Parlamentskorrespondenz Nr. 411 vom 25.04.2024

Sozialministerium: Armut bekämpfen - Kaufkraft erhalten

Wien (PK) – Maßnahmen zur Erhaltung der Kaufkraft: Unter dieser Maxime seien in Zeiten der COVID-19-Pandemie und der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise sowie der steigenden Inflationsraten sozialpolitische Schwerpunkte gesetzt worden. So seien zwischen 2020 und 2023 mehrere sozial abgestimmte Regelungen zur jährlichen Pensionsanpassung erfolgt, um die Kaufkraft von Bezieher:innen kleinerer und mittlerer Pensionen zu erhöhen, geht aus dem Sozialbericht 2024 (III-1146 d.B. und III-849-BR/2024 d.B.) hervor. Bis Dezember 2024 fließende Sonderzulagen für Ausgleichszulagenbeziehende mit Kindern werden als Mittel zur Bekämpfung von Kinderarmut angeführt. Anhand einer OECD-Studie wird jedoch darauf hingewiesen, dass es für die Eindämmung sozioökonomischer Benachteiligungen im Kindesalter und deren Folgen wie Arbeitslosigkeit ganzheitliche Strategien braucht. Bedeutend seien ausreichende frühkindliche Bildungsangebote, verbesserter Wohnraum, Beschäftigungsmöglichkeiten der Eltern und ein treffsicheres Transferleistungssystem.

Sozialminister Johannes Rauch betont im Bericht zudem die Verbindung der heimischen Sozialpolitik mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Man befinde sich nunmehr in der Halbzeit der Umsetzungsperiode bis 2030, so Rauch, und derzeit sei noch nicht absehbar, ob die nationalstaatlichen Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft ausreichen, die 17 angepeilten Ziele zur nachhaltigen Entwicklung weltweit zu realisieren.

In zwei Bände gegliedert, schildert der aktuelle Sozialbericht die wichtigsten sozial- und gesundheitspolitischen Aktivitäten des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in Österreich, beispielsweise die 2022 angestoßene Pflegereform. Außerdem umfasst er wissenschaftliche Analysen zur Zukunft des Sozialstaats. So wird analysiert, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie und die Teuerung auf die soziale Realität der Republik haben, welche Rolle der Staat dabei spielt und wie die Klimakrise soziale Ungleichheiten verschärft. Insgesamt umfasst der Sozialbericht mehr als 600 Seiten und ist auch auf der Website des Sozialministeriums abrufbar.

Armutsbekämpfung unter UNO-Vorzeichen

Die Social Development Goals (SDG) der UNO führt Rauch im Bericht als jene Zielsetzungen an, nach denen nachhaltiges und sozial verträgliches Wachstum auch auf nationalstaatlicher Ebene ausgerichtet werden sollte. Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung und Klimaschutz wurde von allen 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unterzeichnet. Die heimische Bundesverwaltung veranstaltet seit 2021 jährliche Dialogforen mit der Zivilgesellschaft, um die Umsetzung der UN-Agenda voranzutreiben. Themen dieser Foren waren beispielsweise Armutsbekämpfung während der Corona-Krise beziehungsweise in Verbindung mit Klimaschutz sowie bezahlbare, saubere Energie und Gesundheitskompetenz.

Staatliche Unterstützung in Krisenzeiten

Die gesetzliche Sozialversicherung ist in Österreich eine Grundlage zur staatlichen Armutsbekämpfung, verweist der Bericht auf Maßnahmen gegen Alters- oder Kinderarmut. Während der COVID-19-Pandemie wurde versucht, durch Unterstützungsleistungen wie dem "Wohnschirm" pandemiebedingte Armutsfolgen auszugleichen. Insgesamt stehen für diese Leistungen, die Menschen vor Delogierung wegen ausstehender Mietzahlungen bewahren sollen, bis 2026 164 Mio. € zur Verfügung.

Im Zuge der steigenden Inflation wurden im Bereich der Sozialversicherung weitere Maßnahmen zur Erhaltung der Kaufkraft gesetzt. Sofortmaßnahmen wie Einmalzahlungen, Teuerungsausgleiche, Direktzahlungen und Beitragsgutschriften sollten die Auswirkungen der Kostensteigerungen für die Bevölkerung rasch abmildern. Strukturelle Maßnahmen wie die Anpassung der Pensionen, die Erhöhung der Ausgleichszulagenrichtsätze und die Valorisierung von Kranken-, Rehabilitations- und Wiedereingliederungsgeld dienen längerfristig der Weiterentwicklung des Wohlfahrtsstaats.

68 % des Sozialversicherungsbudgets für Pensionen

Das Budget der gesetzlichen Sozialversicherung war 2022 mit 77,52 Mrd. € eines der größten der Republik. Rund 17,3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) flossen als Ausgaben der Sozialversicherung. Diesen Gesamtausgaben standen Gesamteinnahmen von 77,19 Mrd. € gegenüber. Sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite entfielen 2023 rund 30 % auf die Krankenversicherung, etwa 68 % auf die Pensionsversicherung und 2 % auf die Unfallversicherung.

In Hinblick auf die durchschnittlichen Haushaltseinkommen im Jahr 2022 machten Pensionen mit 18,4 % mehr als die Hälfte der 30,2 % an direkten Leistungen aus der öffentlichen Hand aus, die zur Berechnung des Einkommens herangezogen wurden. Der Rest waren Sozialtransfers (11,8 %) wie Sozialhilfe oder Familienbeihilfe. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft stellt nicht nur die Pensionierungswelle der sogenannten Babyboomer:innen-Generation den Sozialstaat vor Herausforderungen, wird im Bericht unterstrichen. Auch die Notwendigkeit einer gleichmäßigen Verteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern, konkret durch eine Stärkung der Väterbeteiligung und verbesserte Kinderbetreuungsangebote, wird hervorgehoben.

Einkommenssituation: Ausgleich durch Sozialleistungen

Abhängig von der Lebenssituation machen Erwerbseinkommen oder Pensionen und Sozialleistungen einen unterschiedlich großen Teil der Haushaltseinkommen in Österreich aus. Als Sozialleistungen beschreibt der Bericht Leistungen für Familien, Bildung, bei Arbeitslosigkeit, Behinderung oder Krankheit sowie zum Schutz vor sozialer Ausgrenzung. Insgesamt werde die Verteilung der österreichischen Haushaltseinkommen zu einem erheblichen Teil durch staatliche Sozialleistungen beeinflusst, heißt es im Bericht.

In einer Studie über die Einkommensverteilung in Österreich 2022 wird ersichtlich, dass etwa 14 % der Haushalte mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 12.715 € als armutsgefährdet galten. Allerdings weist der Bericht darauf hin, dass die Erhebungen teilweise noch von den Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt waren, aber die 2022 erfolgten Preissteigerungen noch nicht abbildeten. Zur mittleren Einkommensgruppe (76,5 %) wurden Personen mit 28.757 € pro Jahr gezählt, als Hochverdienende galten jene mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 61.135 € (8,7 %).

Zur Überschreitung der Armutsgefährdungsschwelle würden die betroffenen Personen durchschnittlich fast 4.000 € mehr an jährlichem Einkommen benötigen. Ohne staatliche Pensions- und Sozialleistungen würden wiederum 43,6 % der Bevölkerung (rund 3,875 Millionen Personen) bzw. ohne Sozialleistungen 25,5 % der Bevölkerung (rund 2,261 Millionen Personen) unter die Armutsgefährdungsschwelle fallen.

Berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung

Deutlich bekennt sich das Sozialministerium im Bericht zur Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung, zu der sich Österreich 2008 durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat. Folglich sieht das Regierungsprogramm 2020 – 2024 eine Beschäftigungsoffensive für Menschen mit Behinderungen sowie verstärkte Angebote im Schnittstellenbereich zur Schule vor. Die Mittel zur Verbesserung der beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wurden von 282,3 Mio.€ (2019) auf 349 Mio. € (2022) angehoben.

Niederschwellige Gesundheitsversorgung

Sozioökonomische Faktoren wie Einkommen, Bildung und Berufsstatus haben einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit von Menschen. Zentral in der Positionierung des öffentlichen Gesundheitswesens vor diesem Hintergrund ist laut Bericht der öffentliche Gesundheitsdienst, der unter anderem durch die Beobachtung von Gesundheitsrisiken die Entwicklung der Gesundheitspolitik unterstützt. Am Beispiel des öffentlichen Grippeimpfprogramms werden Schritte zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung dargestellt. Seit dem Programmstart im Oktober 2023 steht laut Bericht österreichweit ein kostengünstiges und niederschwelliges saisonales Influenza-Impfangebot bei allen impfenden Stellen zur Verfügung.

Eine qualitativ bessere Gesundheitsversorgung und eine gesündere Bevölkerung sind Kernpunkte der Gesundheitsreform, an der Bund, Länder und Sozialversicherung gemeinsam arbeiten. Primärversorgungseinheiten (PVE) zur multiprofessionellen Versorgung von Patient:innen im niedergelassenen Bereich werden dabei als Entlastung der Spitalsambulanzen gesehen, weil diese wohnortnahe ärztliche Betreuung zu längeren Öffnungszeiten als herkömmliche Arztpraxen erreichbar ist. Von 2022 bis 2026 lukrierte Österreich 100 Mio. € aus EU-Mitteln für den Aufbau von PVE, wie aus dem Bericht hervorgeht.

Lieferengpässe von Arzneimitteln sind für die Europäische Union in den letzten Jahren vermehrt zum Problem geworden, weswegen die EU bei kritischen Engpässen unter anderem Regelungen zum Austausch von Medikamenten zwischen den Mitgliedstaaten andenkt. Im Winter 2023/23 vereinbarte das Gesundheitsministerium mit dem Pharmagroßhandel die Bereitstellung wichtiger Wirkstoffe, um den Apotheken zu ermöglichen, Medikamente bei Bedarfsspitzen selbst herzustellen. Ab dem Winter 2024/25 ist laut Ministerium eine verpflichtende Bevorratung von ausgewählten Arzneimitteln durch die Zulassungsinhaber geplant.

Erleichterungen bei Pflege

Für Verbesserungen im Pflegebereich stehen mit der 2022 begonnenen Reform bis zum Ende der Legislaturperiode insgesamt 1 Mrd. € zur Verfügung. Um Personalmangel in Pflegeberufen vorzubeugen, werden Auszubildende jeweils mit monatlich 600 € unterstützt, zusätzlich gibt es Pflegestipendien und eine breitere Ausgestaltung der Ausbildungsmöglichkeiten. Arbeitsrechtliche Neuerungen wie die Anrechnung von Nachtschwerarbeit sollen ebenfalls den Pflegeberuf attraktiver gestalten. Ausländische Pflegekräfte erhalten erleichterten Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte. Für pflegende Angehöre und für die Pflegegeldbezieher:innen selbst sollen etwa Erleichterungen bei der Antragstellung, Pflegekurse und erhöhte Förderungen zur 24-Stunden-Betreuung die Belastung reduzieren.

EU-Sozialpolitik als Wegweiser

Die sozialpolitischen Pläne der Europäischen Union und wie sie die nationalstaatliche Sozialpolitik prägen, umreißt das Sozialministerium gleich am Beginn des ersten Berichtsteils. Der 2021 verabschiedete EU-Aktionsplan einer "Europäischen Säule sozialer Rechte" fußt auf drei konkreten Zielsetzungen. So sollen bis 2030 zumindest 78 % der 20- bis 64-Jährigen einer Beschäftigung nachgehen, eine jährliche Fortbildung soll zumindest 60 % der Erwachsenen zuteilwerden und die Anzahl armutsbedrohter Menschen soll sich um mindestens 15 Millionen – ein Drittel davon Kinder –verringern.

Österreich hat sich die Ziele in seinen nationalen Umsetzungsplänen höher als von der EU vorgegeben gesteckt. Beispielsweise soll die Kinderarmut um 50 % gesenkt werden, die Beschäftigungsquote bis 2030 soll 79,9 % betragen. Eine im April 2024 vorgelegte Deklaration zur Europäischen Säule sozialer Rechte wurde von Österreich allerdings nicht unterzeichnet, was im EU-Ausschuss des Bundesrats jüngst für heftige Debatten sorgte (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 400/2024). (Schluss) rei