Parlamentskorrespondenz Nr. 501 vom 21.05.2024
Ressourcen-Engpässe fördern laut Volksanwaltschaft Missstände
Wien (PK) – Finanzielle und personelle Ressourcenmängel sehen die Volksanwälte Bernhard Achitz und Walter Rosenkranz sowie Volksanwältin Gaby Schwarz als Hauptursache für Missstände, sowohl bei der österreichischen Verwaltung als auch bei der Wahrung der Menschenrechte. Die Krisen der letzten Jahre hätten zu einer Verschärfung der finanziellen Lage etwa im Gesundheitswesen geführt, so die Volksanwaltschaft. Gleichzeitig habe sich aber der Unterstützungsbedarf in der Bevölkerung erhöht. Mit ihrem Tätigkeitsbericht für das Jahr 2023 (III-1135 d.B. und III-855-BR/2024 d.B.) trachtet die Volksanwaltschaft danach, nicht zuletzt die Gesetzgebung anhand von Fallbeispielen für den vorhandenen Verbesserungsbedarf zu sensibilisieren.
Im Jahr 2023 gelangten 23.124 Beschwerden an die Volksanwaltschaft, 16.655 betrafen die öffentliche Verwaltung. Insgesamt 11.380 Prüfverfahren leitete das Kontrollorgan des Nationalrats im Vorjahr ein. 7.802 davon betrafen die Bundesverwaltung, der Rest die Landes- und Gemeindeverwaltung. In knapp einem Fünftel – 2.437 – der im Vorjahr abgeschlossenen 12.752 Prüfverfahren stellte das Kontrollorgan des Nationalrats einen Missstand fest. 90 Verfahren leitete die Volksanwaltschaft von sich aus aufgrund eines Missstandsverdachts in Bezug auf die Verwaltung ein.
In ihrer Funktion als Nationaler Präventionsmechanismus mit Verfassungsmandat führten die Kommissionen der Volksanwaltschaft im Berichtsjahr insgesamt 505 Kontrollen durch. 481 mal wurden meist unangekündigt Einrichtungen besucht, in denen Menschen angehalten werden, etwa Justizanstalten, Pflegeheime oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. 24-mal wurden Polizeieinsätze begleitet.
Das Wirken der unabhängigen Rentenkommission zur Entschädigung von Heimopfern behandelt der Bericht in einem eigenen Abschnitt. Die Kommission ist seit 2017 bei der Volksanwaltschaft eingerichtet und fungiert als Dachorganisation nach dem Heimopferrentengesetz. Im Jahr 2023 gingen 660 Anträge auf Entschädigung bei ihr ein. Seit ihrer Einrichtung wurden insgesamt rund 3.500 Anträge von Personen gestellt, die noch keine Entschädigung erhalten haben.
Verwaltungsprüfungen in Zahlen
Verfahrensspitzenreiter war 2023 der Bereich Innere Sicherheit mit 2.064 Fällen, die vor allem Beschwerden zum Asyl-, Niederlassungs- und Fremdenpolizeirecht sowie Beschwerden über die Polizei betrafen. 1.480 Prüfverfahren gab es im Bereich Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, wobei hier im Bericht ausdrücklich auf den starken Beschwerdeanstieg (+ 42 % gegenüber 2022) hingewiesen wird, für den die Autor:innen hauptsächlich den Klimabonus samt Teuerungsausgleich als Grund anführen. 1.416 Verfahren befassten sich mit dem Bereich Soziales und Gesundheit, 1.190 Verfahren betrafen Justiz und Datenschutzbehörde.
Die Liste der inhaltlichen Prüfschwerpunkte auf Landes- und Gemeindeebene wird angeführt von 838 Fällen (23,4 %) aus dem Bereich Mindestsicherung, Jugendwohlfahrt, Menschen mit Behinderung, Grundversorgung, gefolgt von Staatsbürgerschaft, Wählerevidenz, Straßenpolizei (736 Fälle; 20,6 %), Raumordnung, Wohn- und Siedlungswesen, Baurecht (577 Fälle; 16,1 %) und Gemeindeangelegenheiten (413 Fälle; 11,5 %). Als bevölkerungsreichstes Bundesland hatte Wien die meisten Prüffälle (43,6 %), vor Niederösterreich (17 %) und Oberösterreich (12,4 %).
Asyl und Staatsbürgerschaft: Beschwerden über Verfahrensdauer
Beschwerden wegen der Dauer von Staatsbürgerschaftsverfahren, vor allem durch das Wiener Magistrat (MA 35), sind dem Volksanwaltschaftsbericht zufolge seit 2021 angestiegen, auf 437 im Jahr 2023. Die Dauer von Asylverfahren, für die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zuständig ist, führte zu den meisten Beschwerden in diesem Bereich, die 2023 insgesamt 771 Fälle ausmachten. Ursachen für schleppende Verfahren sind laut Erhebungen der Volksanwaltschaft häufig Kommunikationsverzögerungen zwischen dem BFA anderen Behörden. Beschwerden über die Polizei betrafen unter anderem die Nichtentgegennahme von Anzeigen, mangelhafte Ermittlungen, Untätigkeit, Unfreundlichkeit und mangelhafte Auskunftserteilung. Von den 296 polizeibezogenen Beschwerden wurden von der Volksanwaltschaft im Vorjahr 13 als Missstände identifiziert.
Auszahlungspraxis bei Klimabonus schürt Unmut
Seit Herbst 2022 haben sich laut Bericht mehr als 1.500 Personen an die Volksanwaltschaft mit Beschwerden über den Klimabonus gewandt. Zum einen sei dieser Ausgleich für Mehrkosten aufgrund der CO2-Bepreisung aus Sicht der Beschwerde einlegenden Personen zu spät ausbezahlt worden, zum anderes gab es Unverständnis für die regionale Staffelung des Zuschusses. Die Volksanwaltschaft erklärt anhand der seit Juni 2023 geänderten Klimabonus-Abwicklungsverordnung (KliBAV), dass die Auszahlung der regionale Klimabonus grundsätzlich mit 1. Juni des auf das Anspruchsjahr folgenden Jahres erfolgt.
Anteilige Pensionsanpassung vorerst ausgesetzt
Rechtliche Erklärungen liefert der Bericht auch zur 2022 erfolgten Aliquotierung der Pensionen, wegen der sich ebenfalls zahlreiche Personen an die Volksanwaltschaft gewandt haben. Die vorgebrachten Befürchtungen betrafen vor allem die sich im Laufe eines Jahres verminderten Höhen der jährlich anhand der Verbraucherpreise festzulegenden Pensionsanpassungen. Angesichts der hohen Teuerung könne dies zu hohen Verlusten bei einem Pensionsantritt, der nicht am 1. Jänner bei voller Anpassungshöhe erfolgt, führen, so die Volksanwaltschaft. Wenn auch das Sozialministerium den Vorstoß der Volksanwaltschaft, die Aliquotierungsregelung wieder aufzuheben, aus Gründen der langfristigen Pensionssicherung zurückwies, wurde die anteilige Pensionsanpassung doch vom Gesetzgeber für die Jahre 2024 und 2025 ausgesetzt. Begründet wurde dieser Schritt von den Regierungsfraktionen mit der hohen Inflation, durch die eine Aliquotierungsregelung besonders negative finanzielle Auswirkungen auf die Pensionshöhe habe (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 369/2023).
Justizanstalten: Personalmangel bestehendes Problem
721 Beschwerden von Insassinnen und Insassen des Straf- und Maßnahmenvollzugs ergingen 2023 an die Volksanwaltschaft. Als Beispiel für unmenschliche Haftbedingungen führt der Bericht die baulichen Verhältnisse in der Justizanstalt Josefstadt an, die Häftlingen im Rollstuhl den selbstständigen Toilettenbesuch unmöglich machen. Abgesehen von Baumängeln weist der Bericht Personalengpässe im Straf- und Maßnahmenvollzug als Problem aus. Bei Anstrengungen des Justizministeriums, Personalabgänge im Vollzug einzudämmen und das Arbeitsumfeld zu attraktivieren, hat sich die Volksanwaltschaft mit ihrer Expertise eingebracht. Ungeachtet dessen betont das Kontrollorgan, besonders bei der medizinischen und pflegerischen Versorgung im Vollzug gebe es weiterhin dramatische Engpässe in der Personalausstattung. Das sei besonders angesichts der steigenden Suizidraten von Gefängnisinsass:innen bedenklich. 2023 haben sich der Volksanwaltschaft zufolge mehr doppelt so viele Häftlinge das Leben genommen wie im Jahr davor.
Schutz der Menschenrechte abhängig von Rahmenbedingungen
Die gesetzlichen und budgetären Rahmenbedingungen von Einrichtungen, in denen Menschen zumindest teilweise ihre Freiheit entzogen wird, seien entscheidend für die menschenrechtliche Lage der festgehaltenen Personen, betonen die Volksanwält:innen Schwarz, Rosenkranz und Achitz im Berichtsteil über die Arbeit der Volksanwaltschaft gemäß UN-Protokoll zur Prävention von Menschenrechtsverstößen. Die präventiven Menschenrechtskontrollen der Volksanwaltschaft werden von insgesamt sieben Experten-Kommissionen durchgeführt, von sechs Kommissionen mit regionaler Zuständigkeit und einer bundesweiten Kommission für den Straf- und Maßnahmenvollzug. Zudem beobachten die Kommissionen die Exekutive bei der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt, etwa bei Abschiebungen, Demonstrationen und Polizeieinsätzen. In 64 % der präventiven Kontrollen sahen sich die Kommissionen veranlasst, die menschenrechtliche Situation zu beanstanden. Durch Gespräche mit den zuständigen Ministerien und Aufsichtsbehörden habe man viele festgestellte Missstände und Gefährdungen beseitigen können, so die Volksanwaltschaft. Allerdings bestünden vielfach strukturelle Mängel, für deren Beseitigung es ausreichend finanzielle Mittel und qualifiziertes Personal bedürfe.
Handlungsbedarf bei Schmerzerfassung in Heimen
Zu den Prüfschwerpunkten der Menschenrechtskontrollen gehörte 2023 "Schmerzmanagement und Palliative Care" in Alten- und Pflegeheimen. Eine standardisierte Schmerzerfassung samt interdisziplinärer Zusammenarbeit von Schmerzexpert:innen ist die zentrale Empfehlung der Volksanwaltschaft auf Grundlage dieser Untersuchungen, die zutage führten, das 60 – 80 % der Heimbewohner:innen an Schmerzen leiden. Zudem befassten sich die Kommissionen anlässlich des 2022 in Kraft getretenen Sterbeverfügungsgesetzes (StVfG) auch mit assistierten Suiziden in Pflegeeinrichtungen. Die Volksanwaltschaft betont in diesem Zusammenhang die Duldungspflicht von Heimbetreibern, wenn die rechtlichen Voraussetzungen von assistiertem Suizid erfüllt sind. Bei Befragungen zeigten sich nämlich 53 % der Alten- und Pflegeheime ablehnend gegenüber Suizidassistenz.
Weitere Schwerpunkte waren unter anderem "Selbstbestimmung mit besonderem Fokus auf sexueller Selbstbestimmung" in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, "Deeskalieren - der Umgang mit Angehaltenen" in Polizeianhaltezentren und die Ursache von Gewaltvorfällen im Jugendvollzug.
Psychische Krankheiten: mangelnde Versorgungssicherheit
Bei ihren Besuchen in insgesamt zwölf österreichischen Krankenanstalten zeigten sich den Kommissionen des NPM 2023 nicht nur Mängel an Fachärzt:innen und Krankenpfleger:innen in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern auch Lücken in der entsprechenden extramuralen Folgeversorgung. Angesichts dessen startete die Volksanwaltschaft 2024 eine Schwerpunktüberprüfung des Entlassungsmanagements. Ziel dieser Untersuchungen ist, sicherzustellen, dass Entlassungen von psychiatrischen Patient:innen mit einer nahtlosen Versorgung außerhalb des Spitals einhergehen. Das dient laut Bericht auch einer Reduktion der "Drehtürpsychiatrie", also vermeidbarer Wiederaufnahmen. (Schluss) rei