Nationalrat: ÖVP und Grüne kündigen Kinderbetreuungs-Turbo im Ausmaß von 4,5 Mrd. € an
Wien (PK) – Die Ankündigung zum massiven Ausbau der Kinderbetreuung, mit der Bundeskanzler Nehammer bereits im ORF-Sommergespräch hat aufhorchen lassen, stand heute bei der ersten Nationalratssitzung seit Tagungsbeginn im Mittelpunkt der Aktuellen Stunde. Bis 2030 sollen 4,5 Mrd. € in die Kinderbetreuung fließen, kündigte ÖVP-Klubobmann August Wöginger an. Durch diesen "Turbo" sollen zusätzliche 50.000 Plätze geschaffen und eine echte Wahlfreiheit für die Eltern gewährleistet werden. Sie orte derzeit ein "Momentum", um einen gemeinsamen Kraftakt beim Thema Kinderbetreuung zu bewerkstelligen, zeigte sich Familienministerin Raab in Bezug auf die damit verbundenen Finanzausgleichsverhandlungen zuversichtlich.
NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger freute sich über die "totale Trendumkehr" bei der ÖVP in Sachen Kinderbetreuung, die wohl den schlechten Umfragewerten geschuldet sei. Die SPÖ befürchtete hingegen, dass es sich bei den Plänen wieder nur um "heiße Luft" handeln könnte. Solange kein Geld fließe, könne man der ÖVP nicht trauen, meinte etwa Eva Maria Holzleitner (SPÖ). Rosa Ecker von der FPÖ pochte erneut darauf, dass die familiäre Kinderbetreuung mit der institutionellen Kinderbetreuung finanziell gleichgestellt werde. Nur dann könne man von einer echten Wahlfreiheit sprechen.
Vor Eingang in die Diskussion wurde für die SPÖ Michaela Schmidt, die das Mandat von Cornelia Ecker übernimmt, als neue Abgeordnete angelobt.
Wöginger: Kräftiger Schub des Bundes zum weiteren Ausbau der Kinderbetreuung
Der Bund werde mit einem kräftigen Schub den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze vorantreiben, betonte ÖVP-Klubobmann August Wöginger, der von einem Betrag von 4,5 Mrd. € bis zum Jahr 2030 sprach. Auch wenn die für die Kindergärten zuständigen Gemeinden sehr bemüht seien, die Angebote zu verbessern und die Öffnungszeiten auszubauen, brauche es zusätzliche finanzielle Mittel. Der genannte Betrag soll im Zuge der Finanzausgleichsverhandlungen sichergestellt werden, wobei auch in die Ausbildung der Pädagog:innen investiert werden soll, informierte Wöginger. Es dürfe jedenfalls nicht an der Kinderbetreuung scheitern, wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten gehen wollen.
Damit werde ein familienpolitischer Weg fortgesetzt, der schon in den letzten Jahren erfolgreich beschritten wurde, war Wöginger überzeugt. Als Beispiele nannte er den Familienbonus, der nunmehr auf 2.000 € pro Kind erhöht wurde, oder den Kindermehrbetrag in der Höhe von 700 €, der vor allem Bezieher:innen von geringeren Einkommen sowie Alleinerzieher:innen zugutekommen werde. Ein besonderer Meilenstein sei die Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen gewesen. Eine langjährige Forderung, die erst von der aktuellen Regierung umgesetzt wurde, erinnerte der Klubobmann der Volkspartei. Insgesamt stünde ein Budget von rund 8 Mrd. € zur finanziellen Unterstützung von Familien zur Verfügung.
Raab: Kinderbetreuungs-Turbo soll Wahlfreiheit und Eigenverantwortung der Familien ermöglichen
Es sei ihre oberste Priorität, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen, unterstrich Bundesministerin Susanne Raab. Nachdem bereits in der Vergangenheit sehr viel getan wurde, soll nun der "volle Turbo gezündet" werden. Insgesamt sollen bis 2030 4,5 Mrd. € ausgeschüttet werden, die nicht nur für den Ausbau der Infrastruktur, sondern auch für den kontinuierlichen Betrieb der Kindergärten eingesetzt werden können. Die Zahl basiere auf dem Ergebnis einer Analyse, die vom Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria durchgeführt wurde. Raab sah in dieser Maßnahme einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Selbstbestimmung von Frauen, zu ihrem beruflichen Fortkommen und zum Schließen des Gender Pay Gaps. Gleichzeitig soll aber gewährleistet werden, dass die Familien selbst entscheiden können, wie sie ihren Alltag und die Kinderbetreuung organisieren wollen.
Die Ressortchefin räumte ein, dass es sich bei den angestrebten zusätzlichen 50.000 Kinderbetreuungsplätzen um ein durchaus ambitioniertes Ziel handle. So seien etwa nur zwei Prozent der Kinder unter einem Jahr in Betreuung. Hier bestünde aber vielfach der Wunsch, das Kind zu Hause zu betreuen, gab Raab zu bedenken, die es dennoch für wichtig hielt, das Angebot auszubauen. Um einen Vollzeitjob nachgehen zu können, müssten natürlich ausreichend und qualitativ hochwertige Ganztagesplätze zur Verfügung stehen. Sie wünsche sich daher, dass in einem Schulterschluss mit den Ländern gemeinsame Rahmenbedingungen etwa hinsichtlich der Betreuungsschlüssel oder der Entlohnung vereinbart werden können. Dies sei die Voraussetzung, um genügend Pädagog:innen zu finden.
ÖVP: Massive Unterstützung für Länder und Gemeinden zum Ausbau der Kinderbetreuung im Ausmaß von 4,5 Mrd. €
Sie freue sich sehr, dass nun mit voller Kraft in die Kinderbetreuung investiert werden soll, betonte ÖVP-Abgeordnete Maria Theresia Niss. Damit werde es möglich sein, dass jedem Kind ab dem ersten Lebensjahr ein Betreuungsplatz angeboten werden könne. Neben der Ausweitung der Öffnungszeiten war es ihr dabei sehr wichtig, dass entsprechende Qualitätskriterien eingehalten werden. Auch im Sinne des Fachkräftemangels, der Stärkung der Wahlfreiheit sowie der Forcierung der Elementarbildung sei die Erhöhung des Budgets für die Kinderbetreuung nur zu unterstützen. Was sie sich noch wünsche, sei die Reduktion der bürokratischen Auflagen, die für die Betriebskindergärten gelten. Mit der von Bundeskanzler Nehammer angekündigten Kinderbetreuungsoffensive im Ausmaß von 4,5 Mrd. € bis 2030 sollen die Länder und Gemeinden, die in den letzten Jahren extrem viel geleistet hätten, noch stärker unterstützt werden, erklärte ÖVP-Familiensprecher Norbert Sieber. Dadurch würden die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die Sicherheit erhalten, dass sie auf ihren Kosten, die durch einen qualitätsvollen Ausbau der Kinderbetreuung entstünden, nicht sitzen bleiben. Durch die zusätzlichen 50.000 Plätze werde die Wahlfreiheit der Familien noch weiter gestärkt.
Grüne zeigen sich erfreut über Umsetzung des seit vielen Jahren geforderten Ausbaus der Kinderbetreuung
Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne) wies darauf hin, dass die in der EU vor 20 Jahren eingeführten Ziele im Bereich der Kinderbetreuung in Österreich noch immer nicht erreicht worden seien. Die Eltern seien jahrelang im Stich gelassen worden, da die Öffnungszeiten der Kindergärten teilweise überhaupt nicht mit den Lebensrealitäten der Familien vereinbar gewesen seien. Besonders ärgere sie sich darüber, dass Frauen in Österreich noch immer viel zu selbstverständlich für die Kinderbetreuung und die unbezahlte Hausarbeit als zuständig erklärt würden. Der von den Grünen seit langem geforderte Anschub beim Ausbau der Kinderbetreuung sei daher ausdrücklich zu begrüßen. Erstmals sei eine breite Mehrheit im Nationalrat dazu entschlossen, der Elementarbildung ab sofort alleroberste Priorität zu geben, zeigte sich auch Abgeordnete Sibylle Hamann (Grüne) erfreut. Österreich werde damit dauerhaft zum Besseren verändert werden, weil nicht nur den Kindern neue Bildungschancen eröffnet und die Eltern entlastet würden, sondern auch positive Effekte für die Wirtschaft zu erwarten seien. Um mehr Pädagog:innen für den Beruf gewinnen zu können, brauche es ihrer Meinung kleinere Gruppengrößen, mehr Unterstützungspersonal, ein einheitliches Dienstrecht, bundesweit einheitliche Mindeststandards sowie eine faire Bezahlung.
SPÖ fordert Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und Ausbildungsoffensive im Bereich der Elementarpädagogik
SPÖ-Abgeordnete Eva Maria Holzleitner zeigte sich misstrauisch ob der angekündigten Investition in die Kinderbetreuung in der Höhe von 4,5 Mrd. €, da es sich schon bei der im letzten Jahr abgeschlossenen 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Elementarpädagogik um eine "Mogelpackung" gehandelt habe. Sie erinnerte zudem daran, dass der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz vor sieben Jahren eine sogenannte Kinderbildungs-Milliarde vereitelt habe. Und "sein Geist gehe in der ÖVP noch immer um". Auch habe die oberösterreichische Landesregierung nun wieder Gebühren für den Besuch der Kindergärten am Nachmittag eingeführt, zeigte Holzleitner auf. Im Gegenzug dazu sei in Tirol gerade unter SPÖ-Beteiligung ein Rechtsanspruch auf Kinderbildung ab dem 2. Lebensjahr etabliert worden. Ihre Fraktionskollegin Petra Wimmer sprach von "längst überfälligen Investitionen", zumal erst im Vorjahr beim Abschluss der 15a-Vereinbarung eine große Chance vertan worden sei. Aufgrund der großen Versäumnisse in den letzten Jahren seien zahlreiche Probleme entstanden und viele Familien verunsichert. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz sei daher dringend notwendig. Außerdem müsste ein Teil der Mittel in eine Ausbildungsoffensive fließen.
NEOS zeigen sich froh über den Sinneswandel in der ÖVP und wollen Rechtsanspruch verankern
Es sei erstaunlich, was alles in Österreich möglich sei, wenn die "ÖVP ordentlich unter Druck gerät", kommentierte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger die geplanten Reformbestrebungen im Bereich der Kinderbetreuung. Die nun geplante Anschubfinanzierung stehe im Grunde in einem starken Gegensatz zu jener Familienpolitik, die die ÖVP gemeinsam mit der FPÖ in einigen Bundesländern betreibe. Sie sei jedenfalls froh über den Sinneswandel in der ÖVP, wie auch immer er zustande gekommen sei. Es sei zu hoffen, dass nun auch ein flächendeckender Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz eingeführt werde. Diesen Ausführungen schloss sich auch Martina Künsberg-Sarre (NEOS) an. Nachdem die ÖVP aber seit vielen Jahren an der Macht sei, hätte der Turbo schon viel früher gezündet werden können. Andere Länder hätten schon längst erkannt, dass der Kindergarten die erste Bildungseinrichtung darstelle und rechtzeitig in die Zukunft ihrer Kinder investiert. In den von der ÖVP regierten Ländern und Gemeinden habe man hingegen zugelassen, dass Frauen nicht oder nur in Teilzeit arbeiten könnten.
FPÖ fordert bessere finanzielle Wertschätzung der familiären Kinderbetreuung
Den Ankündigungen der Regierungsparteien zum Ausbau der Kinderbetreuung wenig abgewinnen konnten die FPÖ-Vertreter:innen, die von leicht durchschaubaren "Wahlzuckerln" sprachen. Eine echte Wahlfreiheit gebe es nämlich nur dann, wenn die familiäre Kinderbetreuung mit der institutionellen Kinderbetreuung finanziell gleichgestellt werde, argumentierte Rosa Ecker (FPÖ). Selbstverständlich spreche sich die FPÖ für eine qualitätsvolle und leistbare Kinderbetreuung für alle jene aus, die sie brauchen. Aber keine Mutter soll dazu verpflichtet werden, Vollzeit zu arbeiten. Sollte noch dazu ein Rechtsanspruch eingeführt werden, dann werde der Druck durch die Betriebe noch größer werden, zeigte sich Ecker überzeugt. Besonders in den ersten Lebensjahren sei die Betreuung durch die Eltern aber enorm wichtig für die Bindung und die Entwicklung von Vertrauen. Die Familie sei die bewährteste "Bildungseinrichtung" ab dem Zeitpunkt der Geburt. Wenn nun Mütter keine Zeit mehr für ihre Kinder haben, bleibe auch keine Zeit mehr für die ältere Generation, warnte Ecker. Ähnlich argumentierte ihr Fraktionskollege Wolfgang Zanger, für den der "Turbo" in die falsche Richtung geht, und zwar "in die Zerstörung unserer traditionellen Familie". Laut einer aktuellen Studie würden nämlich 79 % der nicht berufstätigen Frauen mit einem Kind im ersten Lebensjahr deshalb daheim bleiben, weil sie selbst die Betreuung übernehmen wollen. Für diese Art der Betreuung sei aber kein Cent im Regierungspaket vorgesehen, kritisierte er. (Fortsetzung Nationalrat) sue
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