Parlamentskorrespondenz Nr. 38 vom 06.02.2025
Gleichbehandlungsanwaltschaft sieht Lücken im Diskriminierungsschutz
Wien (PK) – Mit einem Plus von 32 % im Vergleich zu den beiden Vorjahren verzeichnete die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) 2022 und 2023 einen markanten Anstieg an Anfragen. Am häufigsten Stand dabei mit 42 % der Diskriminierungsgrund Geschlecht im Zentrum, insbesondere im Zusammenhang mit Themen wie sexuelle Belästigung, Entgeltdiskriminierung sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 24 % betrafen Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit. Das geht aus dem Gleichbehandlungsbericht für die Privatwirtschaft 2022 und 2023 hervor, den die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien und der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft vorgelegt haben (III-80 d.B.).
Darin weist die GAW zudem auf Schutzlücken im Gleichbehandlungsrecht hin und unterstreicht die Notwendigkeit gesetzlicher Anpassungen sowie zusätzlicher Ressourcen für die GAW. Gegenstand des Berichts sind außerdem die Tätigkeit der Gleichbehandlungskommission sowie Ausführungen des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft und Beiträge der Interessensvertretungen.
Gleichbehandlungsanwaltschaft: Meiste Anfragen zu Diskriminierungsgrund Geschlecht
Insgesamt 5.231 Personen mit 6.359 Anfragen haben sich im Berichtszeitraum an die GAW gewandt. Das entspricht einem Anstieg der Anzahl an Anfragen um 32 % gegenüber dem Referenzzeitraum des letzten Berichts von 2020/2021. 88 % der über die GAW geführten Vergleichsverhandlungen führten zu einem positiven Ergebnis – laut Bericht ein "großer Erfolg". Mit 42 % betrafen die meisten Anfragen den Diskriminierungsgrund "Geschlecht", insbesondere im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie mit Entgeltdiskriminierungen. Außerhalb der Arbeitswelt war die GAW im Geschlechterbereich häufig mit Diskriminierungen beim Zugang zu Freizeiteinrichtungen und Anfragen zu geschlechterinklusiven Angeboten wie geschlechtsneutralen Sanitäranlagen befasst. Dabei ging es vermehrt um die Diskriminierung von trans- und inter-Personen.
24 % der Anfragen betrafen den Diskriminierungsgrund "ethnische Zugehörigkeit". In der Arbeitswelt wurden Diskriminierungen häufig bei der Anbahnung und bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen vorgebracht. In anderen Lebensbereichen dominierten Anfragen zu Diskriminierungserfahrungen beim Zugang zu Wohnraum, Gastronomie, Freizeiteinrichtungen sowie Bank- und Versicherungsgeschäften. Im Bildungsbereich haben sich die Anfragen gegenüber dem Berichtszeitraum 2020/21 verdoppelt. Dabei ging es um Belästigungen und den Zugang zu Bildungseinrichtungen.
Lücken im Diskriminierungsschutz
Laut Bericht ist gerade hier das Schutzniveau des Gleichbehandlungsgesetzes am lückenhaftesten, da nur der Diskriminierungsgrund ethnische Zugehörigkeit geschützt ist. Knapp ein Drittel der Diskriminierungsfälle aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit waren jedoch Mehrfachdiskriminierungen, häufig im Zusammenhang mit Geschlecht und Religion. Frauen, die Hidschāb oder Burkini tragen waren besonders von Zugangsdiskriminierungen bei Ausbildung, in der Arbeitswelt und im Freizeitbereich betroffen.
5 % der Anfragen betrafen den Diskriminierungsgrund "Religion". Zu einem Großteil wandten sich Frauen muslimischer Religionszugehörigkeit an die GAW. Bei 2 % der Anfragen fühlten sich Personen aufgrund ihrer Weltanschauung diskriminiert – großteils ging es um die Zugehörigkeit zu einem Betriebsrat oder eine vorliegende oder fehlende Parteizugehörigkeit.
Den Diskriminierungsgrund "Alter" betrafen 10 % der Anfragen, die vor allem von Personen über 50 Jahren gestellt wurden. Immer häufiger stehen Anfragen in Zusammenhang mit der Digitalisierung. Dabei ging es in der Arbeitswelt etwa um Recruitingprozesse und im Bereich der Güter und Dienstleistungen betraf jede fünfte Anfrage den Banken- und Versicherungssektor. Die Digitalisierung von Zugängen zu Gütern und Dienstleistungen könne zum Ausschluss älterer Menschen führen, was für die Betroffenen einen Autonomieverlust bedeute, wie es im Bericht heißt.
Die "niedrigen" Fallzahlen beim Diskriminierungsgrund "sexuelle Orientierung" (4 %) führt die GAW darauf zurück, dass viele Betroffene aus Angst vor Repressalien oder sozialer Ausgrenzung am Arbeitsplatz nicht offen über ihre sexuelle Orientierung sprechen würden. Auffallend sei allerdings, dass es sich bei 22 % der gemeldeten Fälle um Diskriminierungen im öffentlichen Raum, in Form von Belästigungen und Gewalt – also Hassverbrechen – handelte. Diesen fielen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gleichbehandlungsanwaltschaft.
Wichtigste Empfehlungen: Mehr Personal und Ressourcen für die Gleichbehandlungsanwaltschaft
Generell fielen 40% aller Anfragen nicht in den Kompetenzbereich der GAW, was diese auf eine "bestehende Zersplitterung im Gleichbehandlungsrecht" zurückführt. Sie verweist auf "gravierende Schutzlücken" bei den Diskriminierungsgründen Geschlecht, Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung oder Alter im Bildungsbereich und beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. 341 Mal hätten Menschen diskriminierende Vorfälle in nicht vom Gleichbehandlungsgesetz geschützten Lebensbereichen geschildert. Die GAW unterstreich daher ihre langjährige Forderung nach einem "Levelling-Up" im Gleichbehandlungsgesetz. EU-weit bestünden nur in Österreich und Griechenland die beschriebenen Rechtsschutzlücken, da sämtliche andere Mitgliedstaaten das Rechtsschutzniveau in allen Lebensbereichen gleich geregelt hätten.
Bei ihren Empfehlungen orientiert sich die GAW an den gleichbehandlungsrechtlichen und -politischen Entwicklungen auf europäischer Ebene, die in den nächsten zwei Jahren umzusetzen seien. So biete etwa die EU-Richtlinie zu Standards für Gleichbehandlungsstellen Chancen, die "Zersplitterung" des Gleichbehandlungsrechts zu reduzieren. Zudem gibt sie vor, dass Gleichbehandlungsstellen weisungsfrei und unabhängig agieren können müssen. Die GAW hält daher eine Stärkung der Personal- und Budgetverantwortung sowie eine Berichtslegung im eigenen Namen für notwendig. Ausreichende Personalressourcen speziell in den Regionalbüros seien insbesondere angesichts steigender Anfragenzahlen und Herausforderungen sicherzustellen.
Diese Herausforderungen ergäben sich unter anderem durch die Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie, die dringenden Handlungsbedarf bei der Durchsetzung des Rechts auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit aufzeige, sowohl auf individueller als auch struktureller Ebene. Die GAW werde in der diesbezüglichen Beratung und Sensibilisierung von Unternehmen eine Schlüsselrolle spielen.
Die Schulungstätigkeit der GAW bei Unternehmen und Institutionen habe sich gegenüber dem letzten Berichtszeitraum 2020/21 verdreifacht. Aus Mangel an Ressourcen konnte jeder vierten Schulungsanfrage nicht nachgekommen werden, weshalb die GAW für einen personellen Ausbau in diesem Handlungsfeld plädiert. Auch bei der zunehmend anfallenden Medienarbeit (Steigerung um 80 %) stelle sich diese Problematik. Vergleiche man die Personalressourcen der GAW mit jenen anderer europäischer Gleichbehandlungsstellen, so habe Österreich einen "massiven Aufholbedarf", wie aus dem Bericht hervorgeht.
Die GAW verfüge für die proaktive Arbeit (Sensibilisierungs- und Öffentlichkeitsarbeit) bis dato über keine Personalressourcen. Auch die wichtigsten Aufgaben in diesem Bereich, wie etwa Schulungen, könnten nur in eingeschränktem Ausmaß erfüllt werden. Dies widerspreche der EU-Richtlinie zu den Standards, da diese vorsehe, "geeignete Kommunikationsinstrumente und -formate" für alle Zielgruppen bereitzustellen. Gleichbehandlungsstellen sollten sich demnach ausdrücklich an öffentlichen Debatten beteiligen. Ein umfassender Aufbau von Ressourcen für die proaktive Arbeit sei daher "dringend notwendig". Auch, dass die GAW im Bereich der Grundlagenarbeit derzeit nur über eine sozialwissenschaftliche Mitarbeiterin verfüge, entspreche nicht den EU-Standards.
Zudem müsse die GAW auch vor den Hintergrund des Inkrafttretens des Artificial Intelligence Acts der EU (AI Act) gestärkt werden, damit sie auch zukünftig das Diskriminierungsrisiko von künstlicher Intelligenz und Algorithmen aufzeigen könne. Außerdem sei eine Stärkung der Informations- und Auskunftsrechte in Hinblick auf die EU-Richtlinien ebenso angezeigt wie ein Ausbau der Klagerechte der GAW. Dies betreffe sowohl die Möglichkeit einer Feststellungsklage im eigenen Namen mit individuellen Betroffenen als auch die Verbandsklage. Diese Klagerechte werde es eventuell bei der Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie und des AI Act brauchen. Weiters empfiehlt die GAW die Implementierung von nationalen Aktionsplänen zu Sensibilisierung etwa in den Bereichen Rassismus oder LGBTQIA+. Sie müsse bei der Umsetzung ihrer Empfehlungen in Gesetzgebungsprozessen und politischen Maßnahmen zur Sensibilisierung miteinbezogen werden, wie sie im Bericht festhält.
Tätigkeitsbericht der Gleichbehandlungskommission
Gegenstand des Berichts ist auch die Tätigkeit der Gleichbehandlungskommission, die sich in drei Senate gliedert. Senat I ist für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt sowie für Mehrfachdiskriminierungen zuständig. Im Berichtszeitraum wurden insgesamt 154 Anträge eingebracht, 138 davon von Frauen, 14 von Männern und zwei von Transgender-Personen. Mit 78 Anträgen war der häufigste Tatbestand die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Der Senat erstellte 61 Prüfungsergebnisse. 86 der im Berichtszeitraum anhängig gewesenen Anträge wurden während des Verfahrens zurückgezogen, die meisten in Folge eines Vergleichs. Im Vergleich zu den vorangegangenen Berichtsjahren 2020/2021 konnte die Verfahrensdauer von durchschnittlich rund 16 Monaten auf circa 11 Monate reduziert werden, was die Senatsvorsitzende auf einer Steigerung der personellen Ressourcen zurückführt.
Senat II befasst sich mit der Gleichbehandlung bezüglich der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung in der Arbeitswelt. Auch dieser konnte seine durchschnittliche Verfahrensdauer auf rund 10 Monate reduzieren. Insgesamt wurden bei ihm 64 Anträge eingebracht und 30 Prüfergebnisse erstellt. Die mit 21 Fällen am häufigsten vorgebrachten Diskriminierungen erfolgten aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit in Form von Belästigung.
Senat III, der für die Gleichbehandlung ohne Unterschied des Geschlechts oder der ethnischen Zugehörigkeit außerhalb der Arbeitswelt zuständig ist, hatte eine Anstieg der Fallzahlen von 31 in der Vorperiode auf 48 Verfahren im Berichtszeitraum zu verzeichnen. Die Anzahl der Prüfungsergebnisse erhöhte sich um mehr als 100 % auf 21 und die Verfahrensdauer konnte bei rund acht Monaten in etwa gehalten werden. Der Großteil der Fälle konzentrierte sich sowohl beim Diskriminierungsgrund der ethnischen Zugehörigkeit (23) als auch beim Merkmal Geschlecht (15) auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum. Die Zahl der Antragstellungen von Frauen und Männern war im Berichtszeitraum erstmals ausgeglichen.
Teil des Berichts sind auch Ausführungen des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft betreffend die Weiterentwicklung der Gesetzgebung, Informationen zur Vollziehung durch die Gerichte sowie Ausführungen zur Gleichbehandlung im EU-Recht. Ebenfalls angeführt werden Beiträge der Interessensvertretungen, wie der Bundesarbeiterkammer und der Wirtschaftskammer. (Schluss) wit