dem Treffen mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und dem bulgarischen Staatspräsidenten Rumen Radew gefragt, betonte Nehammer die außenpolitische Bedeutung der Zusammenkunft. Er habe Meloni als "Verbündete" in der Migrationspolitik gewonnen, was angesichts des üblicherweise divergierenden Verhältnisses zwischen europäischen Binnen- und Grenzländern als "außergewöhnlich" zu betrachten sei. Auch die Zusammenarbeit mit Radew beurteilte Nehammer trotz dem österreichischen Veto zum Schengen-Beitritt Bulgariens als "freundschaftlich" und verwies auf das dortige Pilotprojekt. Ziel sei es, den Migrationsdruck von den Außengrenzen zu nehmen, antwortete Nehammer Katharina Kucharowits (SPÖ). Sie und Michel Reimon (Grüne) sprachen das verunglückte Flüchtlingsboot vor Griechenlands Küste an und fragten nach einer internationalen Untersuchung. Bundeskanzler Nehammer sah jedoch keinen Grund, den griechischen Behörden zu misstrauen.

Außenpolitik und Versorgungssicherheit

In außenpolitischer Hinsicht lag der Schwerpunkt der Debatte auf den Westbalkan-Staaten. Deren Integration in die EU sei zentral für die europäische Sicherheitspolitik, erklärte etwa Eva Maria Holzleitner (SPÖ). Die dortigen Konflikte müssten schnellstmöglich befriedet werden. Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) berichtete von einer Reise in den Kosovo, dass sämtliche dortige Parteien sich trotz Naheverhältnisses zu Europa von der EU ungerecht behandelt fühlten. Es sei entscheidend, dass die dortigen Staaten ihre pro-europäische Haltung beibehalten.

Der Kosovo sei ein "sensibles" Thema, erklärte Bundeskanzler Nehammer. Es habe sich herausgestellt, dass Serbien einen pragmatischeren Zugang vertrete als der Kosovo, der stark "ideologisch getrieben" handle. Selbst dessen "Schutzmacht" Albanien zeige sich unzufrieden mit dem Verhalten der kosovarischen Regierung. Der Westbalkan brauche die volle Aufmerksamkeit Europas und die EU-Perspektive der dortigen Bevölkerung müsse erhalten werden, sagte Nehammer. Österreich bleibe ein wichtiger Partner für die Region.

Signale aus der EU, dass der Ukraine im Gegensatz zu den Westbalkan-Staaten ein "Fast-Track-Verfahren" in Aussicht gestellt werden soll, hielt Nehammer für falsch. Österreich unterstütze die Ukraine soweit dies als neutrales Land möglich ist. Mit 150 Mio. € an Hilfsleistungen liege es in der EU gemessen am Bruttoinlandprodukt im Spitzenfeld.

Die seit dem Ukraine-Krieg aufgeworfene Frage der Versorgungssicherheit beim Gas sprachen SPÖ-Mandatar Alois Schroll und Axel Kassegger (FPÖ) an. Beide sahen keine realistische Perspektive, dahingehend unabhängig von Russland zu werden. In dieser Hinsicht sei jedoch schon einiges gelungen, warf Nehammer ein und verwies auf die Erschließung neuer Quellen etwa in Abu Dhabi zur Füllung der österreichischen Gasspeicher im letzten Jahr. Er gab Schroll zwar recht, dass auch heuer wieder 70 % bis 80 % des Gases von Russland bezogen werden – dies sei den Verträgen geschuldet -, doch gebe es in diesem Jahr Möglichkeiten zur Kompensation, was die Abhängigkeit verringere. Man werde weiter an der Diversifizierung der Quellen arbeiten, so Nehammer.

Streitfrage EU-Budget

Ein "klares Nein" zu höheren Zahlungen an die EU äußerte Petra Steger für die FPÖ-Fraktion. Österreich habe genug gezahlt und die EU mit 1.100 Mrd. € ohnehin das höchste Budget aller Zeiten. Besonders stieß sie sich an der Unterstützung für die Ukraine, bei der nicht garantiert werden könne, ob diese auch in Waffen fließe, was klar im Widerspruch zur Neutralität stehen würde. 50 Mrd. € von den 66 Mrd. € an Mehrzahlungen würden laut Steger dafür verwendet.

Nikolaus Scherak (NEOS) fragte, inwiefern es sich um eine Verhandlungstaktik handle, wenn Bundeskanzler Nehammer ankündigte, "keinen Cent" zusätzlich zahlen zu wollen. Scherak halte es grundsätzlich für sinnvoll, den Forderungen der EU-Kommission nicht "blind" nachzukommen.

Angesichts "wichtiger Projekte", von denen auch Österreich profitiere, bezeichnete es Eva Maria Holzleitner (SPÖ) hingegen als "falschen Schritt", das EU-Budget lediglich umschichten zu wollen.

Auch Jakob Schwarz von den Grünen sah es angesichts großer Herausforderungen wie dem Krieg in der Ukraine als kontraproduktiv an, dass Österreich hier "auf der Bremse" stehe. Es sei noch nie so klar wie jetzt gewesen, dass die EU mehr Mittel benötige.

Laut Maria Theresia Niss (ÖVP) gehe es vor allem darum, woher die Mittel kommen sollen. Sie fragte Bundeskanzler Nehammer, wo er Potential für die Umschichtungen sehe. Nehammer verwies auf Einsparungspotenzial in der Verwaltung und mehrere durch Steuergeld der Mitgliedsstaaten aufgefüllte Fonds für verschiedene Zwecke, die jedoch noch nicht ausgeschöpft worden seien.

Edtstadler über demokratiepolitische Vorhaben

EU-Ministerin Karoline Edtstadler berichtete von Beratungen zur Vorbereitung des Europäischen Rates in Luxemburg. Dabei sei etwa besprochen worden, inwieweit eine Änderung des EU-Wahlrechts, insbesondere eine Senkung des Wahlalters, die europäische Demokratie stärken und junge Menschen dafür begeistern könne. Man ist laut Edtstadler jedoch einhellig zu dem Schluss gekommen, dass es für etwaige Rechtsänderungen vor der nächsten Wahl zu spät sei. Ein weiteres Thema sei eine Aufstockung der Anzahl an Sitzen im EU-Parlament von 705 auf 716 gewesen. Doch auch davon habe man letztlich abgesehen, da es ein "falsches Signal" angesichts der Teuerung gesendet hätte. Die Frage werde sich jedoch vor dem Hintergrund einer möglichen EU-Erweiterung wieder stellen, so Edtstadler.

Weiters sprachen die Abgeordneten im EU-Hauptausschuss die Themen künstliche Intelligenz, das Verhältnis zu China sowie den Konflikt auf Zypern an. (Schluss EU-Hauptausschuss) wit