Parlamentskorrespondenz Nr. 134 vom 16.02.2024
EU-Vorschlag zu Telearbeit und Recht auf Nichterreichbarkeit für 2024 erwartet
Wien (PK) - Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission 2024 stehe im Zeichen gegenwärtiger Herausforderungen und Krisen wie dem Klimawandel und Biodiversitätsverlust, der digitalen Revolution und künstlicher Intelligenz, der russischen Aggression gegen die Ukraine, den Energiepreisen, der Migration oder dem Wirtschaftswachstum und der Wettbewerbsfähigkeit. Zudem zeichne sich das Ende der Legislaturperiode und die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 ab. Der Fokus liege auf Intensivierung der Zusammenarbeit mit Rat und Europäischem Parlament im Sinne möglichst vieler Abschlüsse der noch offenen Dossiers. Zudem seien 15 neue Initiativen angekündigt. Das geht aus dem umfangreichen EU-Vorhabensbereich hervor, den Minister Martin Kocher für die Bereiche Arbeit, Wirtschaft und Tourismus dem Nationalrat vorgelegt hat (III-1111 d.B. und III-844-BR/2024 d.B.).
Der belgische Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2024 lege im Bereich Beschäftigung und Soziales den Fokus auf das Vorantreiben verbleibender Dossiers wie etwa auf die Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit. Neue Initiativen, die im Rahmen des belgischen Vorsitzes im Bereich Beschäftigung und Soziales vorgelegt werden sollen, umfassen beispielsweise das Recht auf Abschaltung und Telearbeit sowie die Überarbeitung der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat.
Darüber hinaus rücke das Europäische Jahr der Kompetenzen bis Mai 2024 die Vielzahl an bereits bestehende Maßnahmen und Aktivitäten, um dem Fachkräftebedarf in Europa begegnen zu können, in den Fokus. Für Österreich als eines der Länder mit einem großen Anteil der dualen Berufsausbildung (Lehre) in der Sekundarstufe II seien die Initiativen im Rahmen der Europäischen Kompetenzagenda ein wichtiger Beitrag zur EU-weiten Förderung der internationalen Vergleichbarkeit beruflicher Bildungsabschlüsse sowie der Leistungsfähigkeit der einzelnen Berufsbildungssysteme, wird im Bericht unter anderem hervorgehoben.
Telearbeit und Recht auf Nichterreichbarkeit
Im Bereich Arbeit sollen auf EU-Ebene Regelungen zum Recht auf Nichterreichbarkeit und Verbesserung der Rechte der Arbeitnehmer:innen in Bezug auf Telearbeit geschaffen werden. Laut Bericht werde die Europäische Kommission voraussichtlich 2024 einen Vorschlag vorlegen. Ziel sei es, die Digitalisierung der europäischen Wirtschaft zu unterstützen und gleichzeitig angemessene Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz – einschließlich der psychischen Gesundheit – sowie eine ausgewogene Work-Life-Balance zu gewährleisten.
Weitere Arbeitsthemen betreffen beispielsweise einen Vorschlag für eine Anti-Diskriminierungsrichtlinie. Aus österreichischer Sicht brauche es dazu weitere Verhandlungen, da noch viele offene Fragen bestehen würden, wiewohl die Vermeidung von Diskriminierung ein wichtiges Anliegen darstelle. Ausweiten wolle man ein Verbot etwa auf Diskriminierung im Sozialschutz einschließlich Sozialversicherung und Gesundheitsversorgung, Bildung sowie beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen inklusive Wohnraum. Mit einer Initiative der Europäischen Kommission soll außerdem der Qualitätsrahmen für Praktika aktualisiert und Fragen wie gerechte Vergütung und Zugang zum Sozialschutz behandelt werden.
EU-Industriestrategie: Saubere Technologien, Rohstoffsicherheit und EU-Pharmapaket
Vor allem die in der EU-Industriestrategie formulierten Ziele zur offenen strategischen Autonomie werden dem Bericht zufolge auch im Jahr 2024 eine wichtige Rolle spielen. Ein gravierendes Problem werde von Expert:innen auf EU-Ebene immer noch in Produktionsverlagerungen in die USA gesehen, nicht zuletzt wegen der niedrigeren Energiekosten, aber auch auf Grund des Klima- und Subventionsgesetzes der USA (Inflation-Reduction-Act), das einen erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU haben könne. Um die Energiekrise zu meistern und auch in der Zukunft besser aufgestellt zu sein, werde die Europäische Kommission 2024 vor allem Maßnahmen verfolgen, die die strategischen Abhängigkeiten von einer begrenzten Zahl an Lieferanten aus Drittstaaten reduzieren, insbesondere in Bezug auf strategische und für den grünen und digitalen Übergang relevante Rohstoffe.
Der europäische Net-Zero-Industry-Act für saubere Energietechnologien in bzw. aus Europa wird von österreichischer Seite als wichtige Antwort auf den US Inflation-Reduction-Act gesehen. Ziel ist etwa, dass bis 2030 40 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an diesen Technologien in Europa produziert werden. Darüber hinaus sollen die hohen Abhängigkeiten von Drittstaaten hinsichtlich dieser Technologien vermieden werden. Laut Bericht sollte dazu im ersten Halbjahr 2024 eine politische Einigung erzielt und der Verordnungsvorschlag in weiterer Folge umgesetzt werden.
Hand in Hand mit dem Net-Zero-Industry-Act gehe der Critical-Raw-Materials-Act zur Rohstoffversorgungssicherheit, der bereits in Kraft getretene EU-Chips-Act für die Halbleiterproduktion sowie eine Reform des Strommarktdesigns. Was die Important Projects of Common European Interest (IPCEIs) betrifft, habe Österreich den Vorschlag zur (Wieder-)Einrichtung eines "Joint European Forum for IPCEI" zur Diskussion gestellt, welches im Oktober 2023 ins Leben gerufen worden sei. In Bezug auf die IPCEIs würden österreichische Unternehmen im internationalen Wettbewerb von vereinfachten beihilferechtlichen Regeln für ausgewählte Projekte profitieren, so der Bericht.
Ein "EU-Pharmapaket" befinde sich derzeit in Verhandlung, deren Abschluss vor den Europawahlen fraglich sei. Das Ziel des Pakets, die Entwicklung von neuen, innovativen Arzneimitteln zu intensivieren, die globale Wettbewerbsfähigkeit der forschenden Pharmaindustrie in Europa zu stärken und den Zugang zu Medikamenten für alle Patientinnen und Patienten EU-weit zu verbessern, werde grundsätzlich begrüßt. Das Wirtschaftsministerium setze sich aber weiterhin dafür ein, einzelne Punkte des Pharmapakets auch aus industriepolitischer Perspektive im Rat zu diskutieren, etwa zur geplanten Reduktion der Schutzfristen für geistiges Eigentum für Arzneimittel von derzeit acht auf sechs Jahre.
Binnenmarkt, Wettbewerb, Innovation und KMU
Der europäische Binnenmarkt sei für die österreichischen Unternehmen die wichtigste Basis für ihr Wirtschaften, wird im Bericht festgehalten. Weiterhin vorangetrieben werden demnach die Maßnahmen des langfristigen Aktionsplans zur besseren Umsetzung und Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften. Eine Initiative der Europäischen Kommission zur Reduktion von Berichtspflichten um 25 Prozent sei Teil ihrer Initiative zur Verbesserung des EU-Regelungsrahmens im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum.
Durch die Erfahrungen der letzten Krisen habe die Europäische Kommission im September 2022 einen Verordnungsvorschlag für ein Notfallinstrument für den Binnenmarkt (SMEI – Single Market Emergency Instrument) vorgelegt, welcher sich in Verhandlung mit dem Europäischen Parlament befinde. Österreich unterstütze das Instrument grundsätzlich, es müsse aber klare Definitionen der Kriterien für die verschiedenen Krisen-Modi geben. Wichtig sei dabei auch, auf Eingriffe in unternehmerische Freiheit soweit als möglich zu verzichten. Weitere EU-Themen betreffen laut Bericht eine Modernisierung des EU-Wettbewerbsrechts, eine Richtlinie zur Vermeidung von Greenwashing, die bis Anfang 2026 in nationales Recht umzusetzen sei, sowie ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit. Zu letzterem soll nach den Plänen der belgischen Ratspräsidentschaft ein Verordnungsentwurf noch vor den Wahlen des Europäischen Parlaments im Juni 2024 verabschiedet werden.
Die Überarbeitung des EU-Beihilfenrechts sowie die damit verbundene Schwerpunktsetzung auf zukunftsweisende Bereiche wie Klima, Umweltschutz, Energie, Digitalisierung, Breitband, Forschung, Entwicklung und Innovation, IPCEI und die Bereitstellung von Risikofinanzierungen werde von Österreich grundsätzlich begrüßt, so der Bericht. Was das sogenannte EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) betrifft, sei aus Sicht des Wirtschaftsministeriums die Verhältnismäßigkeit und Praktikabilität der Regelungen wesentlich, um Rechtssicherheit für Betroffene und Unternehmen zu schaffen. Aufgrund divergierender Ansichten innerhalb der österreichischen Bundesregierung habe sich Österreich sowohl zur Allgemeinen Ausrichtung als auch im Rahmen der Änderung des Verhandlungsmandates des Rates dabei enthalten.
Neben der Umsetzung der EU-KMU-Strategie und dem Binnenmarktprogramm leisten KMU- und Start-Up-Förderprogramme einen wesentlichen Beitrag zur Unternehmensfinanzierung entlang der Wertschöpfungskette, so der Bericht. So soll etwa im Zeitraum 2021-2027 das InvestEU-Programm einen neuen Investitionsschub von bis zu 372 Mrd. € an zusätzlichen Mitteln durch eine EU-Haushaltsgarantie auslösen und damit weitere Impulse für Investitionen, Innovation und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa geben.
Im Bereich Forschung und Innovation wird etwa Horizon Europe mit einem Gesamtvolumen von 95 Mrd. € als das weltweit mit Abstand größte Forschungskooperationsprogramm hervorgestrichen. Österreichische Unternehmen würden davon überdurchschnittlich profitieren. Auch der Ansatz der "Neuen Europäischen Innovationsagenda" werde von Österreich unterstützt.
Internationales und Tourismus
Neben den aktuellen Informationen zu EU-Drittstaatenabkommen werden im Bericht etwa auch handelspolitische Schutzinstrumente, das EU-Sanktionsregime gegenüber Russland, die Beziehungen der EU mit der Ukraine, mit Israel, mit Afrika und mit China sowie die EU-Erweiterungspolitik thematisiert.
Im Bereich des Tourismus befinde sich der Übergangspfad zu einer resilienten, grünen und digitalen Wirtschaft sowie die europäische Agenda für Tourismus 2030 in der Umsetzung, die laufend unter Mitwirkung der Stakeholder des Tourismusökosystems erfolge. Mit einem Verordnungsvorschlag zur kurzfristigen Vermietung von Unterkünften im Hinblick auf Online-Plattformen soll etwa eine Registrierungspflicht für Gastgeber auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene eingeführt werden. Darüber hinaus soll der europäische Datenraum Tourismusunternehmen und Behörden ermöglichen, ein breites Spektrum an Daten auszutauschen, um die Entwicklung neuer innovativer Tourismusdienstleistungen zu fördern, die Nachhaltigkeit des Tourismusökosystems zu verbessern und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Weitere Themen für den Tourismus sind etwa eine Überarbeitung der Pauschalreise-Richtlinie sowie ein Legislativvorschlag zur Digitalisierung von Reisedokumenten und der Erleichterung von Reisen, der ursprünglich für das Jahr 2023 vorgesehen gewesen sei. Es bleibe daher abzuwarten, ob der Vorschlag im Jahr 2024 vorgelegt werde. (Schluss) mbu