Parlamentskorrespondenz Nr. 352 vom 07.05.2025
80 70 30: Ohne Frieden ist alles nichts
Wien (PK) – Morgen vor 80 Jahren, am 8. Mai 1945, kapitulierte die deutsche Wehrmacht und in Europa endete ein Krieg, der Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Dies markierte nicht nur das Ende des Nationalsozialismus, sondern auch einen historischen Wendepunkt für Österreich in Richtung Frieden, Freiheit und Demokratie. "Österreicher! Zurück zur Friedensarbeit! Endlich sollen Eure Wohn- und Arbeitsstätten wieder ungefährdet, das Leben der Eurigen nicht mehr bedroht und die Frucht Eurer Arbeit gesichert sein!", bekundete die Provisorische Staatsregierung Österreichs an diesem Tag in der Zeitung "Neues Österreich". Eine solche Veränderung in Richtung eines ungefährdeten und unbeschwerten Lebens in Frieden würden sich wohl auch die Menschen in den heutigen Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt wünschen.
Was bedeutet Frieden, warum ist er so wichtig für Menschen und warum scheint er dennoch oft so schwer erreichbar? Und: Wie steht es um den Frieden und das Klima zwischen den Menschen und den Parteien in Österreich? Die Parlamentskorrespondenz hat bei den Parlamentsparteien nachgefragt. Die außenpolitischen Sprecher:innen im Nationalrat Susanne Fürst (FPÖ), Karoline Edtstadler (ÖVP), Petra Bayr (SPÖ), Veit Valentin Dengler (NEOS) und Meri Disoski (Grüne) legen ihre Standpunkte zum Thema Frieden dar.
Fraktionen heben Wert des Friedens hervor
Frieden hat für alle fünf außenpolitischen Sprecher:innen einen äußerst hohen Stellenwert: Freiheit, Wohlstandsentwicklung, soziale Absicherung und individuelle Entfaltung gebe es nur im Friedenszustand, betont Susanne Fürst (FPÖ). Frieden sei also Voraussetzung für das Funktionieren eines Staates und für die individuelle Lebensentfaltung. Für Fürst hat Frieden daher auf allen Ebenen den "allerhöchsten Stellenwert".
Auch für Karoline Edtstadler (ÖVP) hat Frieden einen "unfassbar hohen" Wert. Er sei die Basis für alles und entscheidend für das Zusammenleben. Bis zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei das Thema Krieg weit weg gewesen. Eine Reise in die Ukraine habe ihr eindringlich vor Augen geführt, dass alles daran gesetzt werden müsse, wieder Frieden sowie Stabilität und damit Zukunftsperspektiven für die nächsten Generationen herzustellen.
Nach einer Reise in die Ukraine ist auch der Sozialdemokratin Petra Bayr mehr denn je bewusst, wie notwendig Frieden ist. Sie habe dort hautnah erfahren und gespürt, was das Fehlen von Frieden mit Menschen macht, erzählt sie. Frieden bedeute viel mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er bedeute auch, dass Menschen ihr Leben planen können, dass es eine gewisse Sicherheit gibt, was morgen ist, und dass man sich auf die Rechtsstaatlichkeit verlassen kann.
Frieden bedeute für ihn die Abwesenheit von Gewalt in zwischen- und innerstaatlichen Beziehungen, meint Veit Valentin Dengler (NEOS). Zudem sei Frieden auch eine Geisteshaltung, wie sich Menschen organisieren sollten. Angesichts der großen Folgen, wenn Frieden scheitert, habe dieses Verständnis von Frieden seine politische Arbeit sehr stark beeinflusst.
Frieden sei für sie, ein Leben in Freiheit und in Wohlstand führen zu können, betont Meri Disoski (Grüne). Nun sehe sie, wie der Frieden, mit dem sie aufgewachsen ist, bedroht sei. Frieden sei nichts Selbstverständliches und müsse immer wieder aufs Neue verteidigt werden – nach diplomatischen Versuchen im äußersten Fall auch mit militärischen Mitteln.
Über globalen Frieden und gute Friedenspolitik
Wie es um den globalen Frieden derzeit steht und wie Friedenspolitik erfolgen soll, darüber haben die Abgeordneten unterschiedliche Ansichten.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe man in Österreich friedlich ohne äußere Bedrohung gelebt, erklärt Susanne Fürst. Mit dem Krieg in der Ukraine sei das Thema Frieden wieder präsenter geworden. Für die FPÖ sei wichtig, auf diplomatischer Ebene besänftigend und entschärfend, aber jedenfalls nicht, wie von den Regierungen geschehen, den Konflikt befeuernd zu wirken. Insgesamt habe es historisch gesehen immer sehr viele Konflikte gegeben, viele seien aber hierzulande nicht wahrgenommen worden. Heute seien diese aber durch das Internet und die Medien präsenter.
Aktuell sei mehr denn je zu sehen, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit sei, meint Karoline Edtstadler. Die täglichen Berichte aus Kriegsgebieten würden deutlich machen, dass die globale Staatengemeinschaft für Frieden eintreten müsse. Der Fokus der ÖVP liege darauf, den Frieden in der Ukraine wieder herzustellen und Regionen rund um Europa zu stärken. Dies gelte insbesondere für die sechs Westbalkanstaaten, die in die EU aufgenommen werden sollten. Zum Erhalt des Friedens gehöre für sie auch ganz klar ein entschlossener Kampf gegen Antisemitismus.
Statistisch gesehen gebe es heute vermutlich weniger Kriege, sagt Petra Bayr. Aktuell gebe es aber mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten zwei Konflikte, die Österreich sehr nahe und damit präsenter seien. Österreich habe in der Vergangenheit auf internationaler Ebene eine moderierende Rolle in der Friedenspolitik gehabt und das Land sollte zu dieser Tradition wieder "dringend" zurückfinden, fordert die SPÖ-Abgeordnete. In die Zukunft geblickt wünscht Bayr sich, dass Österreich seine Stimme in den internationalen Institutionen mehr für eine global verantwortungsvolle Politik nutzt.
Wir würden in einer Welt leben, in der die größeren Mächte versuchen, die kleineren zu dominieren, zeigt sich Veit Valentin Dengler überzeugt. Man könne demgegenüber entweder versuchen, gemeinsam aufzutreten, also de facto eine große Macht zu sein, oder man behalte seine "Kleinstaaterei" bei und stehe in Folge auf dem "Menü der Großmächte". Deswegen sei es für Europa so wichtig, nach außen einheitlich aufzutreten und gemeinsam wehrhaft zu sein, so der NEOS-Abgeordnete. Der neutrale Weg Österreichs werde dabei nicht mehr funktionieren.
Man lebe in einer Zeitenwende, in der Dinge wie Sicherheitsgarantien in Frage gestellt und Zivilist:innen in europäischen Ländern verbrecherisch angegriffen würden, sagt Meri Disoski. Sich hier auf die Neutralität zu berufen, reiche für sie daher nicht aus. Auch aus friedens- und sicherheitspolitischer Sicht sei für die Grünen das Lösen der Klimakrise enorm wichtig. So werde künftig eine hohe Zahl an Menschen auf der Flucht sein, da ihre Lebensgrundlagen aufgrund des Temperaturanstiegs zerstört würden. Ebenso wichtig sei Gleichstellung, da es keinen Frieden ohne diese geben könne.
Was man aus 80 Jahren Frieden in Österreich lernen kann
Österreich feiert dieser Tage 80 Jahre Frieden. Die Abgeordneten blicken darauf, was für diesen Frieden ausschlaggebend war und was man daraus ableiten und lernen kann.
Nach 1945 hätten die damaligen Generationen genug vom Krieg gehabt und sie hätten gewusst, dass Krieg kein Weg sei, Probleme zu lösen, erläutert Susanne Fürst. Heute gelte es, diesen Wert wieder bewusst zu machen. Viele europäische Politiker:innen würden aber nur auf Waffen setzen. Österreich sollte wie in der Vergangenheit hier im Sinne seiner Neutralität wirken und bei Konflikten vermittelnde Diplomatie anbieten. Dazu sei aber auch eine zurückhaltende Regierungslinie notwendig. So könne sich Österreich als neutraler Anker zwischen den sich neu formierenden Machtblöcken positionieren.
1945 sei der Wunsch nach Frieden wohl stark genug gewesen, um auch bereit zu sein, am Verhandlungstisch diesen Frieden herzustellen, meint demgegenüber Karoline Edtstadler. Das zeige, dass selbst in der tiefsten Krise und nach Zerrüttung, Streit und Krieg Kompromisse und Versöhnung möglich seien. Dazu brauche es den Willen, die Dinge wieder zum Guten zu wenden und Frieden herzustellen.
Für den Frieden sei vor 80 Jahren die Erkenntnis aller Beteiligten wichtig gewesen, dass kriegerische Auseinandersetzungen letztendlich allen viel abverlangen würden, meint Petra Bayr. Was man vielleicht aus der Friedensfindung von damals lernen kann, sei zu verhandeln und Dinge am Verhandlungstisch zu lösen.
Das Deutsche Reich musste als Hauptaggressor 1945 niedergerungen werden, erläutert Veit Valentin Dengler. Im Kalten Krieg hingegen musste kein Krieg geführt werden, um imperiale Ansprüche zu stoppen. Hier habe es eine glaubhafte Abschreckung gegeben. Dieser Gedanke der Abschreckung der wehrhaften Demokratien sei für ihn auch heute eine Grundvoraussetzung für den Frieden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sei das Nationalstaatliche zurückgefahren worden und man habe versucht, sich in einem größeren Kontext, wie ihn heute die Europäische Union darstellt, einzufinden, erklärt Meri Disoski. "Nationalstaatliche Verzwergung" sei etwas, das Österreich alles andere als schützt. Das Land sei dort gut aufgehoben, wo es sich in einem starken Verband auf Verbündete verlassen könne. Heute sei die Frage zu stellen, ob das Konzept der Neutralität noch passend sei.
Parlamente haben Rolle bei Friedensfindung
Heute bemühen sich unterschiedliche Akteure national und international um Frieden. Die Abgeordneten sehen auch das Parlament in einer wichtigen Rolle.
So misst Susanne Fürst den bilateralen Freundschaftsgruppen auf parlamentarischer Ebene eine wichtige Rolle zu. Über den Austausch könne vieles erreicht und Probleme gelöst werden, ist sie überzeugt.
Parlamente könnten zur Friedensförderung beitragen, indem sie sich sowohl im eigenen Land als auch in der Außenpolitik für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und friedliche Konfliktlösung einsetzen, erläutert Karoline Edtstadler. Dazu sei auch die Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten besonders wichtig.
Die Politik in Sachen Frieden sollte viel holistischer und gesamtheitlicher gesehen werden, fordert Petra Bayr. Man müsse wirtschaftliche, ökologische und soziale Ungleichheit bekämpfende Aspekte viel mehr im Auge haben. Auf parlamentarischer Ebene gelte es dann, dies laufend zu thematisieren.
Je mehr Menschen gegenseitig ihre Länder bereisen und sich kennenlernen, desto mehr werde ihnen klar, wie sehr wir in einer Welt mit gemeinsamen Herausforderungen leben, befindet Veit Valentin Dengler. Deswegen seien parlamentarische Freundschaftsgruppen für ihn ein "aktiver Friedensbeitrag".
Der Austausch mit anderen Parlamenten sei aus einer diplomatischen, aber auch aus einer friedens- und sicherheitspolitischen Perspektive sehr wichtig, meint auch Meri Disoski. Anträge und Resolutionen des Parlaments würden ein klares Zeichen aussenden. Es müssten aber darauf auch konkrete Taten folgen, um glaubwürdig zu bleiben.
Wie entwickelt sich das Klima des Miteinanders in Österreich?
Frieden ist mehr als das Gegenstück zu Krieg. In der Frage des Miteinanders und des sozialen Friedens thematisieren die Abgeordneten Meinungsfreiheit, soziale Medien und Öffentlichkeit.
Die Coronazeit habe den gesellschaftlichen Diskurs und das Miteinander verschärft, ist Susanne Fürst in dieser Frage überzeugt. Die "Unterdrückung" bestimmter Meinungen habe das gesellschaftliche Klima vergiftet und die Gesellschaft auseinander gedriftet. Eine große Gruppe habe nun auch angesichts der Zuwanderungsproblematik das Gefühl, es gehe mit dem Land abwärts und dies sei nicht thematisierbar ohne dafür "verteufelt" zu werden. Die Regierung habe die Verantwortung, das wieder ins Lot zu bringen. Für ein besseres Miteinander müssten andere Meinungen wieder mehr akzeptiert werden.
Die sozialen Medien würden heute eine besondere Rolle spielen, sagt Karoline Edtstadler. Dies habe eine stärkere Polarisierung, eine rasche Verbreitung von Desinformationen sowie Echokammern zur Folge, in denen sich viele wiederfinden und auch nicht mehr herauskommen. Für einen friedvolleren Umgang sei jede und jeder aufgerufen, mit den eigenen Worten achtsamer umzugehen.
Auch Petra Bayr von der SPÖ thematisiert die Folgen der sozialen Medien. Die Schwelle, jemanden elektronisch auszurichten, sei offensichtlich viel niedriger, als es der Person direkt ins Gesicht zu sagen. Auf der anderen Seite gebe es aber auch ein friedlicheres und gewaltfreieres Zusammenleben als früher, wenn man etwa an das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern denkt, betont Bayr.
Wir würden in vielerlei Hinsicht in der friedlichsten aller Zeiten leben, ist Veit Valentin Dengler überzeugt. Dies gelte zwischenstaatlich, aber auch dafür, wie der Staat organisiert ist und wie Bürger:innen miteinander umgehen. Seit dem Großwerden der sozialen Medien sei aber die "Betriebstemperatur der Demokratie" gestiegen und die Anonymität der sozialen Medien habe Aggression befeuert.
Für sie sei das Leben in Österreich nicht unfriedlicher geworden, erklärt Meri Disoski. Ihrer Hypothese nach hätten die Menschen heute mehr Möglichkeiten, sich Öffentlichkeit zu verschaffen und auf Diskriminierung und Benachteiligung aufmerksam zu machen. So würde man mehr Dinge mitbekommen. Insgesamt zähle für sie neben dem Klimaschutz die Verteilungsgerechtigkeit zu den drängendsten Fragen.
Fraktionen sehen Verbesserungsbedarf im politischen Miteinander
Es sei der Sinn der Opposition, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren, betont Susanne Fürst in dieser Frage. In den letzten Jahren habe es aber seitens der Regierungen eine Entwicklung der Meinungsunterdrückung und Zensur gegeben, die von einer Beschimpfung der Opposition begleitet wurde, kritisiert sie.
Auch für Karoline Edtstadler ist die politische Debatte von einem raueren Ton geprägt. Wechselseitige Beleidigungen und Unterstellungen würden dabei schon fast zum "guten Ton" gehören. Gerade jetzt wäre es aber wichtig, mit Vernunft und positivem Gestaltungswillen für eine gute Zukunft zusammenzuarbeiten.
Petra Bayr sieht ebenfalls mehr Konflikte in der politischen Debatte und Kultur. Dies habe viel mit politischer Inszenierung und wiederum mit den Social-Media-Kanälen zu tun. Der Drang, sich selbst auf den Plattformen darzustellen, sei heute viel stärker, erklärt sie.
Die Gesprächsbasis quer über alle Fraktionen und Bevölkerungsschichten aufrechtzuerhalten, sei eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Demokratie funktioniert, hebt Veit Valentin Dengler hervor. Als Volksvertreter:innen sei es ihre Verantwortung, vorzuleben, wie Menschen miteinander umgehen sollten.
Eine "Verpopcornisierung der Politik" – also populistisch, schnell und billig Punkte auf Kosten anderer zu machen – ortet Meri Disoski. Stattdessen sollten Politiker:innen im Wettkampf der politischen Ideen das Beste für die Bevölkerung miteinander ausmachen.
(Schluss) pst
HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt.