Parlamentskorrespondenz Nr. 1292 vom 28.11.2023
Parlament: Expertinnen diskutieren über Feministische Außenpolitik
Wien (PK) – Als erstes Land hat Schweden im Jahr 2014 beschlossen, seine Außenpolitik "feministisch" zu gestalten und damit Frauen und marginalisierte Gruppen stärker in den Fokus der internationalen Beziehungen des Landes zu rücken. Im Mittelpunkt von Entscheidungen sollen der Mensch und Menschenrechte stehen und gleichzeitig Machtverhältnisse kritisch hinterfragt werden. Inzwischen haben auch andere Länder das Konzept zumindest teilweise aufgegriffen, während es in Schweden nach einem Regierungswechsel wieder verworfen wurde.
Was Feministische Außenpolitik von traditioneller Außenpolitik unterscheidet und was sie bewirken kann, darüber diskutierten heute Abend die ehemalige schwedische Außenministerin Ann Linde, die Mitbegründerin und Co-Leiterin des in Berlin beheimateten Zentrums für Feministische Außenpolitik (CFFP) Kristina Lunz und die Politikwissenschaftlerin Toni Haastrup von der Universität Manchester unter der Moderation von Markus Müller-Schinwald (Ö1) im Parlament. Besonders die Krisen der letzten Jahre, internationale politische Spannungen und die neuen Kriegsgeschehnisse in Europa und im Nahen Osten hätten die Notwendigkeit eines Perspektivenwechsels in der Außenpolitik verdeutlicht, hieß es dazu im Programm.
Eingeladen zur Veranstaltung hatte Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und das Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC). Bures konnte wegen einer Tagung der parlamentarischen Europaausschüsse in Madrid zwar selbst nicht an der Veranstaltung teilnehmen, wandte sich aber mit einer Videogrußbotschaft an die Teilnehmer:innen, in der sie auf die weltweit zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen verwies. Allein im letzten Jahr seien 230.000 Menschen bei bewaffneten Konflikte gestorben, so viele wie seit 30 Jahren nicht mehr.
Die Folgen der Konflikte und der oftmals damit verbundene Rückgang demokratischer Strukturen würden insbesondere auch Frauen treffen, hob Bures hervor. Es brauche daher eine andere Herangehensweise an Außenpolitik. Feministische Außenpolitik bringe relevante Impulse zu einer nachhaltigen Lösung von Konflikten und zur Prävention, ist sie überzeugt. Bures betonte zudem, dass Österreich als neutrales Land immer die Stimme für Frieden und für Menschenrechte erhebe.
Sybille Straubinger, geschäftsführende Direktorin des VIDC, wies darauf hin, dass Außenpolitik bis vor kurzem ein politisches Randthema gewesen sei. Das habe sich in den letzten Jahren und Monaten geändert. Die aktuellen Konflikte würden ein Licht darauf werfen, wie viele Staaten in der Politik versagt haben und wie viele internationale Organisationen zu scheitern scheinen. Dass das
VIDC für die heutige Veranstaltung das Thema Feministische Außenpolitik gewählt hat, hat Straubinger zufolge zwei Gründe: Zum einen habe Feministische Außenpolitik Gewalt gegen Frauen im Fokus, und gerade jetzt laufe die Aktion "16 Tage gegen Gewalt". Frauen könnten viel seltener vor Konflikten fliehen, weil sie auch auf der Flucht mit Gewalt rechnen müssen, gab sie in diesem Zusammenhang zu bedenken.
Zum anderen gehe es bei Feministischer Außenpolitik um Frieden. Untersuchungen haben laut Straubinger ergeben, dass die Gewaltbereitschaft eines Staates umso niedriger ist, je gleichberechtigter Frauen dort sind. Auch steige die Wahrscheinlichkeit für eine nachhaltige Friedenslösung, wenn Frauen daran beteiligt seien. Trotzdem seien Frauen nur selten in Verhandlungen und Friedensverträge eingebunden.
Einen genaueren Blick auf Feministische Außenpolitik warf eine Filmeinspielung. Diese Art der Außenpolitik zeige einen neuen, alternativen Weg auf, wie man Krisen begegnen könne, wurde darin betont. Es gehe um Friedenspolitik, die eng mit den Menschenrechten verknüpft sei und den Fokus auf Geschlechtergerechtigkeit als zentrale Voraussetzung für Frieden richte. Außerdem sei Feministische Außenpolitik machtkritisch und fordere eine Transformation internationaler Machtverhältnisse. Es gehe darum, weltweite Ungleichheiten zu verringern und präventiv gegen Konflikte und Krisen vorzugehen.
Linde: "Genderlinse" verändert die Sicht auf die Welt
Über ihre Erfahrungen als Politikerin berichtete Ann Linde. Sie ist überzeugt, dass eine "Genderlinse" die Sicht auf die Welt verändert. Politiker:innen müssten sich darüber klar sein, dass nichts erreicht werden könne, wenn man die Hälfte der Bevölkerung ausschließe. Wichtig ist ihrer Ansicht nach außerdem, dass man Feministische Außenpolitik systematisch betreibt und als Methode zur Entwicklung von Lösungsansätzen versteht.
Der schwedische Ansatz sei eine Fokussierung auf die drei "R" gewesen, schilderte Linde: Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Die Stärkung von Rechten trage wesentlich zum Empowerment von Frauen bei. Zudem gelte es darauf zu achten, dass Frauen in Gremien, wo Entscheidungen getroffen werden, nicht unterrepräsentiert seien. Auch brauche es eine gerechte Verteilung von Ressourcen. Daher sei Gender Budgeting bei der Verteilung von Finanzmittel wichtig.
Sie selbst habe sich etwa während ihrer Zeit als Ministerin bei Auslandsbesuchen immer mit Frauenorganisationen beraten, erzählte Linde. Auch bei globalen Handelsabkommen sei es wichtig, die Perspektive von Frauen einzubeziehen. Zum Beispiel habe sich herausgestellt, dass es in den USA zum Teil sehr unterschiedliche Zölle auf Frauen- und Männerbekleidung gab. Auch bei Sicherheitsnormen werde oft auf die männliche Statur und männliches Gewicht abgestellt.
Lunz: Ohne Feminismus kann es keinen nachhaltigen Frieden geben
Einen Blick auf das Thema aus zivilgesellschaftlicher Perspektive warf Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP). Aus ihrer Sicht ist klar: Ohne Feminismus kann es keinen nachhaltigen Frieden geben. Patriarchale Strukturen müssten weltweit abgeschafft und zerstört werden.
Frauenrechtlerinnen sei es, historisch gesehen, immer schon um die Verhinderung von Gewalt gegangen, betonte Lunz. Sie hätten gegen die Vormachtstellung von Männern in Staat und in der Familie gekämpft. Auch Forderungen nach Demilitarisierung und nuklearer Abrüstung hätten feministische Wurzeln.
Als "extrem kurzsichtig" wertete es Lunz in diesem Sinn, sich in Konflikten auf "harte Sicherheitspolitik" zu konzentrieren. In Russland seien etwa seit Beginn des Jahrtausends Frauen- und LGBTQI-Rechte systematisch abgeschafft worden. Menschenrechtsaktivist:innen hätten schon vor Jahren gesagt, dass da noch Schlimmeres kommen werde. Auf solche Entwicklungen gelte es, einen Fokus zu richten. Was globale Menschenrechtsverletzungen betrifft, äußerte Lunz die Hoffnung, dass das deutsche Lieferkettengesetz etwas bewirkt, ihre Organisation sei aber nicht in die Ausarbeitung eingebunden gewesen.
Haastrup: Es braucht Empowerment von Akteurinnen
Toni Haastrup, Chair in Global Politics der University of Manchester, hob die Notwendigkeit hervor, Frauen im globalen Süden zu stärken. Es brauche ein Empowerment der Akteur:innen, betonte sie. Feminist:innen würden zu wenig Unterstützung von Staaten bekommen. Feministische Außenpolitik könne helfen, ein emanzipatorisches Bild voranzubringen. Auch Medien spielen nach Meinung von Haastrup eine wichtige Rolle: Sie entscheiden mit, welche Krisen öffentliche Aufmerksamkeit erlangen und was dabei priorisiert werde.
Die Politikwissenschaftlerin warnte außerdem davor, in Krisen eigene Werte zu verschieben. Gerade in Krisenzeiten sei es wichtig, zu den eigenen Werten und Prioritäten zu stehen und diese nicht zu vernachlässigen. Auf eine Frage aus dem Publikum, was feministische Außenpolitik im Umgang mit den Taliban bedeute, sagte Haastrup, darauf eine Antwort zu geben, sei schwierig. Es sei fast unmöglich, Frauengruppen in Afghanistan zu erreichen, ohne nicht irgendwie über die Taliban zu gehen. Man müsse aber den Dialog fortsetzen, um den Taliban zu vermitteln, dass man keine Politik ohne die Hälfte der Bevölkerung machen könne.
Frauen in Erarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie einbinden
Vom Moderator auf den laufenden Prozess zur Erarbeitung einer neuen Österreichischen Sicherheitsstrategie angesprochen, waren sich die Podiumsteilnehmerinnen einig, dass es wichtig sei, dabei den Blickwinkel von Frauen mitzuberücksichtigen. So plädierte Lunz dafür, die Zivilgesellschaft, etwa in Form von feministischen Vertreterinnen und Menschenrechtsvertreter:innen, in den Prozess einzubeziehen und dabei auch Honorare für Beratungen zu zahlen. Auch Linde betonte, dass man die Sichtweisen von Frauen brauche. Anhand von zwei Friedensmissionen in Afrika veranschaulichte sie, wie wichtig es ist, auch bei militärischen Einsätzen eine Geschlechteranalyse durchzuführen. (Schluss) gs
HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.