Parlamentskorrespondenz Nr. 1371 vom 07.12.2023

Menschen mit Behinderung: Sozialausschuss einstimmig für spätere Arbeitsunfähigkeitsfeststellung

Mehrheit für Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes

Wien (PK) – Einstimmig unterstützte der Sozialausschuss heute eine Regierungsvorlage, mit der die Arbeitsunfähigkeitsfeststellung von Menschen mit Behinderungen künftig erst ab einem Alter von 25 Jahren möglich sein soll. Damit erhalten Betroffene bis zu diesem Alter Zugang zu den Leistungen des AMS. Arbeitsminister Martin Kocher bezeichnete die Änderung als Paradigmenwechsel für die Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt.

Ebenfalls ins Plenum geschickt hat der Ausschuss Erleichterungen bei Beschäftigung und Aufenthalt für Personen aus dem Ausland in den Bereichen öffentlicher Verkehr und Pflege. Zahlreiche Anträge der Opposition wurden vertagt.

Feststellung der Arbeitsunfähigkeit künftig erst mit 25 Jahren

Derzeit wird die Arbeitsunfähigkeit bei Menschen mit Behinderungen bereits im Jugendalter festgestellt, was dazu führt, dass die Betroffenen keinen Zugang zu Leistungen des AMS haben. Mit der vorgeschlagenen Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (2307 d.B.) sollen Personen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nicht verpflichtet werden können, an einer Untersuchung der Arbeitsfähigkeit teilzunehmen. Sie sollen somit bis zum Alter von 25 Jahren beim AMS betreut und vorgemerkt werden und entsprechende Schulungen in Anspruch nehmen können. Betroffene können Arbeitslosengeld beziehen, sofern sie ihre Anwartschaft aufgrund einer Beschäftigung nachweisen können. Die Regelung soll mit 1. Jänner 2024 in Kraft treten. Um Härtefälle zu vermeiden, sollen Gutachten, die im Jahr 2023 angeordnet wurden, ebenfalls bis zum 25. Lebensjahr nicht zur Anwendung kommen. Der Ausschuss brachte die Novelle einstimmig auf den Weg.

Das AMS muss den Betroffenen gemäß der vorgeschlagenen Änderungen im Arbeitsmarktservicegesetz künftig binnen acht Wochen eine Schulungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahme anbieten, sofern die Personen zumindest eingeschränkt bestimmte Tätigkeiten ausüben können. Weil diese Personengruppe bisher in der Regel nicht im ersten Arbeitsmarkt eingegliedert war, hält die Regierung für die Entwicklung geeigneter Maßnahmen eine Zusammenarbeit zwischen AMS und Sozialministeriumsservice (SMS) sowie den Ländern für notwendig. Diese drei Partner haben bei der Suche nach offenen Stellen, bei Beihilfen für potenzielle Arbeitgeber:innen und der Abklärung besonderer Bedarfslagen für die Vermittlung in einer Systempartnerschaft zusammenzuwirken. Die in den Ländern bereits bestehenden Betreuungsstrukturen und Unterstützungsmaßnahmen sollen weiterhin beibehalten und angeboten werden.

Markus Koza (Grüne) bezeichnete die Neuerungen als Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik für junge Menschen mit Behinderungen. Es handle sich um einen wesentlichen Schritt für mehr Integration und Chancengerechtigkeit für die Betroffenen. Durch die bisher so früh durchgeführte Feststellung der Arbeitsunfähigkeit habe man jungen Menschen berufliche Chancen verbaut. Das ändere sich jetzt dadurch, dass das AMS künftig für Menschen mit Behinderungen bis zu einem Alter von 25 Jahren zuständig ist. Koza kündigte an, dass das Jugendcoaching in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion übernehmen werde.

Auch Arbeitsminister Martin Kocher sprach bei der Änderung von einem Paradigmenwechsel. AMS und SMS seien bereits beauftragt worden, die Vorbereitungen zu treffen. Kocher kündigte auch eine Hotline für Betroffene an. Von Fiona Fiedler (NEOS) auf die Stichtage angesprochen, gestand er ein, dass auch ihm lieber wäre, wenn es keine Stichtage brauche. Die Änderungen seien aber sonst nicht umsetzbar. Am schlimmsten wäre aus seiner Sicht, den Betroffenen etwas zu versprechen, was dann aus Kapazitätsgründen nicht eingehalten werden könne.

Fiedler (NEOS) sah in der Novelle einen guten Schritt in die richtige Richtung. Sie sei aber noch nicht ganz zufrieden, weil ihrer Meinung nach die Einteilung in arbeitsfähig und arbeitsunfähig generell abgeschafft werden müsse. Verena Nussbaum (SPÖ) zeigte sich erfreut über die schnelle Umsetzung der Änderung. Sie stellte die Frage in den Raum, inwieweit AMS und SMS bereits auf die neuen Anforderungen vorbereitet seien.

FPÖ-Initiativen für Menschen mit Behinderungen vertagt

Vertagt wurden Forderungen der FPÖ nach einen verpflichtenden Mindestlohn und einer vollen Sozialversicherungspflicht für Beschäftigte in Behindertenwerkstätten (381/A(E)), die bislang nur ein Taschengeld erhalten, und einem Inklusionsfonds für Menschen mit Behinderungen nach Vorbild des Pflegefonds (3608/A(E)). Der Fonds soll laut Freiheitlichen mit mindestens 500 Mio. € dotiert werden und vor allem Leistungen der persönlichen Assistenz im Bereich Schule und Beruf abdecken.

Christian Ragger (FPÖ) mahnte eine baldige Umsetzung der schon mehrmals vertagten Initiativen ein. Fiona Fiedler (NEOS) und Verena Nussbaum (SPÖ) äußerten Zustimmung zu beiden Anliegen. Auch Bedrana Ribo (Grüne) bezeichnete beide Forderungen als wichtig. Zum komplexen Thema Lohn statt Taschengeld werde kommende Woche eine Studie vorgestellt, deren Ergebnisse man abwarten wolle, begründete sie die Vertagung. Den Inklusionsfonds würde man in Verhandlungen mit den Bundesländern immer wieder einbringen. Er würde bei den Ländern aber nicht an oberster Stelle der Prioritätenliste stehen, so Ribo.

Erleichterungen für Personen aus dem Ausland in den Bereichen öffentlicher Verkehr und Pflege

Den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes sowie des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (3774/A) stimmten im Ausschuss ÖVP, Grüne und NEOS zu. Damit sollen die Möglichkeiten zur Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten im öffentlichen Verkehr insofern erweitert werden, als dass künftig eine Berufsberechtigung dem Nachweis einer abgeschlossenen Berufsausbildung (bzw. einem Lehrabschluss) gleichgehalten wird, um eine Zulassung als Fachkraft zu ermöglichen. Schließlich gebe es vor allem bei Straßenbahnfahrer:innen und Autobuslenker:innen einen großen Bedarf, wie es in den Erläuterungen heißt. Im Pflegebereich soll es Änderungen für Aufenthaltsbewilligungen von Schüler:innen aus Drittstaaten geben. Diese sollen künftig auch für Schüler:innen von Schulen für Sozialbetreuungsberufe, von Fachschulen für Sozialberufe, Fachschulen für Sozialberufe mi Pflegevorbereitung und Höheren Lehranstalten für Pflege und Sozialbetreuung erteilt werden dürfen.

Rebecca Kirchbaumer (ÖVP) machte den "exorbitanten Fahrermangel" am Beispiel der Tiroler Verkehrsbetriebe deutlich. Buslinien müssten teilweise eingestellt werden, weil es keine Lenker:innen gebe. Solange es am österreichischen Arbeitsmarkt nicht genug Personal gebe, müsse man sich mit diesem Instrument behelfen, zeigte Kirchbaumer sich überzeugt. Auch Markus Koza (Grüne) hielt die Erleichterungen für wichtig. Schließlich würden im öffentlichen Verkehr zusätzliche Arbeitskräfte dringend benötigt. Natürlich seien auch Ausbildungen für Personen im Land notwendig, aber angesichts der "massiven Probleme" gehe es derzeit nicht anders, so Koza.

Die NEOS würden die Flexibilisierung, insbesondere für die Beschäftigung von Erwerbstätigen in der Personenbeförderung, begrüßten, legte Gerald Loacker dar. Es zeige sich jedoch, dass die Regierung womöglich bisher zu strikt gewesen sei und sich generell einen anderen Zugang überlegen müsse, um den Arbeitskräftebedarf zu decken.

Alois Stöger (SPÖ) hingegen äußerte sich kritisch. Für ihn handle es sich um eine Abschaffung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes im Verkehrsbereich, weil somit alle dort Tätigen eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten würden. Arbeitsminister Kocher hielt dem entgegen, dass die geltenden Voraussetzungen für eine Rot-Weiß-Rot-Karte selbstverständlich weiterhin erfüllt werden müssten. Die vorgesehenen Änderungen halte er aber angesichts der Knappheiten für wesentlich. Peter Wurm (FPÖ) kritisierte insgesamt die Mangelberufsliste als zu umfassend. Er sehe Entwicklungen, die den "unqualifizierten Zuzug" erweitern würden. Arbeitskräfte aus Drittstaaten können laut Wurm nicht die Lösung sein. Es brauche eine generelle Systemänderung.

Freiheitliche fordern Einschränkungen für Menschen aus dem Ausland

In diese Richtung gehen auch zwei Anträge der Freiheitlichen, die beide vertagt wurden. Sie fordern ein Maßnahmenpaket, das sektorale Zuzugsbeschränkungen für Nicht-EU-Bürger:innen und EU-Bürger:innen nach gewissen Kriterien beinhalten soll (3670/A(E)). Für Langzeitarbeitslose mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft soll es laut dem FPÖ-Vorschlag ein degressives Arbeitslosengeld geben. Ernst Gödl (ÖVP) hielt das für einen falschen Zugang, sprach sich aber angesichts der Tatsache, dass diese Forderungen bereits im Plenum diskutiert worden seien, für eine Vertagung aus.

Mit einem weiteren Antrag setzt sich die FPÖ für einen "Zuwanderungsstopp in den österreichischen Sozialstaat" (3713/A(E)) ein und plädiert unter anderem dafür, die Grundversorgung für alle Flüchtlinge auf Sachleistungen zu beschränken und diese zu gemeinnütziger Arbeit ohne Entgelt zu verpflichten.

Weitere Oppositionsanträge von Koalition vertagt

Mehrere Anträge der Sozialdemokrat:innen wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt. Die Integration von zugewanderten Menschen in den Arbeitsmarkt sowie die Beratung von Menschen mit Behinderungen und Langzeitarbeitslosen würden Herausforderungen für das AMS darstellen, für die es einer besseren personellen Ausstattung bedürfe, sind die Sozialdemokrat:innen überzeugt und fordern daher eine Personaloffensive für das AMS und 50 neue Stellen für die Arbeitsinspektion (3725/A(E)).

Die SPÖ tritt außerdem dafür ein, die kürzlich beschlossene Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung zurückzunehmen, das Arbeitslosengeld auf 70 % des letzten Einkommens zu erhöhen, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe jährlich zu valorisieren, den Berechnungszeitraum des Arbeitslosengeldes näher an die Inanspruchnahme zu rücken und den Familienzuschlag zu verdreifachen (3726/A(E)). Für Christian Drobits (SPÖ) sei eine Valorisierung des Arbeitslosengeldes angesichts der Teuerung unbedingt erforderlich. Bettina Zopf (ÖVP) hingegen legte dar, dass die Volkspartei sich eine Reform mit einer degressiven Gestaltung des Arbeitslosengeldes und einer weiteren Senkung der Lohnnebenkosten wünschen würde. Weil man sich bislang nicht mit dem Koalitionspartner einigen habe können, sprach sie sich für eine Vertagung aus.

Für Lehrlinge in überbetrieblichen Ausbildungen fordern die Sozialdemokrat:innen ein kollektivvertragliches Lehrlingseinkommen statt der Ausbildungsbeihilfe (3728/A(E)). Michael Seemayer (SPÖ) wies auf eine "massive Ungleichbehandlung" unter den Lehrlingen hin.

Ein Ende von "Privilegien, Parteipolitik, Spitzengagen und Zwangsmitgliedschaft" bei Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer fordern die Freiheitlichen in einem Antrag, der im Ausschuss ebenfalls vertagt wurde (3549/A(E)). Die Arbeiterkammerumlage und die Wirtschaftskammerbeiträge sollen laut FPÖ evaluiert und gesenkt, die Gehälter und Funktionsgebühren für die AK- und WKO-Spitze reduziert, eine "Opting-out"-Möglichkeit von der Pflichtmitgliedschaft verankert und die beiden Kammern "entparteipolitisiert" werden.

Erneut vertagt wurde auch ein Antrag, mit dem die FPÖ angesichts der Teuerung auf Entlastungsmaßnahmen pocht (3550/A(E)). Die Vorschläge reichen von einer Halbierung bzw. Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Treibstoffe über eine automatische Valorisierung des Arbeitslosengeldes bis zur Abschaffung der geplanten ORF-Haushaltsabgabe. Markus Koza (Grüne) begründete die Vertagungen der beiden FPÖ-Anträge damit, dass über die Forderungen bereits mehrmals im Plenum diskutiert worden sei.

Keine offenen Anträge für Sonderbetreuungszeit mehr

Der Monatsbericht des Arbeitsministers über die Ausgaben für die Sonderbetreuungszeit zeigt, dass mit Ende Oktober 2023 erstmals keine offenen Anträge auf Erstattungsanspruch mehr vorlagen (III-1060 d.B.). Die Sonderbetreuungszeit wurde während der COVID-19-Pandemie für Eltern geschaffen, die ihre Kinder coronabedingt zuhause betreuen mussten. In der letzten Phase, der Phase 8, wurden 181 Anträge ausbezahlt und 26 abgelehnt. Die Kosten betrugen Ende Oktober 2023 insgesamt rund 37,63 Mio. €. Der Bericht wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung Sozialausschuss) kar