Parlamentskorrespondenz Nr. 157 vom 27.02.2024

Jahresvorschau 2024: Innenressort nimmt Stellung zu sicherheitspolitischen Vorhaben der EU

Wien (PK) – Das Innenressort hat seinen Bericht zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2024 sowie zum Achtzehnmonatsprogramm des spanischen, belgischen und ungarischen Vorsitzes des Rates der Europäischen Union vorgelegt (III-1103 d.B.). Asyl- und migrationspolitische Vorhaben sowie die österreichische Position zu diesen stehen darin im Zentrum. Österreich unterstützt laut Bericht vor allem jene Maßnahmen, die auf einen stärkeren EU-Außengrenzschutz und die Bekämpfung von Sekundärmigration abzielen. Begrüßt wird auch ein verpflichtender aber flexibler Solidaritätsmechanismus, bei dem alternative Solidaritätsleistungen – etwa im Grenzschutz oder finanzielle Beiträge – erbracht und Vorbelastungen der vergangenen Jahre angerechnet werden können. Kritisch beurteilt das Innenministerium Schritte in Richtung Resettlement, Erleichterungen beim Erwerb eines Daueraufenthaltstitels und Maßnahmen, die die Handlungsfähigkeit von Mitgliedstaaten, insbesondere bei der Einführung von Binnengrenzkontrollen, einschränken könnten.

In Hinblick auf die im 1. Halbjahr 2024 stattfindenden EU-Wahlen beschränken sich die im Arbeitsprogramm vorgestellten neuen Initiativen auf die Bewältigung neu aufgetretener Herausforderungen beziehungsweise ausstehender Verpflichtungen der Europäischen Kommission

Neue Initiative zur Schleppereibekämpfung

Bei den neuen politischen und gesetzgeberischen Initiativen der Europäischen Kommission ist das Innenressort federführend für eine Initiative zur Bekämpfung von Schlepperei und Menschenhandel zuständig. Ziel ist dabei die Stärkung der Rolle von Europol, insbesondere des Europäischen Zentrums zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität, indem diesem mehr Aufgaben, Kompetenzen und Ressourcen zukommen sollen. Ziel ist die  Verbesserung der behördenübergreifenden Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und Europol soll zukünftig auch in Drittländern arbeiten dürfen. Österreich begrüßt laut Bericht die generelle Stärkung von Europol. Die neu vorgeschlagenen Kompetenzen sollten jedoch verhältnismäßig ausgestaltete werden, sodass die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Bemühungen zur Schleppereibekämpfung nicht geschwächt werden.  

Österreich kritisch bei Resettlement und Erleichterungen bezüglich Daueraufenthalt

Asyl und Migration sind auch die übergeordneten Themen von 13 "anhängigen Vorschlägen" im Arbeitsprogramm der Kommission. So unterstützt Österreich laut Innenressort den Vorschlag für eine Richtlinie zu einem einheitlichen Rahmen für Antragsverfahren für eine kombinierte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis sowie entsprechenden Rechten für Arbeitnehmer:innen. Kritisch wird hingegen ein Vorschlag bewertet, den Erwerb des Langzeitaufenthalts-Status zu erleichtern und Betroffenen mehr Mobilitätsrechte einzuräumen. Die darin enthaltene Änderung der Anrechnungsmodalitäten für die erforderlichen Aufenthaltszeit hätten Mehrkosten zur Folge, da Familienleistungen damit früher beantragt werden könnten. Wichtig ist laut Bericht, dass die erforderliche Aufenthaltsdauer von fünf Jahren nicht weiter verkürzt wird und ein funktionierender zwischenstaatlicher Informationsaustausch betreffend der Kumulierung von Aufenthaltszeiten gewährleistet ist.

Zudem stehe Österreich Entwicklungen in Richtung Resettlement grundsätzlich kritisch gegenüber, wie das Innenressort bezüglich eines Verordnungsvorschlags der Kommission zur Schaffung eines Neuansiedlungsrahmens der Union festhält. Schutz solle so nahe wie möglich an der Herkunftsregion gewährt werden. Man habe dem Kompromiss zur Verordnung jedoch zustimmen können, da insbesondere das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt worden sei.

Einem Vorschlag zur Begegnung von Krisensituationen und "Situationen höherer Gewalt" habe Österreich jedoch nicht zustimmen können, da darin keine Maßnahmen zur Beendigung von Krisen oder zur Einschränkung von Sekundärmigration enthalten seien. Österreich lehne mögliche Einschränkungen des verpflichtenden Grenzverfahrens, die Verlängerung der Registrierungsfristen, erleichterte Zuständigkeitsübergänge sowie das vorgeschlagene Verfahren für raschen Schutz nach dem Vorbild der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz ab. Zudem müssten die Vorbelastungen der Mitgliedstaaten im Asyl- und Migrationsbereich, insbesondere durch Sekundärmigration, stärker berücksichtigt und im Solidaritätsfall umfassender angerechnet werden.

Vorschläge der EU-Kommission zur Vereinheitlichung der Anwendung von Maßnahmen an den Außengrenzen im Rahmen des Schengener Grenzkodex sowie zur Harmonisierung von Asylverfahren und zur An- oder Aberkennung von internationalem Schutz, betrachtet Österreich laut Bericht differenziert. So sei bei der Überarbeitung des Schengener Grenzkodex auf ausreichenden Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten zu achten, damit diesen die Entscheidung über die Einführung von Binnengrenzkontrollen überlassen bleibe. Bezüglich der Asylverfahren begrüßt Österreich die von der EU-Kommission vorgeschlagene Harmonisierung auf europäischer Ebene und insbesondere die Einführung verpflichtender Grenzverfahren für bestimmte Personengruppen. Regelungen, die zu einem erhöhten administrativen Aufwand führen würden, werden jedoch abgelehnt.

Ebenfalls grundsätzlich unterstützt werden Vorschläge zur Vereinheitlichung der Regel zu An- und Aberkennung von internationalem Schutz sowie zur Angleichung der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten, da dadurch Pull-Faktoren und Anreize zur Sekundärmigration reduziert würden. Darin enthaltene Bestimmungen zu Sozial- und Familienleistungen lehne Österreich jedoch ab.

Unterstützung für stärken EU-Außengrenzschutz und flexiblen Solidaritätsmechanismus

Positiv steht Österreich zu Vorschlägen bezüglich der Bekämpfung der Instrumentalisierung von Migration und Asyl etwa im Rahmen hybrider Angriffe und zu einem flächendeckenden Screening an der EU-Außengrenze, bei dem eine umfassende Identitätsfeststellung sowie eine Sicherheits- und Gesundheitsüberprüfung durchgeführt werden sollen. Durch die Aufnahme von Identitäts- und Reisedokumenten in Eurodac (europäische biometrische Datenbank für Fingerabdrücke), in Kombination mit verpflichtendem "Screening" an der EU-Außengrenze, werde sichergestellt, dass jeder Eintritt in die EU klar erfasst wird, einem Mitgliedsstaat zuordenbar ist und dadurch Sekundärmigration entgegengewirkt wird.  

Ebenso positiv bewertet das Innenministerium einen Vorschlag, nach dem Eurodac zu einer umfassenden EU-weit interoperablen Migrationsdatenbank werden soll. Neben verbesserten Einreisekontrollen durch die klare Identifizierung, verspricht sich das Ressort dadurch die Möglichkeit zur Feststellung aktueller Migrationstrends, zur Verknüpfung von Verfahrensarten (Asyl-, Rückkehr-, Visa- und Strafverfahren) sowie zur Bekämpfung von Sekundärmigration. Begrüßt wird auch ein Änderungsvorschlag der Rückführungs-Richtlinie, der weitere Harmonisierungsschritte in Richtung eines europäischen Rückkehrsystems beinhaltet. Für Österreich sei insbesondere die Schaffung der Möglichkeit der Rückführung in jeden sicheren Drittstaat wichtig, so das Innenressort.

Bezüglich eines Verordnungsvorschlags zur Steuerung von Asyl und Migration, wird festgehalten, dass Österreich einen Solidaritätsmechanismus begrüßt, der verpflichtend, aber in seiner Ausgestaltung flexibel ist. Wichtig sei die Möglichkeit, neben der Umverteilung auch alternative Solidaritätsleistungen erbringen zu können - etwa im Grenzschutz oder durch finanzielle Solidaritätsbeiträge. Auch die Befreiungsmöglichkeit von diesen Leistungen aufgrund von Vorbelastungen der vergangenen Jahre wird positiv bewertet.

Abseits der Asyl- und Migrationsthematik unterstützt Österreich laut Innenressort einen Vorschlag zur Ausweitung der Datenkategorien im automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit (Prüm II) und eine dementsprechende Modernisierung der technischen Infrastruktur. Darunter fallen etwa Gesichtsbilder oder Kriminalakten. Auch Europol soll in das Prüm-System integriert werden. Unter den Vorschlägen findet sich auch eine Verordnung zur Festlegung eines harmonisierten Rechtsrahmens für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. Das Innenressort betont die Unterstützung Österreichs dafür. Die Anbieter einschlägiger Dienste seien stärker in die Verantwortung zu nehmen. Zudem müssten Meldewege klar geregelt und die Verordnung grundrechtskonform ausgestaltet sein. Begrüßt werden auch zwei Verordnungsvorschläge zur einheitlichen Verarbeitung erweiterter Fluggastdaten, da Österreich sich für wirksame Kontrollen an den Außengrenzen einsetze.

Achtzehnmonatsprogramms des Rates der EU

Im Achtzehnmonatsprogramm des spanischen, belgischen und ungarischen Vorsitzes des Rates der EU bleiben Migration und Asyl ebenfalls ein bestimmendes Thema. So wird ein gut funktionierender und resilienter Schengen-Raum als Ziel angegeben. Österreich bekennt sich zu diesem, sieht aber einen effizienten Außengrenzschutz und ein krisenfestes Asylsystem als Voraussetzungen dafür, wie im Bericht des Innenministeriums ausgeführt wird. Bei der Überarbeitung des Schengener Grenzkodex sei darauf zu achten, dass es zu keiner Verengung des Handlungsspielraums für die Mitgliedstaaten bei der Einführung von Binnengrenzen kommt, um auf eventuelle Bedrohungen reagieren zu können.

Begrüßt wird die im Dezember 2023 erzielte vorläufige Einigung zum Migrations- und Asylpaket, insbesondere der Fokus auf einen effektiven Grenzschutz, Maßnahmen gegen die Sekundärmigration und die Einführung des verpflichtenden aber flexiblen Solidaritätsmechanismus. Skeptisch bleibe Österreich gegenüber der Krisen-Verordnung, da diese zwar Maßnahmen zur Unterstützung von erstbetroffenen Mitgliedstaaten, aber keine geeigneten Maßnahmen zur Beendigung von Krisen vorsehe.

Im Bereich der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern setze sich Österreich für eine vertiefte und nachhaltige Drittstaatenkooperation und einen stärkeren Fokus auf den Schutz und die Schaffung von Perspektiven vor Ort ein. Zudem wird die Bedeutung von Informationskampagnen in den relevanten Herkunftsregionen hervorgehoben, die über die Gefahren illegaler Migration und Alternativen zu dieser aufklären soll. Wichtig seien auch dahingehende Aktionspläne in den Finanzierungsinstrumenten zu berücksichtigen, so das Innenressort.

Begrüßt werden außerdem das Vorgehen gegen Hetze und Hasskriminalität sowie die EU-Agenda zur Terrorismusbekämpfung. Die Maßnahmen im Bereich des Katastrophenschutzes und der Resilienz kritischer Infrastruktur finden ebenfalls Österreichs Unterstützung. Dabei sei die Einhaltung des Subsidiaritäts- und des Proportionalitätsprinzips zentral, sodass primär die Mitgliedstaaten selbst ihre Resilienz stärken und den europäischen Institutionen eine "last resort"-Rolle in besonders kritischen Krisensituationen zukommt, wie im Bericht festgehalten wird.(Schluss) wit