12.19

Bundesrat Mag. Christian Buchmann (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Geschätzte Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Herr Vizekanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zehn Jahren wurde die Europäische Union vom Nobelpreiskomitee mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – und zwar dafür, dass sie sich besonders für Frieden, für die Versöhnung, für die Demokratie und für die Men­schenrechte einsetzt.

Ich habe mich damals sehr über diese Auszeichnung gefreut, weil ich mir gedacht habe, damit ist in Europa und vielleicht auch in angrenzenden Regionen der Welt eine Ge­sellschaftsphilosophie, eine Sicherheitsarchitektur durchsetzbar, die es allen Menschen ermöglicht, in Frieden und in Freiheit zu leben. Ich betone in Frieden und in Freiheit, weil – so wie wir es verstehen – Friede immer auch Freiheit bedingt. Friede in Unfreiheit ist relativ einfach erzielbar, Friede in Freiheit bedeutet, täglich daran arbeiten zu müssen.

Seit 14 Tagen wissen wir, dass dieser Traum oder diese Vision auf dem Prüfstand steht, dass sie durch Putins Intervention, durch Putins Angriffskrieg in der Ukraine mit Füßen getreten wurde. Wenn wir, beginnend mit dem Frühstücksfernsehen, jeden Tag Bilder ins Haus geliefert bekommen, in denen wir zerbombte Häuser sehen, in denen wir zer­bombte Wohnungen sehen, in denen wir Menschen auf der Flucht miterleben, in denen wir Familien sehen, die um die gefallenen Soldaten trauern, und wenn wir Bilder von Menschen sehen, die in Tiefgaragen oder in U-Bahn-Stationen Schutz suchen, dann sind auch viele Menschen in Österreich sehr betroffen von diesen Bildern, weil gerade die ältere Generation das auch selbst noch miterlebt hat. Es gibt nicht wenige, aus Graz etwa – da waren der Grazer Schloßberg und seine Stollen Schutzgeber für viele Men­schen in der damaligen Situation –, die diese Bilder in den letzten Tagen mit Betroffen­heit verfolgen und bereit sind, auch große humanitäre Leistungen für die Menschen auf der Flucht – mein Vorredner hat es angesprochen: die Vereinten Nationen berichten von mittlerweile fast zwei Millionen Flüchtlingen, überwiegend Frauen, Mädchen, junge Fa­milien mit ihren Kindern – zu erbringen.

Wir haben uns daher gestern in der Ausschusssitzung des Bundesrates, im EU-Aus­schuss, auch mit dieser Lage auseinandergesetzt. Wir haben diesen russischen An­griffskrieg auf die Ukraine, der eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und der ter­ritorialen Integrität und Souveränität der Ukraine darstellt, scharf verurteilt. Wir sind uns, glaube ich, alle gemeinsam einig – auch wenn es in Nuancen unterschiedliche Zugänge gibt –, dass alles zu unternehmen ist, dass dieser Krieg rasch zumindest in einen Waf­fenstillstand mündet und dass diese kriegerische Auseinandersetzung nicht weiteres Leid mit sich bringt.

Realistischerweise muss man leider sagen: Die Chancen dafür, diese Hoffnungen – wenn man gestern den Ausführungen des Vertreters des Außenministeriums gelauscht hat, wenn man auch Kontakte zu Botschaftern anderer Länder hat – stehen auf schwa­chen Beinen. Der russische Angriff wird mit unverminderter militärischer Härte durchge­führt. Die Frau Bundesministerin hat auch von der lancierten Desinformation und den Cyberattacken gesprochen. Alles das beschäftigt die Menschen vor Ort, aber es be­schäftigt auch uns, die diese Entwicklungen mitverfolgen. Die Aggression Russlands ge­gen die Ukraine ist derzeit mit Abstand eine der schwersten Bedrohungen für die euro­päische Sicherheitsarchitektur und die demokratischen Werte in Europa.

Wir sind eine Länderkammer, und viele Bundesländer in Österreich haben Partner­schaftsverträge und Partnerschaftsabkommen mit Regionen in Europa und darüber hi­naus – so auch mein Heimatbundesland, die Steiermark. Ich bin sehr dankbar, dass die steirische Landesregierung unter Vorsitz unseres Landeshauptmanns Hermann Schüt­zenhöfer unmittelbar nach Beginn dieser kriegerischen Auseinandersetzung, auch was diese Partnerschaften betrifft, ganz klare Kante gezeigt hat.

Die Steiermark hat mit zwei Regionen in der Ukraine eine langjährige Partnerschaft. Es ist dies eine Partnerschaft mit Lemberg und es ist dies eine Partnerschaft mit Kiro­wohrad, und selbstverständlich ist der Versuch unternommen worden, da auch in Kontakt zu treten und Unterstützung – natürlich humanitärer Art – anzubieten. Wir haben seit vielen, vielen Jahren Partnerschaften mit Woiwodschaften in Polen. Zwei dieser Woi­wodschaften, Karpatenvorland und Lublin, sind auch von den Flüchtlingsströmen betrof­fen, und auch da wurde Solidarität bekundet und zugesagt, im Bedarfsfall auch Unter­stützung – natürlich humanitärer Art – zu geben.

Die Steiermark hat aber auch seit vielen Jahren Partnerschaften mit russischen Regio­nen – mit Altai, mit Jaroslawl, mit Wologda und mit Tomsk –, und da hat die steiermärki­sche Landesregierung sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass diese Partnerschaften, auch auf Basis der UNO-Resolutionen, sistiert sind und derzeit nicht an eine Fortsetzung gedacht ist. Ich füge allerdings hinzu, dass ich die Kontakte auf menschlicher Ebene immer für wesentlich und für sinnvoll erachte, und wir, sollte es die Lage erlauben, un­mittelbar auch wieder den persönlichen Kontakt, auch den institutionellen persönlichen Kontakt, aufnehmen sollten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Energie­abhängigkeit wurde viel gesagt, ich brauche es nicht auszuführen. Ich sage nur dazu, dass diese Energieabhängigkeit natürlich nicht nur für die privaten Haushalte, sondern auch für die Industrie und für die Wirtschaftsunternehmen ein ganz wesentliches Thema ist, und wenn es für diese Betriebe ein Thema ist, dann ist es für Arbeitsplätze ein The­ma. Wir müssen daher sehr sorgsam mit den Entscheidungen umgehen, weil es einen doppelten Effekt – auf der einen Seite Auswirkungen aus der Ukrainekrise, auf der an­deren Seite natürlich der Transformationsprozess, den wir alle im Rahmen eines Green Deal wollen – geben kann, und die Balance wahren, weil es ansonsten zu großen Ver­werfungen auf den Arbeitsmärkten kommt und letztendlich damit auch unserer Wirtschaft schwerer Schaden zugefügt wird.

Angesichts all dieser Maßnahmen darf ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Karl Bader, Marco Schreuder, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend „weitere Solidarität und Unterstützung der Ukraine“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische Angelegenhei­ten, wird ersucht,

- sich weiterhin mit Nachdruck für die sofortige Einstellung der Angriffe Russlands und den unverzüglichen und vollständigen Abzug der russischen Truppen, die sich illegal in der Ukraine aufhalten, sowie die Wiederherstellung der Achtung der vollen Souveränität und territorialen Integrität in der Ukraine einzusetzen;

- Die Bereitstellung weiterer bilateraler humanitärer Unterstützung für die Ukraine und die von den humanitären Auswirkungen des Krieges unmittelbar am stärksten betroffe­nen Nachbarstaaten zu prüfen [...];

- die Situation und die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen sowie Kin­dern, die sich auf der Flucht befinden in den Fokus zu nehmen [...];

- alle multilateralen und bilateralen Initiativen zu unterstützen, die zu einer militärischen Deeskalation und zur Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen der Ukraine und Moskau führen können [...];

- die Verhängung weiterer geeigneter Maßnahmen politischer, wirtschaftlicher und finan­zieller Natur auf EU-Ebene – in enger Abstimmung mit internationalen Partnern – mitzu­tragen [...]“ – und ich füge aus aktuellen Anlässen hinzu: Europa hat ja heute, was han­delnde Akteure in Belarus betrifft, auch weitere Maßnahmen beschlossen –

„- Maßnahmen auf EU-Ebene, welche auf eine schrittweise Reduktion der Energieab­hängigkeit von Russland und einer Diversifizierung der Energieversorgung sowie einer Stärkung der strategischen wirtschaftlichen Autonomie Europas sowie langfristig den Umstieg auf erneuerbare Energien abzielen, mitzutragen;“

*****

Ich darf bitten, diesen Entschließungsantrag im gemeinsamen Interesse zu unterstützen und füge abschließend hinzu: Friede in Freiheit ist nicht selbstverständlich. Für Frieden in Freiheit müssen wir gemeinsam eintreten. Wir tun das in vielerlei Hinsicht: auf parla­mentarischer Ebene – Kollege Schennach wird sich noch zu Wort melden –, auch in der Cosac, in der parlamentarischen Dimension der Ratspräsidentschaften. Wir tun das im Europarat, wir tun das als Standort vieler internationaler Organisationen – von den Ver­einten Nationen bis zur OECD – und durch andere friedensstiftende Maßnahmen.

Wir setzen natürlich auf unsere Neutralität, auf unsere militärische Neutralität, aber es wurde heute vielfach gesagt: Eine militärische Neutralität bedeutet nicht eine politische Neutralität oder eine humanitäre Neutralität. Das sollten wir jedenfalls immer im Hinter­kopf haben.

Wenn wir unsere Neutralität wertschätzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist auch die umfassende Landesverteidigung ein Thema, und wenn die umfassende Landesver­teidigung ein Thema ist, dann reicht es nicht, sich nur mit Lippenbekenntnissen zur um­fassenden Landesverteidigung und damit auch zur militärischen Landesverteidigung und zum österreichische Bundesheer zu bekennen. Es bedeutet, den Worten Taten folgen zu lassen und nicht politisches Kleingeld zu münzen, sondern unser Bundesheer zum Beispiel auch mit dem entsprechenden Treibstoff auszustatten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

12.30

Vizepräsidentin Sonja Zwazl: Der von den Bundesräten Karl Bader, Marco Schreuder, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschlie­ßungsantrag betreffend „weitere Solidarität und Unterstützung der Ukraine“ ist genügend unterstützt und steht demnach in Verhandlung.

Unser nächster Redner ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. – Bitte.