Parlamentskorrespondenz Nr. 158 vom 14.03.2025
Rechtsextremismus-Bericht: Kriminalstatistik zeigt Anstieg der Zahl rechtsextremistischer Straftaten
Wien (PK) – Eine Sekundärdatenanalyse der staatlichen Kriminalstatistik zeige, dass die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in den Jahren 2020 bis 2023 angestiegen ist. Rund 60 % der sicherheitsbehördlich als rechtsextremistisch klassifizierten Tathandlungen würden dabei Verstöße gegen das Verbotsgesetz ausmachen. Regional stark überrepräsentiert unter den sicherheitsbehördlich als rechtsextremistisch klassifizierten Tathandlungen sind demnach die Bundesländer Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg. Zugleich gebe es aber auch eine Reihe an Problemen in Sachen Erhebung und Aufbereitung der Daten, die die Aussagekraft der Zahlen und die Möglichkeit sinnvoller Vergleiche über die Zeit limitieren. So könne grundsätzlich eine erhöhte Zahl auch mit anderen Faktoren wie einer veränderten gesetzlichen Lage oder Problemwahrnehmung zu tun haben. Dies wird im umfassenden Bericht über Rechtsextremismus in Österreich 2023 unter Berücksichtigung der Jahre 2020 bis 2022 festgehalten, der noch von der vormaligen Justizministerin Alma Zadić vorgelegt wurde (III-126 d.B.). Verfasst wurde der Bericht vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Auftrag des Justizministeriums und des Innenministeriums.
Unterschiedliche Szenespektren und Erscheinungsformen
Unter anderem nimmt der Bericht auch eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichsten Szenespektren und Erscheinungsformen im Bereich des Rechtsextremismus in Österreich vor. So würden etwa Organisationen des deutschnationalen Milieus, allen voran die völkischen Studentenverbindungen, heute eine gesellschaftliche Randerscheinung darstellen. Ihr historisches Naheverhältnis zur FPÖ verleihe ihnen dennoch eine gewisse politische Prägewirksamkeit, so der Bericht. Auch die Identitäre Bewegung Österreich habe viel mediale Aufmerksamkeit generiert und auf den politischen Diskurs in Österreich Einfluss genommen. Was wiederum die Proteste gegen die Corona-Maßnahmenpolitik betrifft, seien diese von "Neonazis" als seltene Gelegenheit genutzt worden, im Schutz von (Massen-)Demonstrationen Präsenz auf der Straße zu zeigen. Analysiert werden im Bericht unter anderem auch Formen von Rechtsextremismen in der (post-)migrantischen Gesellschaft oder subkulturelle Äußerungsformen von Rechtsextremismus wie beispielsweise der "Fußball-Hooliganismus".
Was den internationalen Blickwinkel betrifft, sei vor allem für die seit jeher mit dem österreichischen Rechtsextremismus eng verflochtene deutsche Szene ein besonders hohes Maß an Austausch zu konstatieren. Aber auch für eine Reihe anderer Länder sei in relevantem Ausmaß Interaktion feststellbar.
Im Hinblick auf rechtsextreme Publizistik habe sich der rechtsextreme Zeitschriftenmarkt (Print und Online) in Österreich in jüngerer Vergangenheit sehr dynamisch entwickelt. Die Digitalisierung wiederum habe zur Herausbildung neuer Formen eines primär auf mediale Verwertbarkeit hin orientierten Aktionismus, einen Typus des rechtsextremen Influencers, "seltener: der Influencerin", oder zur verstärkten Heranziehung von Videospielen und Gaming-Plattformen zur Verbreitung rechtsextremer Ideologie geführt. Auch die im Berichtszeitraum feststellbaren ersten Regungen eines "militanten Akzelerationismus" in Österreich wurden laut Bericht maßgeblich durch die digital vermittelte Globalisierung rechtsextremer Binnen-Kommunikation begünstigt.
Behandelt wird im Bericht auch das staatliche Handlungsrepertoire zur Bekämpfung rechtsextremistischer "Umtriebe" in Österreich und die Bearbeitung des Rechtsextremismus aus der Perspektive der Behörden. Dabei zeige sich zum einen, dass spezifische Probleme beim Umgang mit entsprechenden Vorkommnissen existieren, und dass zum anderen eine koordinierte Vorgehensweise, bzw. ein kontinuierlicher Austausch zwischen den verschiedenen Expert:innen Voraussetzung für eine erfolgreiche und rechtsstaatlich angemessene Verarbeitung der anfallenden Verdachtsfälle ist.
Anstieg bei antisemitischen und antimuslimischen Vorfällen
Was antisemitische und antimuslimische Vorfälle in Österreich betrifft, würden diese in eigenen Meldestellen dokumentiert. Dabei zeige sich 2023 ein starker Anstieg, wobei als wichtigster Erklärungsfaktor die gesellschaftliche Reaktion auf den Terrorangriff auf Israel im Oktober 2023 benannt wird. In inhaltlicher Hinsicht sei die Bedeutung der einst zentralen Leugnung des Holocausts in jüngerer Vergangenheit zurückgegangen, der Antisemitismus jedoch von prägnanter Bedeutung geblieben.
Verbreitung von Verschwörungsmythen an Bedeutung gewonnen
In inhaltlicher Hinsicht werde unter der Ägide der "Neuen Rechten" vom organisierten Rechtsextremismus nur noch selten offene Holocaustleugnung betrieben. Angegriffen werde anstelle der historischen Wahrheit das Gedenken an und die Aufklärung über diese, die als "Schuldkult" und Ausdruck von "Ethnomasochismus" diffamiert werden, so der Bericht. Die Verbreitung von Verschwörungsmythen habe – maßgeblich vorangetrieben durch die Corona-Maßnahmenproteste – in der Außenkommunikation der extremen Rechten an Bedeutung gewonnen. Mit "Bevölkerungsaustausch", "Globalisten" oder "Great Reset" seien dabei Begriffe und Erzählungen etabliert worden, die inzwischen von weitesten Teilen der Szene, über fortbestehende Konfliktlinien hinweg, verwendet würden und zum Teil auch Eingang in den parteipolitischen Diskurs gefunden hätten. Neben antisemitisch grundierten Verschwörungsmythen und der im Berichtszeitraum weiter fortgesetzten antimuslimischen Agitation seien weitere Feindbilder ins Zentrum rechtsextremer Agitation getreten, darunter etablierte Medien ("Lügenpresse"), der Liberalismus, die Klimabewegung und LGBTIQ-Personen.
Die vom außerparlamentarischen Spektrum seit Jahren propagierte, arbeitsteilig-solidarisch agierende "Mosaik-Rechte" aus "Alternativmedien", aktivistischen Gruppen und parteipolitischem Arm sei im Berichtszeitraum weitgehend realisiert worden. Im Gefolge der Freiheitlichen Jugend habe sich spätestens seit dem Anschwellen der Corona-Protestbewegung auch die FPÖ diesem Konzept verschrieben und der "Distanziererei" vom rechten Rand eine Absage erteilt, so der Bericht. Durch dieses konzertierte Vorgehen und getragen von gesamtgesellschaftlich verbreiteten Stimmungslagen sei davon auszugehen, dass der österreichische Rechtsextremismus in der nahen Zukunft seinen Einfluss auf den politischen Diskurs in Österreich weiter werde festigen können. (Schluss) mbu