Parlamentskorrespondenz Nr. 442 vom 23.05.2025

Über 8.000 Verfahren beschäftigten Verfassungsgerichtshof 2023

Wien (PK) – Über 8.000 Verfahren beschäftigten den Verfassungsgerichtshof 2023. Das geht aus dessen Tätigkeitsbericht 2023 hervor, den Bundeskanzler Christian Stocker dem Nationalrat vorgelegt hat (III-170 d.B.). Neue wichtige und komplexe Verfahren seien 2023 anhängig gemacht und infolge eine Reihe bedeutender Entscheidungen getroffen worden, betonen VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter und VfGH-Vizepräsidentin Verena Madner in ihrem Vorwort. Besonders hervorzuheben seien Entscheidungen zum Klimaschutz, zum finanziellen und organisatorischen Rahmen des ORF, zu den organisationsrechtlichen Rahmenbedingungen für die COVID-19-Finanzierungsagentur (COFAG) sowie zur Bundesbetreuungsagentur (BBU) und schließlich die Aufhebung der Bestimmungen der Strafprozessordnung über die Sicherstellung von elektronischen Datenträgern und Mobiltelefonen. Die Zahl an Beschwerden gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte sei unverändert hoch. Jede zweite Eingabe habe das Asyl- und Fremdenrecht betroffen. Einen großen Anteil an den Verfahren und eine "Herausforderung" für den Gerichtshof machten Anträge von Einzelpersonen und Gerichten zur "Pensionsaliquotierung" aus. Ungeachtet des hohen Arbeitsanfalls sei dem Bericht zufolge die Verfahrensdauer bei durchschnittlich drei Monaten geblieben.

8.246 Verfahren 2023 abgeschlossen

2023 gab es am Verfassungsgerichtshof 7.993 neu anhängig gewordene Verfahren. Der Gerichtshof beschäftigte sich mit 4.080 Beschwerdeverfahren gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen (65,8 % davon Asylrechtsangelegenheiten). In den 3.875 Normenkontrollverfahren wurden in 3.506 Fällen Gesetze, 365 Mal Verordnungen und vier Mal Staatsverträge geprüft. Weiters wurden sieben Verfahren in Wahlsachen, 24 Klagen in Zusammenhang mit vermögensrechtlichen Ansprüchen gegen eine Gebietskörperschaft, ein Fall eines Kompetenzkonflikts und zwei U-Ausschuss-Fälle erledigt. Neben den neuen Verfahren wurden 1.242 Verfahren aus dem Vorjahr fortgeführt. 8.246 Verfahren konnten infolge abgeschlossen werden. Ende des Jahres gab es 989 offene Fälle.

Nach wie vor relativ gering ist die Chance, beim Verfassungsgerichtshof mit einem Anliegen durchzudringen. Lediglich 724 der abgeschlossenen Verfahren endeten im Sinne der Beschwerdeführer:innen. Im Vergleich zu 2022 stieg der Anteil der Stattgaben leicht von 7,9 % auf 8,8 %. Den 724 Stattgaben stehen 3.985 Ablehnungen (48,3 %), 245 Zurückweisungen (3 %) und 696 Abweisungen (8,4 %) gegenüber. Dazu kommen 2.514 negative Entscheidungen über Verfahrenshilfeanträge (30,5 %) und 82 "sonstige Erledigungen" (1 %) wie Verfahrenseinstellungen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug im Berichtsjahr 95 Tage.

Ein hoher Anteil der Verfahren entfiel wie schon in den Vorjahren auf Verfahren nach dem Asylgesetz 2005. So wurden 2.686 Verfahren neu aufgenommen und 492 aus dem Vorjahr weitergeführt. Infolge wurden 2.744 Verfahren abgeschlossen. 33,6 % des gesamten Neuanfalls entfielen auf Beschwerden in Asylrechtsangelegenheiten. Bereinigt um die hohe Zahl an Verfahren zur Pensionsaliquotierung liegt der Asylanteil bei 56 % und damit laut Bericht über den Vorjahren.

Entscheide von ORF über Schweinehaltung bis zu Datenträgern

In den 3.506 Gesetzprüfungsverfahren 2023 ergingen 41 Sachentscheidungen. Diese gehen der Frage nach, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist. Im Fall der Verfassungswidrigkeit hebt der Verfassungsgerichtshof das Gesetz oder Teile davon als verfassungswidrig auf.

So befand der VfGH Ende 2023 etwa, dass die Vorgaben zur Zusammensetzung des Stiftungs- und Publikumsrates des ORF teilweise verfassungswidrig seien. Der Bundesgesetzgeber sei verpflichtet, Bestimmungen zu treffen, die die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe gewährleisten, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind. Im Stiftungsrat würden aber die von der Bundesregierung zu bestellenden Mitglieder im Verhältnis eine relativ große Gruppe darstellen. Ähnliches befand der VfGH auch hinsichtlich des Publikumsrats.

In einem weiteren Fall befand der VfGH, dass die Sicherstellung von Datenträgern ohne richterliche Bewilligung und ohne weitere Schutzvorkehrungen vor Missbrauch gegen das Grundrecht auf Datenschutz verstößt. Mediale Beachtung erhielt auch ein VfGH-Erkenntnis zur Schweinehaltung. Die Verfassungshüter:innen urteilten, dass die Übergangsfrist für das Wirksamwerden des Verbots von unstrukturierten Vollspaltenböden ohne Funktionsbereich mit 17 Jahren zu lang ist. Der VfGH sah darin eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Hinsichtlich der COVID-19-Finanzierungsagentur (COFAG) urteilte der VfGH, dass die mit dem ABBAG-Gesetz verfügte Ausgliederung der Gewährung von COVID-19-Finanzhilfen zur COFAG gegen das Sachlichkeitsgebot verstoße. Die Unabhängigkeit der Rechtsberatung für Asylwerber:innen und Fremde durch die Bundesbetreuungsagentur (BBU) sei vertraglich, aber nicht ausreichend gesetzlich abgesichert, urteilte der Gerichtshof in einem weiteren Erkenntnis. Dadurch werde das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt. Abgewiesen wurde eine Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien betreffend Zurückweisung des an die damalige Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort gerichteten Antrags auf Erlassung einer Verordnung für ein Verkaufsverbot fossiler Treibstoffe und von Heizöl.

Über 3.000 Verfahren zur Pensionsaliquotierung

Ende 2023 seien laut Bericht eine große Anzahl von Anträgen von Einzelpersonen und Gerichten zur "Pensionsaliquotierung" an den Verfassungsgerichtshof gestellt worden. In kurzer Zeit erreichten den Verfassungsgerichtshof über 3.200 nahezu gleichlautende Anträge. Die Mehrbelastung sei für den Verfassungsgerichtshof erheblich gewesen, ist dem Bericht zu entnehmen. Die Parallelität der vielen Verfahren habe aber den Rechtsschutz der betroffenen Personen nicht beeinflusst, betonen die Autor:innen. In Reaktion darauf hat der Verfassungsgerichtshof angeregt, eine gesetzliche Regelung zu treffen, die gleichzeitig den Rechtsschutz der Einzelnen und die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofes im Fall von "Massenverfahren" wahren soll. (Schluss) pst