Ukraine und Israel: Sicherheitspolitik dominiert EU-Hauptausschuss
Nehammer und Schallenberg stellen sich Fragen der Abgeordneten
Wien (PK) – Im Vorfeld des Zusammentreffens der EU-Staats- und Regierungschefs im Rahmen des Europäischen Rates standen Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg heute den Abgeordneten im EU-Hauptausschuss Rede und Antwort. Angesichts der andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und im Gaza-Streifen stellten sicherheitspolitische Erwägungen das Hauptinteresse der Abgeordneten dar. Sämtliche für die EU-Ratssitzung am 14. und 15. Dezember geplanten Themen, wie etwa die EU-Erweiterung, wurden unter diesem Gesichtspunkt besprochen. Speziell die vorgeschlagene Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine sorgte für hitzige Debatten.
So forderte die FPÖ in einem Antrag auf Stellungnahme ein österreichisches Veto sowohl gegen die Aufstockung des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU, inklusive der geplanten Fazilität für die "Kriegspartei Ukraine", als auch gegen die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Zudem soll die Bundesregierung auf EU-Ebene die Beendigung der Sanktionen gegen Russland einfordern. Der Antrag erhielt nur die Stimmen der Freiheitlichen und bleib somit in der Minderheit.
Nehammer: Stabilität und Wohlstand exportieren statt Instabilität importieren
Einleitend lieferten Bundeskanzler Nehammer und Außenminister Schallenberg einen Überblick über die bei der Europäischen Ratssitzung zu besprechenden Themen sowie Österreichs Positionen zu diesen. So erklärte Nehammer bezüglich der EU-Erweiterung, dass diese aus österreichischer Perspektive einen "Motor" für Reformen in den betreffenden Ländern darstelle. Österreich unterstütze seit "je her" die EU-Integration der Westbalkan-Staaten. Nun solle als Zeichen der Solidarität auch der Ukraine und der Republik Moldau eine Beitrittsperspektive geboten werden, berichtete Nehammer und sprach sich nachdrücklich gegen ein "Schnellverfahren" für die beiden Staaten aus. Zudem benötige es auch EU-interne Reformen, wenn die Union "fit" für eine Erweiterung sein wolle. Generell gelte jedoch gerade in der direkten Nachbarschaft, dass es besser sei, Wohlstand und Stabilität zu exportieren, als Instabilität zu importieren, zeigten sich Nehammer und Schallenberg einig.
So wie andere kleine und mittelgroße Länder in der EU spreche sich Österreich außerdem klar für die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips in wichtigen Fragen aus. Kritisch äußerte sich Nehammer bezüglich des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU für 2021 bis 2027, für den ein "top-up" in der Höhe von 67 Mrd. € vorgeschlagen worden sei. Dies sei für Österreich "und die anderen Nettozahler" immer noch zu viel, obwohl auf deren Druck die Summe bereits reduziert worden sei. Österreich werde dem nicht zustimmen. Nehammer verwies auf die Möglichkeit von Budgetumschichtungen und -kürzungen innerhalb der verschiedenen Bereiche.
Bezüglich dem Themenkomplex Asyl und Migration zeigte sich Nehammer erfreut, dass der im Februar eingeleitete "Paradigmenwechsel" vorangetrieben werde. Immer mehr EU-Mitgliedstaaten unterstützten den Fokus auf einen verstärkten Außengrenzschutz und die Zusammenarbeit mit sicheren Drittstaaten, um das Geschäftsmodell der Schlepper und das Sterben im Mittelmeer zu unterbinden.
Schallenberg: Ein Feuerring lodert um Europa
Vom Südkaukasus bis zur Sahel-Zone lodere ein "Feuerring" um Europa, konstatierte Außenminister Schallenberg unter Verweis auf zahlreiche Krisengebiete, zu denen mit dem "veritablen Zivilisationsbruch" der Hamas seit dem 7. Oktober auch der Nahe Osten zähle. Hinsichtlich der Lage in Israel schilderte er jene Zielsetzungen, die die europäische Politik aus seiner Sicht prioritär zu verfolgen habe. Neben der bedingungslosen und sofortigen Freilassung der Geiseln der Hamas, sah Schallenberg insbesondere die Verhinderung eines "Flächenbrands" in der Region als vorrangig an. Diese Gefahr sei angesichts der Rolle der Hisbollah und der gestiegenen Anzahl an Raketenangriffen durch die Huthi-Rebellen im Jemen nicht gebannt. Auch die Gewaltakte radikaler israelischer Siedler würden zusätzlich "Öl ins Feuer" gießen, so Schallenberg.
Weiters müsse Europa auch zur Linderung der humanitären Not im Gaza-Streifen beitragen und dabei klar zwischen der Hamas und der dortigen Zivilbevölkerung unterscheiden. Wichtig sei jedoch das "kein einziger Cent" europäischer Hilfsgelder in antisemitische Propaganda oder gar in die Terrorfinanzierung fließe. Schallenberg habe eine dementsprechende Evaluierung der EZA (Entwicklungszusammenarbeit)-Mittel verordnet, aus der hervorgegangen sei, dass es keine Hinweise auf einen dahingehenden Missbrauch der Gelder gebe. Auch was die Förderung von NGOs aus dem EU-Budget betreffe, müssten antisemitische Handlungen und Äußerungen einen klaren Ausschlussgrund darstellen, so Schallenberg.
Ausschussdebatte über die Haltung gegenüber Ukraine und Russland
Für den Großteil der Abgeordneten galt das Hauptinteresse den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten sowie den europäischen Antworten darauf. So fragte Jörg Leichtfried (SPÖ) Bundeskanzler Nehammer, ob sich Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, mit ihm abgesprochen habe, bevor sie die Beitrittsgespräche mit der Ukraine in Aussicht gestellt hat. Nehammer verneinte dies. Es habe generell keine Konsultationen von der Leyens mit Regierungschefs gegeben, was auf deren Seite auf "keine Gegenliebe" gestoßen sei. Den FPÖ-Abgeordneten Petra Steger, Christian Hafenecker und Axel Kassegger antwortete Nehammer, dass Österreich unter den derzeitigen Voraussetzungen den Beitrittsgesprächen mit der Ukraine nicht zustimmen werde. Es dürfe insbesondere gegenüber Bosnien und Herzegowina, das sich nun ebenfalls in Beitrittsverhandlungen befinde, keine Bevorzugung der Ukraine geben. Laut Helmut Brandstätter (NEOS) möchte auch die Ukraine selbst einen leistungsbasierten "ordentlichen Aufnahmeprozess".
Zum freiheitlichen Antrag auf Stellungnahme, der unter anderem auf ein Veto zu den EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine abzielt, fanden Wolfgang Gerstl (ÖVP), Ewa Ernst-Dziedzic und David Stögmüller (beide Grüne) scharfe Worte, da darin zwar die Ukraine als "Kriegspartei" bezeichnet werde, Waldimir Putin jedoch nicht als "Kriegsverbrecher", wie Gerstl kritisierte.
Bezüglich der geplanten Verschärfungen der Sanktionen gegen Russland zeigte sich Petra Steger kritisch. Laut ihr würde Russland diese etwa über Indien umgehen und ein Wirtschaftswachstum von 2,2 % verzeichnen, während Europa "auf der Strecke" bleibe. Russlands Wirtschaft wachse aufgrund der Umstellung auf eine Kriegswirtschaft, die mit Milliarden an staatlichen Investitionen in die Rüstungsindustrie einhergehe, entgegnete Nehammer. Die Sanktionen würden Erfolge vor allem im Bereich der Hochtechnologie und damit zusammenhängender Waffensysteme zeitigen. Nicht nur im Sinne der Solidarität mit der Ukraine sei es wichtig, Haltung gegen Russland zu zeigen, sondern auch und insbesondere für die österreichische Sicherheit selbst, so Nehammer.
Von Alois Schroll (SPÖ) auf die Frage der Versorgungssicherheit angesprochen, verwies Nehammer auf einen Gasspeicherstand von über 98 %. Dies ändere aber nichts daran, dass die Abhängigkeit von Russland reduziert werden müssen, was einerseits über die Verhandlung von Flüssiggasimporten und andererseits über die Forcierung erneuerbarer Energien angestrebt werde.
Generell befinde sich Österreich nach wie vor auf der Linie der EU, was die Solidarität mit der Ukraine angehe, jedoch ohne die Neutralität zu verletzen, erklärte Nehammer. Es gehe vornehmlich um finanzielle Hilfen, um das "Staatsganze" der Ukraine aufrecht zu erhalten.
Hinsichtlich des von Ewa Ernst Dziedzic (Grüne) und Helmut Brandstätter (NEOS) angesprochenen Zugriffs auf russisches Vermögen zeigte sich Außenminister Schallenberg "zurückhaltend". Gerade wenn die EU auf die Rechtsstaatlichkeit poche, dürfe sie sich nicht zu aus seiner Sicht anfechtbaren Entscheidungen hinreißen lassen. Bei der Verfolgung von russischen Kriegsverbrechen unterstrich Schallenberg, dass diese nicht straflos bleiben dürften und berichtete von Vorbereitungen internationaler gerichtlicher Instanzen für diesen Zweck.
Fragen der Abgeordneten zur europäischen Reaktion auf den Krieg im Gaza-Streifen
Bezüglich des Konflikts im Nahen Osten habe Österreich immer eine "Position des Ausgleichs" vertreten, erklärte Bundeskanzler Nehammer auf dahingehende Fragen von Ewa Ernst-Dziedzic, Michel Reimon (beide Grüne) und Michaela Steinacker (ÖVP). Diese könne es nun jedoch bei der Verurteilung des "Aggressors" Hamas nicht geben. Neben Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe sich Nehammer auch mit Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, getroffen und sich dabei für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen.
Außenminister Schallenberg sah die internationale Unterstützung für Israel im Schwinden begriffen, was auch Israel "vollkommen bewusst" sei. Daher versuche Israel der Propaganda der Hamas "keine Nahrung" zu liefern und zivile Opfer bestmöglich zu vermeiden. Wenn Israels Offensive im Gaza-Streifen aufhöre, wäre dies jedoch ein falsches Signal an die Terroristen und man könne dann von weiteren groß angelegten Angriffen auch anderer Akteure wie der Hisbollah ausgehen. Laut Schallenberg "freue" sich der Iran über die gegenwärtige Lage am meisten, da sie eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten unterlaufe. Die Position letzterer würde sich "hinter den Kulissen" stark von den offiziellen Stellungnahmen unterscheiden, so Schallenberg. Generell wüssten die Beteiligten, dass in den nächsten Wochen eine politische Perspektive aufgebaut werden müsse und, dass es keine Rückkehr zum "Status quo ante" im Gaza-Streifen geben werde.
Weiters interessierte sich Peter Haubner (ÖVP) für die außenpolitische Kooperation mit Tschechien, Jörg Leichtfried (SPÖ) für die Entwicklungen der Schengen-Zone, David Stögmüller (Grüne) für den europäischen Binnenmarkt für Rüstungsgüter, Helmut Brandstätter (NEOS) für das Verhältnis zu Ungarn, Andreas Minnich (ÖVP) für die EU-Integration der Westbalkan-Länder und Wolfgang Gerstl (ÖVP) für den Themenkomplex Asyl und Migration. (Schluss EU-Hauptausschuss) wit