Parlamentskorrespondenz Nr. 464 vom 15.05.2024

Rousopoulos im Nationalrat: Friedensprojekt Europarat ist trotz aktueller Rückschläge eine Erfolgsgeschichte

Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats hielt Rede im Plenum

Wien (PK) – Anlässlich des 75. Jahrestags der Gründung des Europarats gab der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Theodoros Rousopoulos in der heutigen Nationalratssitzung eine Erklärung ab. Er bezeichnete das Friedensprojekt Europarat als Erfolgsgeschichte, wenngleich der Krieg gegen die Ukraine, der Klimawandel und künstliche Intelligenz (KI) aktuelle Herausforderungen darstellten.

Krieg gegen Ukraine, Klimawandel und KI als aktuelle Herausforderungen für Europarat

Rousopoulos erinnerte eingangs daran, dass der Europarat, dem derzeit 46 Länder angehören, nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt gegründet wurde. Die Staaten haben sich zu Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Demokratie bekannt mit dem Ziel, einen weiteren Krieg in Europa zu verhindern. Trotz aktueller Rückschläge sieht der Präsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation dieses Vorhaben als Erfolgsgeschichte. Er zeigte sich überzeugt, dass die Werte des Europarats der einzige Weg durch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts seien.

Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bezeichnete Rousopoulos als Angriff auf das Friedensprojekt. Er betonte, dass der Europarat als erste Organisation Russland ausgeschlossen habe. Auch das vom Europarat ins Leben gerufene Verzeichnis für Kriegsschäden, um Russland zur Verantwortung ziehen zu können, hob er hervor.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats stehe vor weiteren Herausforderungen, so der Präsident des Gremiums. Er sprach insbesondere eine Erweiterung der Menschenrechte mit Blick auf den Klimaschutz an. Auch für eine Regulierung und verantwortungsvolle Nutzung von künstlicher Intelligenz müssten Lösungen gefunden werden. Er zeigte sich erfreut über den Entwurf eines rechtlich bindenden Dokuments zu KI und Menschenrechten und rief Österreich auf, dieses zu unterstützen, sobald es unterzeichnet werden kann.

Seit dem Jahr 2015 ist es möglich, ausländische Gäste zur Abgabe einer Erklärung in den Nationalrat einzuladen, wobei bisher erst wenige Male davon Gebrauch gemacht wurde. Für Rousopoulos ist seine heutige Erklärung eine Bestätigung des unermüdlichen Engagements Österreichs für die Werte des Europarats. Österreich sei immer schon ein Schlüsselpartner der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewesen.

Ihm sei bewusst, dass es Vorbehalte gebe und er werde gut zuhören – sowohl in der heutigen Debatte als auch während seiner gesamten Amtszeit, sagte Rousopoulos. Das Parlament sei der Ort, an dem man mit Worten kämpfe und diesen Kampf gelte es zu führen. Er wolle das umsetzen, was echte Führungspersonen von populistischen unterscheide: selbstkritisch in die Zukunft zu schreiten und dabei das eigene Handeln sowie gesetzliche Regelungen zu verbessern. Wer nur blind der Masse hinterherlaufe, sei populistisch. Die Demokratie toleriere alle Stimmen, die Geschichte hebe jene hervor, die die Welt verändern, so der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

ÖVP: Europarat ist wichtige Plattform für Dialog und Zusammenarbeit

In der anschließenden Debatte hoben die Abgeordneten wiederholt die Bedeutung des Europarats hervor, wiewohl sich die FPÖ kritisch zur Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) äußerte. Nirgendwo seien die Menschenrechte so geschützt wie in Europa, machte etwa Reinhold Lopatka (ÖVP) mit Verweis auf die vom Europarat erarbeitete Europäische Menschenrechtskonvention geltend. Auch beim Schutz von Minderheiten und bei der Vorbereitung europäischer Länder auf einen EU-Beitritt spielt der Europarat seiner Meinung nach eine wichtige Rolle. Als Beispiel nannte seine Parteikollegin Carmen Jeitler-Cincelli in diesem Zusammenhang etwa die Integration der Länder des Westbalkans. Sie sieht den Europarat als eine wichtige Plattform für den Dialog und für Zusammenarbeit, zudem fördere er durch verschiedene Programme kulturelle Identität und Vielfalt. Mit drei Generalsekretären und zwei Präsidenten habe auch Österreich viel zur Weiterentwicklung des Europarats beitragen können, betonte Lopatka.

SPÖ: Europarat darf nicht leiser werden

Seitens der SPÖ wies Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures darauf hin, dass 700 Millionen Menschen unter dem Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention leben. Dazu habe der Europarat Dutzende weitere internationale Verträge auf den Weg gebracht. Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität zwischen Menschen und Nationen, das seien die Lehren gewesen, die Europa aus den zwei Weltkriegen gezogen habe. Diese Errungenschaften würden durch unzählige Krisenherde brüchig, warnte Bures. Viele Menschen blickten pessimistisch in die Zukunft, das Vertrauen in demokratische Institutionen sinke. Dem gelte es, sich entgegenzustellen. Der Europarat dürfe nicht leiser werden, mahnte sie. Eine wesentliche Bedeutung in Bezug auf die Stärkung des Vertrauens hat Bures zufolge nicht zuletzt auch die soziale Dimension, sie müsse wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Die Zweite Nationalratspräsidentin sieht Österreich zudem dazu aufgerufen, sich wieder auf seine Tradition zu besinnen, aktiv zu internationalen Konfliktlösungen beizutragen.

FPÖ: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte überschreitet sein Mandat

Kritisch zur Entwicklung des Europarats in den letzten zwei Jahrzehnten äußerte sich Susanne Fürst (FPÖ). Dieser sei als zwischenstaatliche und nicht als supranationale Organisation gegründet worden, erinnerte sie. Durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte würde aber immer stärker in die Souveränität der Mitgliedstaaten eingegriffen. Das widerspreche der Satzung und der Ziele des Europarats. Statt den Europarat "mit positivem Geist zu füllen", wird laut Fürst das Vertrauen in diese Organisation zunehmend zunichte gemacht.

Als Beispiele für die ihrer Meinung nach "degenerierte Rechtsprechung" des EGMR nannte Fürst etwa ein Abschiebeverbot für einen straffällig gewordenen Nigerianer aus Großbritannien, der zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden war. Auch der Klimaschutz-Entscheidung zugunsten Schweizer Senior:innen kann sie nichts abgewinnen. Fürst forderte Rousopoulos in diesem Sinn auf, eine "Trendumkehr" einzuleiten.

Eine gewisse "Friedensmüdigkeit" ortet Fürsts Parteikollege Martin Graf. Der Europarat sei zur Festigung des Friedens gegründet worden, sagte er, er habe aber zunehmend das Gefühl, dass dieser Friedensgedanke verloren gehe. Keiner kämpfe mehr für Frieden. Nach Ansicht von Graf wird außerdem die Gefahr durch den in Europa längst angekommenen politischen Islam ignoriert, währen "die rechte Gefahr" hochstilisiert werde.

Grüne: "Verzwergung" bringt Europa nicht in die Zukunft

Meri Disoski (Grüne) hielt der FPÖ entgegen, dass das Erstarken von Nationalismen und eine "Verzwergung" Europa nicht in die Zukunft tragen werde, sondern höchstens in den dunklen Teil seiner Vergangenheit zurückbringen würde. Rechte und rechtsextreme Parteien, die in Europa "auf Stimmenfang gehen", würden es nicht gut mit Europa meinen, ist sie überzeugt. Sie sieht es als Aufgabe aller demokratischen Parteien, "felsenfest auf der Seite der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte zu stehen". Auch mit der Bewertung der Klimaschutz-Entscheidung des EGMR als "degenerative Rechtsprechung" durch FPÖ-Abgeordnete Fürst kann Disoski nichts anfangen: Diese sei vielmehr richtungsweisend für anhängige und zukünftige Klimaklagen gewesen.

"Wir können uns nicht aussuchen, wem man Menschenrechte gewährt und wem nicht", gab Agnes Sirkka Prammer (Grüne) zu bedenken. Diese würden universell gelten, auch wenn anderslautende Töne lauter würden. Das Bekenntnis zu universellen Menschenrechten ist für sie die Garantie dafür, dass es nicht wieder dazu kommt, dass einzelne auf andere herabschauen oder sie herabwürdigen.

NEOS: Österreich soll Empfehlungen des Europarats umsetzen

Als eine beispiellose Organisation, die seit mehr als 70 Jahren für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit arbeite, bezeichnete Stephanie Krisper (NEOS) den Europarat. Ihrer Meinung nach würde es Österreich gut anstehen, jüngste Empfehlungen diverser Gremien des Europarats – etwa zur Verhinderung von Korruption – umzusetzen. Damit würde Österreich mehr Wertschätzung für den Europarat ausdrücken als durch lobende Worte, erklärte sie.

Der FPÖ warfen die NEOS vor, die Europäische Menschenrechtskonvention, deren Auslegung dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte obliege, an sich in Frage zu stellen. Auch er sei nicht immer mit allem einverstanden, wie Gerichtshöfe urteilen, sagte Abgeordneter Nikolaus Scherak, es sei aber wichtig, Urteile zu respektieren. Für ihn ist es jedenfalls eine große Errungenschaft, dass sich ein Bürger bzw. eine Bürgerin nach Ausschöpfung des Instanzenzugs im Heimatland höchstpersönlich an ein übernationales Gericht wenden kann, um seine bzw. ihre Grund- und Freiheitsrechte einzumahnen. Das gebe es sonst nirgends, bekräftigte er.

Sowohl Krisper als auch SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr hoben in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit hervor, bei der Auswahl von EGMR-Richter:innen große Sorgfalt walten zu lassen, wobei der Europarat Bayr zufolge hier bereits jetzt vorbildlich ist, was Transparenz und die Verhinderung parteipolitischer Einflussnahme betrifft. Allgemein betonte Bayr die Bedeutung des Dialogs: Es sei keine Lösung, alle, die gegen die Prinzipien des Europarats verstoßen, gleich "hinauszuschmeißen" oder die Europäische Menschenrechtskonvention aufzukündigen, weil man mit Richtersprüchen nicht zufrieden sei, wie das Großbritannien angedroht habe, sagte sie. (Fortsetzung Nationalrat) kar/gs

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