Parlamentskorrespondenz Nr. 99 vom 08.02.2024
VwGH: Durchschnittliche Verfahrensdauer hat sich 2022 auf 6,2 Monate verlängert
Wien (PK) – Die durchschnittliche Dauer von Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat sich von 4,7 Monaten im Jahr 2021 auf 6,2 Monate im Jahr 2022 verlängert. 2020 waren es 4,1 Monate gewesen. Grund für diese Entwicklung sind die Nachwirkungen der Corona-Pandemie. Das erschließt sich aus dem Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofs 2022, der vor kurzem von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler dem Nationalrat vorgelegt wurde (III-1114 d.B. und III-847-BR/2024 d.B. ). Gleichzeitig konnte das Höchstgericht die Zahl der zum Jahresende anhängigen Verfahren von 3.812 auf 3.433 reduzieren. Insgesamt hat der VwGH im Jahr 2022 knapp 6.700 Verfahren erledigt.
VwGH-Präsident Rudolf Thienel und seine Richterkolleg:innen rechnen damit, dass es noch eine Zeit lang dauert, bis der Zustand vor der Pandemie erreicht sein wird. Zwar habe der Gerichtshof ab dem Frühjahr 2022 schrittweise wieder zu einem normalen Dienstbetrieb zurückkehren können, die spürbaren Beeinträchtigungen in den Jahren 2020 und 2021 durch Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Personalausfälle hätten aber zu Verzögerungen geführt, die erst langsam wieder aufgearbeitet werden können, halten sie im Bericht fest. Zudem wird auf einen signifikanten Anstieg von Asylbeschwerden in den ersten Monaten des Jahres 2023 verwiesen, der dem VwGH zufolge angesichts der Bemühungen des Bundesverwaltungsgerichts um eine zügige Erledigung der bei ihm anhängigen Asylverfahren noch eine Weile anhalten könnte.
6.158 neue Verfahren
Insgesamt wurden an den VwGH im Jahr 2022 6.158 neue Fälle herangetragen. Das entspricht einem Minus von 7,3 % gegenüber 2021 (6.643). Gleichzeitig wurden 3.812 Verfahren aus den Vorjahren weitergeführt und 157 in den Vorjahren abgeschlossene Verfahren wiedereröffnet.
Abschließen konnte der VwGH im Berichtsjahr exakt 6.694 Verfahren (2021: 6.477) und damit mehr, als neu angefallen sind. Somit waren zum Jahresende noch 3.433 Fälle offen. Erstmals seit 2018 ist dieser Wert wieder gesunken.
1.161 Beschwerdeführer:innen erfolgreich
Die Chance für Beschwerdeführer:innen, vom Verwaltungsgerichtshof Recht zu bekommen, ist grundsätzlich keine schlechte, wobei der Prozentsatz der Stattgaben, also der Aufhebung oder Abänderung angefochtener Entscheidungen, bei ordentlichen Revisionen mit 30 % wieder signifikant höher war als bei außerordentlichen Revisionen (18 %). Rechnet man sämtliche Verfahren ein, ergibt sich für die Stattgaben ein Wert von 17 % (1.161). Dazu kommen 162 Abweisungen (2 %), 2.784 Zurückweisungen (42 %), 666 Einstellungen (10 %) und 1.921 "sonstige Erledigungen" (29 %), zu denen auch Entscheidungen über Anträge auf Verfahrenshilfe gehören. In 24 Fällen entschied der Verwaltungsgerichtshof 2022 in der Sache selbst.
Neben dem Asylrecht (1.973) betrafen die häufigsten Verfahren im vergangenen Jahr das Baurecht (481), das Fremdenrecht (448), das Sicherheitswesen (384) und den Abgabenbereich (340). Danach folgen das Gesundheitsrecht (296) und Verkehrssachen (245). Auch das Dienst- und Disziplinarrecht (214) und der Bereich Sozialversicherung (201) rangieren im vorderen Feld. 101 Verfahren bezogen sich auf das Glücksspielrecht.
Zum COVID-19-Maßnahmengesetz und zum Epidemiegesetz langten im Jahr 2022 rund 250 neue Verfahren ein, das sind nur geringfügig weniger als 2021 (300). Dabei ging es überwiegend um Vergütungsansprüche nach § 32 des Epidemiegesetzes, Absonderungen nach § 7 des Epidemiegesetz und Verwaltungsstrafen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz.
E-Scooter sind Fahrzeuge
Im Bericht werden auch wieder einige ausgewählte Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs angeführt. So haben die Richter:innen unter anderem entschieden, dass das in der Straßenverkehrsordnung verankerte Verbot, betrunken ein Fahrzeug zu lenken, auch für Fahrer:innen von E-Scootern gilt. Für die Beurteilung einer etwaigen Beeinträchtigung von Fahrzeuglenker:innen durch Suchtgiftkonsum ist es ihnen zufolge zudem unerheblich, ob die Substanz ärztlich verschrieben wurde oder nicht. Auch können Autofahrerinnen und Autofahrer, die die Autobahn wiederholt ohne Mautvignette benutzt haben, mehrfach bestraft werden, da sie sich vor jeder Fahrt vergewissern müssen, ob die Maut ordnungsgemäß entrichtet wurde.
In Zusammenhang mit Coronamaßnahmen urteilte der Verwaltungsgerichtshof unter anderem, dass die zuständige Behörde berechtigt ist, ein weiteres ärztliches Attest in Bezug auf die gesundheitliche Unzumutbarkeit des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes zu verlangen, wenn sie vermutet, dass ein "Gefälligkeitsattest" vorgelegt wurde. Zudem hob er eine zugunsten einer Lehrerin gefällte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien auf, welche sich nicht nur wiederholt geweigert hat, im Unterricht eine Maske zu tragen, sondern dort auch völlig aus der Luft gegriffene Unwahrheiten verbreitete (etwa dass eine Viruserkrankung durch Mobilfunkmasten übertragen würde) und deshalb entlassen wurde. Das Verwaltungsgericht hatte die Disziplinarstrafe davor auf eine Geldstrafe in Höhe von zwei Monatsgehältern herabgesetzt.
Im Asylbereich setzte sich das Höchstgericht unter anderem mit der Frage auseinander, inwieweit eine intensive "Bibelprüfung" dazu geeignet ist, um die Glaubwürdigkeit eines behaupteten Religionswechsels zu beurteilen. Weiters hielten die Richter:innen fest, dass es für einen Anspruch auf Pflegekarenzgeld nicht erforderlich ist, dass die zu pflegende Person in Österreich krankenversichert ist, sofern es zu keiner Doppelversorgung kommt. In Bezug auf parlamentarische Untersuchungsausschüsse erging die Entscheidung, dass auch österreichische Staatsbürger:innen, die weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, verpflichtet sind, einer Ladung als Auskunftsperson Folge zu leisten.
Auch die Sozialversicherungsreform, die besondere Stellung von Umweltschutzorganisationen bei der Überprüfung der Einhaltung unionsrechtlicher Umweltschutzvorschriften, die Zulässigkeit der Kurzzeit-Vermietung von Wohnungen in Wien, sogenannte Cum-/Ex-Geschäfte, die Ausgewogenheit des ORF-Radioprogramms, das Parteiengesetz und viele andere Bereiche waren Gegenstand von Verfahren. Mehrfach hat der VwGH außerdem den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht, etwa was die Vereinbarkeit des Kommunikationsplattformen-Gesetzes sowie des Verbots von Preiswerbung für Arzneimittel mit dem Unionsrecht betrifft. (Schluss) gs