Parlamentskorrespondenz Nr. 830 vom 12.07.2023

Bundesrat: Ausbau von Primärversorgungseinheiten und neuer Eltern-Kind-Pass erreichen notwendige Mehrheit

Mehr Mittel für Gewaltschutz und Schutzunterkunftsplätze für Frauen und Kinder

Wien (PK) – Die Zahl an Primärversorgungseinheiten soll gesteigert und die Arbeitsbedingungen von Ärzt:innen und Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe verbessert werden. Ein dementsprechendes Maßnahmenpaket passierte heute den Bundesrat . Neben ÖVP und Grünen signalisierte die SPÖ ihre Zustimmung. Kritik an der Maßnahme gab es von den Freiheitlichen.

Bei einer namentlichen Abstimmung sprachen sich 30 von 59 Mandatar:innen mehrheitlich für die Einführung des digitalen Eltern-Kind-Passes aus. Während die Sozialdemokrat:innen hierzu datenschutzrechtliche Bedenken äußerten, kritisierten die Freiheitlichen die Umbenennung und Digitalisierung.

Die Abstimmung dieser beiden Tagesordnungspunkte erfolgte nach einer mehr als vierstündigen, teils sehr hitzigen Debatte. Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ/T) kritisierte die Dauer als ein zeitliches Hinauszögern der Koalition. Diese hatte zu diesem Zeitpunkt – so wie beim ORF-Reformpaket davor – aufgrund von Abwesenheiten zweier ihrer Bundesrät:innen nicht die erforderliche Beschlussmehrheit. Im Laufe der Debatte erschien der bis dahin entschuldigte Bundesrat Adi Gross (Grüne/V), der die Mehrheit der Koalition und damit den Beschluss dieser beiden Gesetze ermöglichte. Die Sitzung werde in die Länge gezogen, um ein gewünschtes Abstimmungsergebnis zu erzielen, meinte auch Korinna Schumann (SPÖ/W).

Keinen Einspruch gab es von der Länderkammer auch für ein neues Barrierefreiheitsgesetz sowie eine 15a-Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern für mehr Gewaltschutzmittel und Schutzunterkunftsplätze für Frauen und Kinder.

Einrichtung von Primärversorgungseinheiten soll vereinfacht und damit beschleunigt werden

Die Einrichtung von Primärversorgungseinheiten soll vereinfacht und damit beschleunigt werden. Gleichzeitig sollen auch die Arbeitsbedingungen von Ärzt:innen und Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe verbessert werden. Dies sieht eine Änderung des Primärversorgungsgesetzes und des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes vor, die mehrheitlich von den Bundesrät:innen befürwortet wurde. Damit soll der Bevölkerung ein umfassendes, multiprofessionelles Versorgungsangebot zur Verfügung gestellt werden. Dieses soll auch ein breiteres erweitertes Angebot etwa im Bereich der Kinder- und Jugendheilkunde sowie der Frauenheilkunde und Geburtshilfe beinhalten. Aktuell versorgen, den Erläuterungen zufolge, die 40 bestehenden Primärversorgungseinheiten insgesamt 340.000 Patient:innen pro Jahr. Mit der nun erfolgenden Maßnahme sollen bis Ende 2026 bundesweit zumindest 43 weitere Primärversorgungseinheiten dazu kommen und insgesamt mindestens 705.500 Patient:innen pro Jahr versorgt werden.

Der Ausbau der Primärversorgungseinrichtungen sei ein "zentraler Baustein" der Gesundheitsreform, erklärte Gesundheitsminister Johannes Rauch. Aktuell seien 30 Einrichtungen in Vorbereitung. Dem medizinischen Personal würden damit Arbeitsbedingungen ermöglicht, die sich dieses erwartet. Die Patient:innen wiederum würden von verbesserten Öffnungszeiten profitieren.

Einen verbalen Schlagabtausch gab es zwischen der FPÖ und Gesundheitsminister Rauch nach dessen Wortmeldung, wonach die Freiheitlichen den Parlamentarismus "mit Füßen" treten würden und deren Wortmeldungen "menschenverachtend" seien. Die Politik der drei Grünen Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie sei vielmehr "menschenverachtend" gewesen, meinte daraufhin etwa Marlies Doppler (FPÖ/S).

Die Bedeutung ärztlicher Versorgung auch an Tagesrandzeiten und Wochenenden für Senior:innen strich Klara Neurauter (ÖVP/T) hervor und bezeichnete die Primärversorgungseinrichtungen als "hervorragende" Möglichkeit dafür. Das Engagement der Bundesregierung für mehr Ärzt:innen im ländlichen Raum erläuterte Ferdinand Tiefnig (ÖVP/OÖ). Als wesentliche Maßnahme zur Verbesserung des Gesundheitssystems und gegen den Ärzt:innenmangel begrüßte Matthias Zauner (ÖVP/NÖ) die Gesetzesinitiative.

Als guten Ansatz befand Manfred Mertel (SPÖ/K) die Förderung von Primärversorgungseinrichtungen. Zur Lösung des Ärzt:innenmangels schlug er mittels eines Entschließungsantrags, der in der Minderheit blieb, unter anderem vor, die Medizinstudienplätze zu verdoppeln und die Aufnahmekriterien zu verändern. Zudem sollen Studierende der SPÖ nach bevorzugt aufgenommen werden, wenn sie sich verpflichten, nach dem Studium im öffentlichen Gesundheitswesen für einige Jahre tätig zu sein.

Es gebe momentan eine 3-Klassen-Medizin, kritisierte Andreas Arthur Spanring (FPÖ/NÖ) und forderte eine "bestmögliche" Versorgung für alle Bürger:innen. Die Bundesregierung lobe die Primärversorgungseinrichtungen in den "siebenten Himmel", dadurch würden aber "Gesundheitsautobahnen" installiert und so die Hausärzt:innen abgeschafft, kritisierte Markus Leinfellner (FPÖ/St) und schlug vielmehr ein Maßnahmenpaket zur "nachhaltigen Verbesserung" der kassenvertragsärztlichen Versorgung vor. Der dafür im Zuge der Debatte eingebrachte Entschließungsantrag blieb in der Minderheit. Darin forderte der Freiheitliche unter anderem die prioritäre Nachbesetzung von Kassenarztstellen im ländlichen Bereich, eine verpflichtende Nachbesetzung innerhalb von zwölf Monaten sowie die Einbindung der Wahlärzt:innen in das kassenärztliche System. Angesichts der jährlichen Nachbesetzung von 600 Ärzt:innenstellen könne keine Rede von der Abschaffung von Hausärzt:innen sein, entgegnete Karlheinz Kornhäusl (ÖVP/St). Die Primärversorgungseinrichtungen brächten nicht das alleinige "Seelenheil", denn es seien eine Vielfalt der medizinischen Versorgung und eine bessere Lenkung der Patient:innenströme notwendig.

Es würde mehr Primärversorgungseinheiten geben, wenn deren Vorteile mehr bekannt sein würden und es weniger Hürden zur Einrichtung gebe, erläuterte Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne/OÖ). Dies würde durch die Gesetzesinitiative erreicht, verwies die Bundesrätin darauf, dass in skandinavischen Ländern damit ein "Turnaround" in der Gesundheitsversorgung erreicht werden konnte. Die Novellierung sei eine "Win-win-Situation" für Patient:innen wegen der besseren Öffnungszeiten als auch für das medizinische Personal wegen der besseren Arbeitsbedingungen, meinte Marco Schreuder (Grüne/W).

Mutter-Kind-Pass wird ausgebaut und zum digitalen Eltern-Kind-Pass weiterentwickelt

Der bisherige Mutter-Kind-Pass soll ab Jänner 2024 nicht nur einen neuen Namen erhalten, sondern bis 2026 auch ausgebaut und digitalisiert werden. Dies sieht ein von ÖVP und Grünen eingebrachter Antrag vor, der heute mehrheitlich vom Bundesrat angenommen wurde. Der genaue Umfang und die Art der ärztlichen Untersuchungen für das Vorsorgeprogramm müssen aber noch per Verordnung festgelegt werden. Die Kosten werden zu zwei Dritteln vom Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) und zu einem Drittel von den Krankenversicherungsträgern übernommen.

Die Versorgung von Müttern und Kindern werde durch den Eltern-Kind-Pass deutlich gestärkt, zählte Gesundheitsminister Johannes Rauch die zusätzlichen Leistungen wie ein Hörscreening oder ein zusätzliches Ultraschall am Ende der Schwangerschaft auf.

Die Gesundheit von Frauen und Kindern würden seit fast 50 Jahren mit dem Mutter-Kind-Pass unterstützt, meinte Johanna Miesenberger (ÖVP/OÖ) und begrüßte so wie Karlheinz Kornhäusl (ÖVP/St) die nunmehrige zeitgemäße Anpassung und den Ausbau der Leistungen.

Die Umbenennung des Mutter-Kind-Passes befanden Marco Schreuder (Grüne/W), Heike Eder (ÖVP/V) und Matthias Zauner (ÖVP/NÖ) als wichtiges Signal, da beide Elternteile Verantwortung für ihre Kinder übernehmen. Der Mutter-Kind-Pass wurde geschaffen, um die Gesundheit von Müttern und Kindern während und nach der Schwangerschaft zu wahren, betonte Christoph Steiner (FPÖ/T) darauf und kritisierte dessen "Umideologisierung". Väter würden keine Rolle bei den Untersuchungen spielen und für sie seien auch keine vorgesehen. Mütter würden so "abgeschafft" und aus dem "Weltbild gestrichen". Während Christoph Steiner (FPÖ/T) und Markus Leinfellner (FPÖ/St) betonten, dass es nur zwei Geschlechter gebe, verwies Marco Schreuder (Grüne/W) auf das Vorhandensein von sechs Geschlechtern laut österreichischem Recht. In Richtung der Freiheitlichen forderte Schreuder, dass die Politik die Lebensformen der Menschen respektieren und dafür Rechtssicherheit sicherzustellen habe. Kritik für ihr Frauenbild erntete die FPÖ von Elisabeth Kittl (Grüne/W).

Der Mutter-Kind-Pass sei ein familienpolitischer Meilenstein gewesen, erklärte Sandra Gerdenitsch (SPÖ/B), zeigte sich aber zur aktuellen Ausgestaltung insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes skeptisch. Der Schutz hochsensibler Daten sei dadurch gefährdet. Zur Erhöhung der Väterbeteiligung brauche es andere und weitere Maßnahmen, war sich Gerdenitsch mit Korinna Schumann (SPÖ/W) einig. Zur "partnerschaftlichen" Erziehung brauche es gute Kinderbildungsplätze, Ganztagsschulen und ein Leben, das man sich leisten könne, forderte Schumann eine Konzentration auf die "Probleme der Menschen".

Der physische Mutter-Kind-Pass habe für Mütter einen besonderen Wert als Dokument, kritisierte Markus Leinfellner (FPÖ/St) die digitale Weiterentwicklung. Mit dem Eltern-Kind-Pass werde ein sensibler Bereich nur deswegen digitalisiert, weil ein Druck in 15 Sprachen zu teuer käme, bemängelte Andrea Michaela Schartel (FPÖ/St). Gravierende datenschutzrechtliche Bedenken äußerte wiederum Marlies Doppler (FPÖ/S).

Es sei wichtig, den Mutter-Kind-Pass in die nächste Stufe zu führen, hob Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne/OÖ) die Vorteile der Digitalisierung und den Abbau von Hürden hervor.

Vereinbarung für mehr Gewaltschutzmittel und Schutzunterkunftsplätze für Frauen und Kinder

Im Rahmen einer einstimmig angenommenen 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sollen mindestens 180 zusätzliche Plätze für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder (90 Frauenplätze und ebenso viele Kinderplätze) geschaffen werden. Dafür werden mit einem Zweckzuschuss des Bundes ab November 2023 bis Ende 2026 jährlich 3 Mio. € zur Verfügung gestellt. Vorgesehen ist damit einhergehend der Ausbau des Beratungs- und Betreuungsangebots in den Unterkünften. Zudem soll eine bundesweite Steuerungsgruppe im Bundeskanzleramt eingerichtet werden.

Frauen seien niemals Schuld und hätten ein Recht auf ein gewaltfreies Leben, betonte Frauenministerin Susanne Raab. Der Gewaltschutz habe daher für die Bundesregierung oberste Priorität. Bei ihrem Amtsantritt habe sie eine gute rechtliche Basis vorgefunden, um dagegen vorgehen zu können. Einrichtungen zum Gewaltschutz seien aber unterfinanziert gewesen, es seien keine Fallkonferenzen mehr durchgeführt worden und es habe insgesamt wenig Zusammenarbeit der involvierten Akteur:innen gegeben. Dagegen habe die Bundesregierung mehrere Maßnahmen gesetzt. Die 15a-Vereinbarung sei nun ein weiterer Meilenstein und ein "Schulterschluss für Gewaltschutz in Österreich".

Jede dritte Frau in Österreich sei von Gewalt betroffen, erklärte Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S). Dies müsse geändert werden, um jeder Frau und jedem Mädchen ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, mahnte Eder-Gitschthaler das Engagement aller und Zivilcourage ein.

Die "erschütternde" Serie an Frauenmorden nehme kein Ende und Österreich sei damit ein "trauriger Spitzenreiter", bemängelte Elisabeth Grossmann (SPÖ/St) insgesamt zu wenige Maßnahmen. Die 15a-Vereinbarung sei ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Zudem forderte Grossmann einen österreichweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe sowie mehr Bildung in gewaltfreier Kommunikation. Die Unterstützung von Übergangswohnungen befürwortete Claudia Arpa (SPÖ/K) und hob den Unterstützungsbedarf von Frauen in solchen Notsituationen hervor.

Es müsse alles unternommen werden, um Gewalt an Frauen zu verhindern, meinte auch Markus Leinfellner (FPÖ/St) und forderte die "volle Härte des Gesetzes" gegenüber den Tätern. Zudem verwies er darauf, dass bei rund der Hälfte der Delikte die Täter keine österreichischen Staatsbürger seien.

Die Problematik solle nicht auf die Herkunft der Täter reduziert werden, entgegnete demgegenüber Elisabeth Kittl (Grüne/W) und machte vielmehr "patriarchale Denkweisen" und entsprechende Männlichkeitsbilder, bei der Frauen als Besitz von Männern gesehen würden, verantwortlich.

Neues Barrierefreiheitsgesetz

Mit dem neuen Barrierefreiheitsgesetz, das der Bundesrat einstimmig befürwortete, setzt Österreich den sogenannten "European Accessibility Act" um. Unternehmen dürfen damit ab 28. Juni 2025 in bestimmten Bereichen nur noch barrierefreie Produkte auf den Markt bringen. Betroffen sind unter anderem PCs, Smartphones, E-Reader, Smart-TV-Geräte, Spielkonsolen und Bankomaten. Allerdings sind Ausnahmen vorgesehen, etwa wenn die Anforderungen an die Barrierefreiheit eine grundlegende Veränderung des Wesens des Geräts bewirken oder diese zu einer unverhältnismäßigen Belastung für die betroffenen Unternehmen führen würden. Dienstleistungen von Kleinstunternehmen sind ebenfalls ausgenommen.

In der Minderheit blieb ein im Zuge der Debatte eingebrachter Entschließungsantrag der FPÖ-Bundesrät:innen Marlies Doppler und Christoph Steiner mit der Ablehnung einer Bargeldabschaffung und der Forderung nach einer uneingeschränkten Bargeldzahlung. (Fortsetzung Bundesrat) pst/sox

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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