Parlamentskorrespondenz Nr. 935 vom 21.09.2023

Nationalrat nimmt Debatte zu sechs Volksbegehren auf

Unabhängige Kontrollkommission Verfassungsschutz mit Harald Perl nachbesetzt

Wien (PK) – Sechs Volksbegehren standen zum Abschluss des heutigen Plenartages auf der Tagesordnung des Nationalrats. Diese decken ein breites Themenspektrum ab, von der Stärkung der Neutralität über die Wahlfreiheit geschlechtsneutraler Sprache bis hin zum Abschieben straffälliger Asylwerber:innen. Weitere Anliegen von Bürger:innen zielen auf die Umsetzung einer Lebensmittelherkunftskennzeichnung, die Reduktion von Lebensmittelverschwendung und Liveübertragungen von Untersuchungsausschüssen ab. Nach der ersten Lesung der Volksbegehren wurden sie zur weiteren parlamentarischen Behandlung den jeweiligen Ausschüssen zugewiesen.

Zudem befürworteten die Abgeordneten einstimmig die Nachbesetzung eines Mitgliedes der unabhängigen Kontrollkommission Verfassungsschutz mit dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Harald Perl.

In der Minderheit blieben hingegen am Ende der Nationalratssitzung mehrere Anträge der Opposition, Ausschüssen zur Behandlung ihrer Anträge eine Frist zu setzen. Dies betraf SPÖ-Forderungen für Kinderschutz in Schulen, elementarpädagogischen Einrichtungen und Kultureinrichtungen, für den Ausbau opferschutzorientierter Täterarbeit zur Verhinderung von Gewalt an Frauen und Kindern sowie für leistbares Wohnen ebenso wie NEOS-Anträge für ein Informationsfreiheitsgesetz sowie zur Einrichtung eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts.

Harald Perl neues Mitglied der Kontrollkommission Verfassungsschutz

Einstimmig stimmte der Nationalrat heute einem Vorschlag für die Nachbesetzung eines Mitglieds der unabhängigen Kontrollkommission Verfassungsschutz zu. Der ehemalige Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Harald Perl übernimmt damit diese Funktion. Die Nachbesetzung war notwendig geworden, da eines der vom Nationalrat im Juli gewählten Mitglieder, Christof Tschohl, aus privaten Gründen seinen Rücktritt bekanntgegeben hat.

Da er eine tadellose Person sei, befürwortete Hannes Amesbauer (FPÖ) in der einzigen Wortmeldung dieser Debatte die Wahl von Harald Perl. Amesbauer kritisierte aber, dass den Freiheitlichen als einzige Parlamentsfraktion nach einer "Hetzkampagne" der Grünen die Nominierung eines Mitglieds verwehrt wurde. Die Kommission habe jedenfalls viel zu tun, den Verfassungsschützer:innen "auf die Finger zu schauen".

"Anti-gendern-Volksbegehren"

Personen, die keine geschlechtergerechte Sprache verwenden, sollen keine Nachteile erfahren, fordern die Unterzeichner:innen des "Anti-gendern-Volksbegehrens". Es müsse jedem selbst überlassen bleiben, ob er oder sie gendere oder nicht, sei es in Ämtern, an Hochschulen, in der Wirtschaft oder in anderen Bereichen, betonen sie. Die Initiator:innen des Volksbegehrens rund um Stefan Grünberger berufen sich außerdem auf eine Umfrage unter 1.250 wahlberechtigten Österreicher:innen. Demnach lehnen 71 % der Befragten Gendern in Medien ab und 40 % sprechen sich für ein Verbot in öffentlichen  Einrichtungen aus. Unterzeichnet wurde das Volksbegehren von 154.102 Personen, das sind 2,43 % der Wahlberechtigten.

Menschen wollen wahrgenommen, geschätzt und direkt in der richtigen Form angesprochen werden, erklärte Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP). Die Sprache soll Menschen verbinden und ihnen helfen, sich auszutauschen. Zudem habe Sprache Macht und könne sich weiter entwickeln.

Die Frage, ob Frauen Platz in der Sprache haben, werde öfter diskutiert, erläuterte Sabine Schatz (SPÖ). In Niederösterreich werden Frauen künftig nicht mehr Platz in offiziellen Dokumenten haben, kritisierte Schatz einen Beschluss der niederösterreichischen Landesregierung. Positiv wertete Schatz aber einen Gesetzesvorschlag vom Justizressort, der nur die weibliche Form verwendet.

Gendern rege die Menschen auf, meinte hingegen Rosa Ecker (FPÖ). Mit der "Genderitis" werde die Sprache verunstaltet und dies führe zum Verlust des Sprachflusses, zur Unleserlichkeit von Texten und verwirre letztlich.

Menschen haben ein Recht, in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, betonte Meri Disoski (Grüne). Dies habe auch mit sprachlicher Sichtbarkeit zu tun. In Niederösterreich würden Frauen aktuell sprachlich unsichtbar gemacht, kritisierte sie und befürwortete wie Sabine Schatz den Text eines Gesetzesentwurf in rein weiblicher Form.

Nach der Debatte wurde das Volksbegehren dem Gleichbehandlungsausschuss zur weiteren Behandlung zugewiesen.

Volksbegehren "Neutralität Österreich Ja"

116.832 Österreicher:innen bzw. 1,84 % der Wahlberechtigten haben ein Volksbegehren unterzeichnet, das sich für die immerwährende Neutralität Österreichs einsetzt. Österreich soll demnach abermals erklären, dass es "in aller Zukunft" keinem militärischen Bündnis beitritt und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Staatsgebiet nicht zulässt. Initiiert wurde das Volksbegehren von einer Gruppe rund um Marcus Hohenecker, die sich auch für eine Reihe weiterer Volksbegehren verantwortlich zeichnet.

An der Neutralität werde nicht gerüttelt, versicherte Friedrich Ofenauer (ÖVP). Diese sei für Österreich historisch der Schlüssel zum Tor in die Freiheit gewesen. Das Volksbegehren thematisiere zwar nicht den wichtigen Aspekt der Landesverteidigung, habe aber im Sinne der "geistigen Landesverteidigung" eine Diskussion angestoßen.

Die Neutralität sei mehr als ein faktisches Regelwerk, sondern vielmehr ein Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit, sprach sich Robert Laimer (SPÖ) für eine engagierte Neutralitätspolitik aus.

Unterstützung für das Volksbegehren signalisierte Volker Reifenberger (FPÖ). Eine verfehlte Neutralitätspolitik habe dazu geführt, dass Russland Österreichs Neutralität nicht mehr anerkenne. Die anderen Parteien würden eine unehrliche Neutralitätspolitik betreiben, kritisierte er.

Sowohl die immerwährende Neutralität als auch das Verbot, militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte fremder Staaten zu errichten, seien bereits in der Verfassung verankert, kritisierte David Stögmüller (Grüne) das Volksbegehren. Dieses bringe weder konkrete Vorschläge noch Verbesserungen für die Menschen.

Die Neutralität trage heute zu wenig zur Sicherheit bei, meinte Helmut Brandstätter (NEOS) und sprach sich für eine "kooperative Neutralität" aus. Dabei müsse man für die unterschiedlichen Gefahren Kooperationen suchen.

Nach der Debatte wurde das Volksbegehren dem Landesverteidigungsausschuss zur weiteren Behandlung zugewiesen.

Volksbegehren "Asylstraftäter sofort abschieben"

197.151 Personen bzw. 3,11 % der Wahlberechtigten haben das von Gottfried Waldhäusl, Zweiter Präsident des niederösterreichischen Landtags, initiierte Volksbegehren "Asylstraftäter sofort abschieben" unterzeichnet. Asyl sei ein Schutz auf Zeit für Menschen, die in ihren Heimatländern um ihr Leben fürchten müssten. Es könne jedoch nicht sein, dass straffällige Asylwerber:innen die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung bedrohen. Kriminell gewordene Asylwerber:innen sollten daher nicht in österreichischen Gefängnissen "durchgefüttert" werden, sondern ihre Haftstrafen in ihren Heimatländern verbüßen, fordern die Befürworter:innen.

Nach der Straffälligkeit von Asylwerber:innen und –berechtigten würden fremdenrechtliche Konsequenzen sofort geprüft, erläuterte Andreas Minnich (ÖVP). Die "Asylbremse" wirke und es gebe einen deutlichen Rückgang an Asylanträgen. Mehr Antragsteller:innen hätten Österreich verlassen als neue hinzugekommen seien.

Innenminister Karner habe nicht die Lösungen, die es braucht, meinte hingegen Reinhold Einwallner (SPÖ). Skeptisch zeigte sich Einwallner zur rechtlichen Umsetzbarkeit der Forderungen des Volksbegehrens und bemängelte unklare und schwammige Forderungen.

Die Freiheitlichen seien die wahren Frauenschützer, da sie diese vor der Bedrohung schützen wollen, die nach Österreich einströmen wolle, meinte Hannes Amesbauer (FPÖ). Wenn Menschen abgeschoben oder erst gar nicht nach Österreich hereingelassen würden, würden Straftaten wie im Fall Leonie erst gar nicht passieren. Der Zustrom in Lampedusa sei ein "geplanter Kriegsakt" gegen Italien und Europa, sprach sich Amesbauer gegen eine "Masseninvasion" und für eine "Festung" aus.

Wenn es nicht gelingt Straffällige abzuschieben, habe dies oft "ganz praktische" Gründe, wie mangelnde Abkommen mit den Herkunftsstaaten, entgegnete Georg Bürstmayr (Grüne). Zudem kritisierte Bürstmayr, dass die Freiheitlichen Menschenrechte neu formulieren wollten. Diese seien aber das Rückgrat des Grundrechtskatalogs, Eckpfeiler der Demokratie und die Basis für Frieden, Wohlstand und Kultur.

Fremde wegen schweren Straftaten abzuschieben sei bereits bestehendes Recht, kritisierte Johannes Margreiter (NEOS) die Anliegen des Volksbegehrens als Stimmungsmache, die keine geschäftsordnungsmäßige Behandlung im Parlament verdienen würden.

Nach der Debatte wurde das Volksbegehren dem Innenausschuss zur weiteren Behandlung zugewiesen.

Volksbegehren "Umsetzung der Lebensmittelherkunftskennzeichnung!"

Die sofortige und umfassende Einführung einer Lebensmittelherkunftskennzeichnung wird in einem von 149.891 Österreicher:innen bzw. 2,36 % der Wahlberechtigten unterstützten Volksbegehren gefordert. Damit soll ein wesentlicher Beitrag zum Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie zum Erhalt regionaler Arbeitsplätze und der Wertschöpfung erreicht werden, heißt es in der von Leopold Steinbichler gestarteten Initiative. Zudem würden dadurch Lebendtiertransporte eingeschränkt werden. Heimisch und regional erzeugte Lebensmittel seien als Grundrecht in der Verfassung zu verankern und würden deren Verfügbarkeit absichern, so die Initiator:innen des Volksbegehrens.

Carina Reiter (ÖVP) bezeichnete die Kennzeichnung der Herkunft von Lebensmitteln als wichtiges Thema, weshalb man das Volksbegehren entsprechend behandeln wolle. Das Ziel müsse sein, regionale, hochwertige Lebensmittelproduktion durch österreichische Bäuer:innen abzusichern. Clemens Stammler (Grüne) führte an, dass das Thema bereits seit Jahren diskutiert werde.

Für Alois Kainz (FPÖ) würde mit der Kennzeichnung von Lebensmitteln auch das Vertrauen in regionale Produkte, die regionale Wirtschaft und die Versorgungssicherheit gestärkt werden. Seine Fraktion nehme Regionalität ebenfalls ernst, versicherte Christian Drobits (SPÖ). Allerdings gehe ihm das Volksbegehren nicht weit genug. Denn es komme nicht nur auf Regionalität, sondern insbesondere auch auf Qualität an. Auch das Kriterium der Tierhaltung fehle im Volksbegehren. Katharina Werner (NEOS) unterstrich, dass Transparenz bei der Herkunft von Lebensmitteln wichtig sei. Sie dürfe aber nicht zur "Bürokratiekeule" werden. Werner plädierte für Verhaltensänderungen.

Das Volksbegehren wurde dem Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie zugewiesen.

Volksbegehren "Lebensmittelrettung statt Lebensmittelverschwendung"

Geht es nach dem Volksbegehren "Lebensmittelrettung statt Lebensmittelverschwendung", das von 203.831 Unterstützer:innen bzw. 3,21 % der Wahlberechtigten unterzeichnet wurde, soll es - nach dem Vorbild von Frankreich, Italien und Tschechien – zu einer gesetzlichen Regelung zur Bekämpfung von Lebensmittelabfällen kommen. Konkret sollen Lebensmittelunternehmen sowie Supermärkte mit mehr als 400 m2 Verkaufsfläche verpflichtet werden, nicht mehr verkaufsfähige aber noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen oder direkt an Bedürftige zu spenden bzw. diese bei Eignung auch als Tierfutter zu verwerten. Initiiert wurde dieses Volksbegehren von Lukas Papula.

Elisabeth Feichtinger (SPÖ) unterstrich die Bedeutung des Themas. Man müsste gar nicht mehr über Maßnahmen diskutieren, wenn die Regierung sich selbst ernst nehmen und das eigene Regierungsprogramm umsetzen würde, kritisierte sie. Die Regierung habe sehr wohl Maßnahmen gesetzt, entgegnete Ulrike Fischer (Grüne) und führte etwa Mittel von 10 Mio. € zur Unterstützung der Logistik von Tafeln und Sozialmärkten an. Katharina Werner (NEOS) plädierte statt für den im Volksbegehren geforderten Zwang für positive Anreize, etwa steuerlicher Natur.

Carmen Jeitler-Cincelli (ÖVP) übte Kritik am Volksbegehren. Es sei zum Geschäftsmodell geworden, Volksbegehren einzubringen und den Pauschalbetrag zu kassieren. Das sei ein Missbrauch der direkten Demokratie. Für Jeitler-Cincelli braucht es eine neue Strategie für dieses Instrument.

Auch dieses Volksbegehren wurde dem Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie zugewiesen.

Volksbegehren "Untersuchungsausschüsse live übertragen"

Ein von 102.755 Österreicher:innen bzw. 1,62 % der Wahlberechtigten unterzeichnetes Volksbegehren spricht sich dafür aus, parlamentarische Untersuchungsausschüsse künftig via Livestream zu übertragen. Im Sinne der Transparenz müsse es der Bevölkerung ermöglicht werden, zumindest medienöffentliche Sitzungen mittels Direktübertragung in Bild und Ton zu verfolgen, heißt es in der von Lukas Papula gestarteten Initiative. Konkret soll demnach ein Livestream auf der Parlamentswebsite angeboten und auch interessierten Medien zur Verfügung gestellt werden. Erklärtes Ziel der Initiator:innen ist eine größtmögliche Verbreitung der Befragungen von Auskunftspersonen.

Derzeit können nur Medienvertreter:innen die Befragung von Auskunftspersonen in U-Ausschüssen mitverfolgen. Die Befragungsprotokolle werden später auf der Parlamentswebsite veröffentlicht, sofern die Befragung nicht unter Ausschluss der Medien stattfand.

Grundsätzliches Verständnis für das Anliegen äußerte Bettina Rausch-Amon (ÖVP). Ihre Fraktion sei auch gesprächsbereit. Allerdings erschließe ihr sich nicht, wie es gelingen solle, das öffentliche Interesse mit den Persönlichkeitsrechten der Befragten unter einen Hut zu bringen.

Die ÖVP schiebe Bedenken in puncto Persönlichkeitsrechte vor, kritisierten Selma Yildirim (SPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS). Aus Yildirims Sicht sollten Liveübertragungen von Untersuchungsausschüssen im Sinne der Transparenz und der Demokratie ermöglicht werden. Scherak (NEOS) meinte ebenfalls, die Bürger:innen hätten ein Recht darauf, zuzusehen, was im Untersuchungsausschuss passiere. Auch Nina Tomaselli (Grüne) sprach sich für eine solche Übertragung aus. Christian Hafenecker (FPÖ) meinte, die "Beliebigkeit der Auslegung" der Geschäftsordnung auch im Untersuchungsausschuss müsse den Bürger:innen durch Übertragungen gezeigt werden.

Nach der Debatte wurde das Volksbegehren dem Geschäftsordnungsausschuss zur weiteren Behandlung zugewiesen. (Schluss Nationalrat) pst/kar

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar