Parlamentskorrespondenz Nr. 67 vom 31.01.2024

Nationalrat behandelt Volksbegehren für unabhängigere Justiz

Grundsatzdebatte zur Entpolitisierung der Staatsanwaltschaft im Plenum

Wien (PK) – Die Sicherstellung einer unabhängigen Justiz ist das zentrale Anliegen eines von 143.217 Wahlberechtigten unterzeichneten Volksbegehrens, das heute im Nationalrat behandelt wurde. Zur Gewährleistung politisch unbeeinflusster Strafverfahren fordern die Proponent:innen konkret, die 2008 abgeschafften Untersuchungsrichter:innen wieder einzusetzen, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in die Verfassung aufzunehmen sowie eine von Kontinuität gekennzeichnete Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft einzusetzen. Deren personelle Unabhängigkeit sei schon im Bestellungsverfahren maßgeblich. Die Bundesstaatsanwaltschaft habe dem Parlament gegenüber verantwortlich zu sein, allerdings nur im Hinblick auf Auskünfte über bereits abgeschlossene Verfahren, so die Erläuterungen.

Im Plenum schieden sich die Meinungen insbesondere an der Forderung nach einer weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft. Während SPÖ, Grüne und NEOS diese befürworteten, um bereits dem Anschein politischer Einflussnahme entgegenzuwirken, befürchteten ÖVP und NEOS eine Beschneidung parlamentarischer Kontrolle. Im Zuge der Debatte brachte die FPÖ zudem einen Entschließungsantrag ein, in dem sie einen Kostenersatz bei eingestellten Ermittlungsverfahren und bei Freisprüchen in Strafverfahren fordert. Dieser blieb in der Minderheit.

Ohne Debatte an den Verfassungsausschuss zurückverwiesen wurde das von 106.440 Bürger:innen unterstützte Volksbegehren " Nehammer muss weg ". Aufgrund eines Missverständnisses der Parlamentsdirektion wurden die Initiator:innen des Volksbegehrens nicht rechtzeitig über den Beginn der Beratungen im Verfassungsausschuss informiert und waren daher nicht anwesend. Die Rückverweisung soll den Initiator:innen nun die Möglichkeit einer Wortmeldung in der Ausschussdebatte einräumen. Im Volksbegehren wird eine Änderung der Verfassung gefordert, um die Einleitung eines Misstrauensvotums gegen Bundeskanzler Karl Nehammer durch die Bevölkerung zu ermöglichen. Nehammer habe das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler grob missbraucht, wobei die Initiator:innen dem Kanzler unter anderem die Einführung der COVID-19-Impfpflicht, die ihrer Meinung nach verfehlte Russland-Politik der Regierung und die Wahlkampfkostenüberschreitung der ÖVP bei der Nationalratswahl 2019 vorwerfen.

Plenardebatte zwischen politischer Einflussnahme und parlamentarischer Kontrolle

Im Plenum betonte Agnes Sirkka Prammer von den Grünen die Relevanz der Thematik, über die sich alle Fraktionen einig seien, und verwies auf das Expertenhearing in der vorangegangenen Sitzung des Justizausschusses. Dieses habe ein Beispiel dafür geliefert, dass die parlamentarische Arbeit in Österreich sehr gut funktioniere. Aus dem Hearing habe sich ergeben, dass die drei Forderungen des Volksbegehrens als "unterschiedlich zielführend" zu beurteilen seien. Jene nach einer Entpolitisierung der Weisungsspitze der Staatsanwaltschaft erachtete Prammer als unterstützenswert. Sie berichtete, dass in den letzten vier Jahren bereits viel in diese Richtung unternommen worden sei, bisher ohne in strukturelle Gesetze einzugreifen. Über die Frage, wie genau die Entpolitisierung umzusetzen sei, herrschten verschiedene Auffassungen zwischen den Parteien. Diese seien jedoch nicht so weit voneinander entfernt, dass eine gemeinsame Lösung dadurch verhindert würde, erklärte Prammer.

Die Sozialdemokratie fordere bereits seit 20 Jahren eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft, warf SPÖ-Mandatarin Selma Yildirim ein. Schon der Anschein einer politischen Einflussnahme auf die unabhängige Justiz müsse verhindert werden. Bisher seien Vorstöße in diese Richtung jedoch immer an der "Blockadehaltung" der ÖVP gescheitert. Von dieser Seite werde die Justiz auch immer wieder öffentlich attackiert, verwies Yildirim insbesondere auf den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und auf Versuche, Ermittlungen "abzudrehen". Die anderen Forderungen des Volksbegehrens nach einer Wiedereinführung der Untersuchungsrichter:innen und nach der Verankerung der WKStA in der Verfassung teile die SPÖ jedoch nicht, da etwa Letztere bereits als Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit verfassungsrechtlich abgesichert sei. Harald Troch (SPÖ) plädierte zudem für eine ausreichende Dotierung des Personalbudgets der WKStA.

FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan wandte sich sowohl gegen die Aufnahme der WKStA in die Verfassung als auch gegen die Forderung nach einer Bundesstaatsanwaltschaft. Die FPÖ sei davon überzeugt, dass es richtig sei, die Weisungsspitze im Justizressort anzusiedeln. In der Debatte darüber komme es zu einer Vermischung der Rolle der Staatsanwaltschaft mit jener des Richteramts, erklärte Stefan. Während Letzteres unabhängig und weisungsfrei ausgeführt werden müsse, habe Erstere die Rechtsinteressen des Staats zu vertreten und solle daher auch einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen sein. Es sei auch "realitätsfremd" anzunehmen, dass eine Bundesstaatsanwaltschaft politisch völlig ungebunden agieren würde. Für Stefans Fraktionskollegen Philipp Schrangl würde deren Einsetzung zudem eine wesentliche Änderung der Verfassung sowie eine Beschränkung der demokratischen Kontrolle durch das Volk bedeuten. Verständnis zeigte Stefan hingegen für die Forderung nach der Wiedereinführung der Untersuchungsrichter:innen, da in Ermittlungsverfahren, für die seit 2008 die Staatsanwält:innen zuständig seien, deren Weisungsgebundenheit als problematisch zu betrachten sei.

Nach dem Hearing zum Volksbegehren im Justizausschuss seien viele Fragen offen geblieben, die auch die Proponent:innen nicht hätten beantworten können, konstatierte ÖVP-Mandatarin Corinna Scharzenberger. So sei unklar, weshalb die WKStA bei gleichzeitiger Wiedereinführung der Untersuchungsrichter:innen in der Verfassung verankert werden sollte. Die WKStA würde dann keine Ermittlungsverfahren mehr leiten und als reines Anklageorgan bzw. als "Fremdkörper" in die Verfassung aufgenommen. Auch würde dadurch keine Organisationsverbesserung erzielt, so Scharzenberger. Hinsichtlich der Bundesstaatsanwaltschaft stimmte sie Harald Stefans Argumentation zu, und warnte vor deren "Verselbstständigung", da "geteilte Verantwortung keine Verantwortung" bedeute. Generell habe Scharzenberger den Eindruck, dass das Volksbegehren eher auf Schlagworten als auf Inhalten basiere. Sie mahnte ein, dass Volksbegehren – bei aller Relevanz als demokratisches Instrument – nicht zu "Geschäftsmodellen der immer gleichen Proponent:innen" werden dürften.

Seitens der NEOS zeigte sich Johannes Margreiter angesichts des bevorstehenden Wahljahres "dankbar" für die Stoßrichtung des Volksbegehrens. Bezugnehmend auf aktuelle Umfragen warnte er vor "rechten Demagogen", deren erstes Angriffsziel an der Macht immer die unabhängige Justiz darstelle. Die Weisungsspitze der Staatsanwaltschaft müsse daher frei von der Möglichkeit politischer Einflussnahme gemacht werden. Margreiter appellierte an ÖVP und Grüne, sich "zusammenzuraufen", solange dies noch möglich sei und eine unabhängige Weisungsspitze auf den Weg zu bringen. Österreich werde diese voraussichtlich "sehr notwendig" haben, so Margreiter. (Fortsetzung Nationalrat) wit

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