17.40

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause, von denen womöglich doch noch der eine oder andere via Livestream die Sitzung mitverfolgt! Ich muss sagen, diese Dringliche Anfrage der FPÖ hat schon einen gewissen Skurrilitäts- und Komikfaktor, sie hat manchmal schon ein bisschen etwas von Tschauner Bühne – besonders wenn ich den Redebeitrag von Kollegen Spanring noch einmal für mich selbst repliziere.

Auf der einen Seite – ich meine, ich komme aus Niederösterreich, Kollege Spanring sollte das sogar noch besser wissen als ich – wird dort gerade heftigst mit der ÖVP geflirtet. (Bundesrätin Schartel: Ja, weil ihr es ...!) Man hat ver­nom­men, es soll keine Liebesheirat sein (Zwischenruf des Bundesrates Ofner), aber es gibt doch Koalitionsverhandlungen, die offensichtlich schon einigermaßen weit fortgeschritten sind. Auf der anderen Seite gibt es nun allerdings diese Dringliche Anfrage, durchaus mit dem einen oder anderen Anpatzversuch der FPÖ in Richtung ÖVP. Es wirkt ein bisschen wie ein patscherter Flirtversuch eines pubertierenden Dreizehnjährigen, muss man sagen – aber okay. (Beifall bei der SPÖ.)

Als Niederösterreicherin muss man ja auch noch dazusagen, dass sich die FPÖ ganz offensichtlich immer wieder wie ein Fähnchen im Wind dreht, also wie man es gerade braucht (Bundesrätin Steiner-Wieser: ... das ist ein Schmarrn!) und wie es einem in den Kram passt. (Heiterkeit bei Bundesrät:innen der FPÖ.)

Ich darf dann nur noch an ein paar Dinge erinnern (Bundesrätin Schumann: Na, nicht lustig ... nicht geht!), die da in den letzten Jahren so passiert sind. Die Herren und Damen von der FPÖ sollten vielleicht noch einmal zuhören, falls sie es wieder vergessen haben. Da bezeichnet zum Beispiel ein gewisser Herr Udo Landbauer – auch nicht niemand in der FPÖ – Landeshauptfrau Mikl-Leitner erst im Jänner dieses Jahres als „sozialpolitischen Eiskasten“. Wer die ÖVP wählt, wähle „Asylchaos, Korruption und Preisexplosion“, hat es damals geheißen. (Zwi­schenruf des Bundesrates Ofner. – Bundesrätin Schumann: Genau!)

Man hat damals seitens der FPÖ betont, das schwarze Netzwerk aus Korruption, Machtmissbrauch und Postenschacher gehöre zerschlagen – gut, okay. Auf der anderen Seite und fast zeitgleich gibt es Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP. Glaubwürdig ist das nicht, aber gut, das müsst ihr selber wissen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Ofner.)

Beim Thema Glaubwürdigkeit bin ich aber gleich bei der ÖVP, denn wir erinnern uns auch noch an die FPÖ Niederösterreich, die damals – auch bereits mit Udo Landbauer an der Spitze – Landeshauptfrau Mikl-Leitner als „Moslem-Mama“ diffamierte. Plötzlich ist, siehe da, alles wieder vergessen, alle Diffamierungen gab es nie, eitel Wonne zwischen ÖVP und FPÖ. Man spekuliert also nun über eine Koalition.

Langsam habe ich das Gefühl, man muss sich bei den Blauen dann doch entscheiden: Seid ihr nun für die ÖVP und wollt ihr vor allen Dingen bei einer kommenden Regierungsbildung dann vielleicht doch den Steigbügelhalter machen (Zwischenruf des Bundesrates Ofner – Ruf bei der SPÖ: Genau!) oder seid ihr gegen die ÖVP und bleibt ihr einfach in der Opposition? (Beifall bei der SPÖ.)

Gut, die ÖVP spielt auch mit. So schnell kann man gar nicht schauen, und aus blau-gelb wird in Niederösterreich plötzlich blau, und traurigerweise nimmt man auch diverse braune Flecken in Kauf. Wir erinnern uns an diverse Liederbuch­affären und Bilder mit erhobenem ausgestrecktem Arm (Bundesrat Ofner: Na, ihr seid’s peinlich!) – aber gut.

Nun allerdings zur Rede zur Nation: Einige Aussagen und Ausführungen des Kanzlers sind aus meiner Sicht nicht nur beim ersten Zuhören, sondern auch bei näherer Betrachtung in ihren Auswirkungen mehr als befremdlich, muss man sagen. Sie werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Schauen wir uns die Rede noch einmal im Detail an!

Ich möchte nur ein paar Punkte herausgreifen: Was der Kanzler da zum Beispiel zur Kinderbetreuung sagt, ist aus meiner Sicht wirklich hochinteressant. Ich habe mir da ein Zitat herausgesucht, da hat er gemeint, die Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr muss bis 2030 in Österreich ausgebaut und möglich gemacht werden. Schau, schau, was muss ich da hören? Wissen Sie, warum ich das so hochinteressant finde? – Nämlich genau das, der Ausbau der Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag, ist eine dieser fünf Forderungen der SPÖ Nieder­öster­reich in den Koalitionsverhandlungen gewesen. Wie wir wissen, hat die ÖVP diese abgebrochen, weil sie gemeint hat, das ist standortschädlich. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Krumböck.) Darum koaliert man lieber mit der FPÖ. (Bundesrat Krumböck: Das stimmt ja nicht!) Das muss man einmal verstehen und sich auf der Zunge zergehen lassen.

Schauen wir zum nächsten Punkt, der mir da ins Auge gestochen ist! Zum Thema Bildung sagt der Kanzler Folgendes: „Wir alle wollen Schulen, die ein Ort der Bildung, des Wissens sind, aber bitte nicht des Brennpunkts. Wir wollen Schulen, die auf das Leben vorbereiten und nicht auf Arbeitslosigkeit“, und so weiter und so fort. Das klingt sensationell, aber wenn man sich die Realität in Österreich anschaut (Zwischenruf des Bundesrates Krumböck) – und das weiß der Kanzler mindestens so gut wie wir alle hier drinnen, das hoffe ich zumindest –, sieht man: In keinem anderen EU-Land hängt der Bildungserfolg so stark wie in Öster­reich davon ab, welche Eltern man hat. (Beifall bei der SPÖ.)

Das heißt, ein Kind, dessen Eltern wenig Geld und eine geringe Bildung haben, hat deshalb weniger Chancen. Es steht vor einer Riesenherausforderung, wenn es einen erfolgreichen Bildungsweg gehen möchte, und seine Potenziale spielen im Vergleich eine viel zu geringe Rolle – und es kann diesen Startnachteil im Verlauf seines Lebens niemals ausgleichen, zum Beispiel im Vergleich zu Akade­mikerkindern, die das sehr wohl tun können.

Wir erinnern uns, nur 7 Prozent aller Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss können einen Studienabschluss bewältigen. Ich würde mich fragen, ob der Bundeskanzler sich auch dessen bewusst ist, denn Sie haben es in Wahrheit in der Hand. Das vergisst er offensichtlich ganz bewusst – oder auch unbewusst; man weiß es nicht. Sie könnten das mit Ihren Regierungsmitgliedern, auch mit den Grünen gemeinsam, ändern, wenn Sie es wollten. Das machen Sie aber offensichtlich nicht, ganz im Gegenteil: Sie zementieren auch diese Tatsache mit vielen, vielen kleineren und größeren Bausteinen ein – auf der einen Seite mit Tun, aber auf der anderen Seite auch mit viel Nichtstun.

Nun wird uns das neue Unterrichtsfach Programmieren als das große Rettungs­programm verkauft. Da würde ich der Frau Staatssekretärin und dem Herrn Bundeskanzler einmal vorschlagen, einen Blick ins Schulorganisationsgesetz, ins Schulunterrichtsgesetz, in die neuen Lehrpläne, die ja noch nicht allzu alt sind, in die Stundentafeln, in die Stundenpläne und auch in die Curricula der Fachhoch­schulen und der Universitäten zu werfen.

Wir wissen nämlich, es werden mittlerweile überall Unterrichtsstunden gekürzt, es fehlen an allen Ecken und Enden Lehrkräfte, und da soll nun plötzlich zusätzlich noch ein neues Fach dazukommen, für das es in Wahrheit eigentlich auch gar keine Lehrkräfte und gar keinen Lehrplan gibt – na, das klingt nach einem Plan!

Ich glaube, es braucht ganz eindeutig kein zusätzliches Lehrfach, sondern eine ganz grundsätzliche Systemänderung in unserem Bildungssystem. Es braucht ein gerechtes Bildungssystem, davon sind wir meilenweit entfernt (Beifall bei der SPÖ), und da wird uns auch ein Fach Robotics oder Programmieren nicht helfen – und das sage sogar ich als Lehrerin, die dieses Fach selbst unterrichtet.

Ein weiterer interessanter Punkt war für mich der Bereich Gesundheit. Da spricht der Herr Kanzler von langen Wartezeiten bei Operationen oder Unter­suchungen – ja, das ist richtig –, von einem Mangel an Kassenärzten und von rund 800 Kassenärzten, die bis 2030 fehlen. Ja, das stimmt alles. Die Situation in Österreich ist durchaus besorgniserregend und geht immer mehr in Richtung Zwei- oder Mehrklassenmedizin.

Spannend ist, dass in dieser Rede zur Nation zum Beispiel von mehr Studien­plätzen, die wir brauchen, und von einer Berufspflicht für fertig ausgebildete Ärztinnen und Ärzte gesprochen wird. Da kann man beinahe den Eindruck bekommen, Sie haben da Teile des SPÖ-Niederösterreich-Programms abge­schrieben, das noch gar nicht so alt ist. Als das die SPÖ Niederösterreich gefordert hat, war es aber für die ÖVP nicht treffsicher. Wir reden das Land schlecht, hat es da geheißen. Plötzlich, weil es Herr Nehammer sagt, ist es nun auf einmal richtig. Gut, das muss man auch nicht verstehen – aber sei’s drum. (Beifall bei der SPÖ.)

Dann gibt es noch diverse Aussagen zur Klimakrise, der Kanzler spricht von „Untergangsapokalypse“ und von „Untergangsmythen“, für die es „keinen wissenschaftlichen“ Beweis gäbe. – Ganz ehrlich, das ist eines Bundeskanzlers von Österreich nicht würdig. (Beifall bei Bundesrät:innen der SPÖ.)

Kollege Bundesrat Schmid hat das heute auch schon angeführt. Anscheinend haben sich die Klimakrise und all das, was damit zu tun hat, all die Folgen, die damit zusammenhängen, auch jene für die Menschen, noch nicht bis zur ÖVP und bis ins Bundeskanzleramt herumgesprochen. Sind das Wetter und das Klima im Bundeskanzleramt anders als in Restösterreich oder in Resteuropa? – Man weiß es nicht.

Der spannendste Satz der gesamten Rede ist aus meiner Sicht aber der folgende, und ich muss sagen, dass der Kanzler damit vermutlich, wenn auch nicht ganz freiwillig und wohl unbewusst, einmal die Wahrheit gesagt hat: „Die einen arbei­ten fürs Geld, die anderen bekommen das Geld.“ – Das ist leider die traurige Realität in Österreich. (Beifall bei der SPÖ.)

Warum sage ich das? – Es gibt in Österreich fast 4,5 Millionen erwerbstätige Menschen, die täglich arbeiten gehen, die hart arbeiten, um sich ein gutes Leben aufbauen zu können, und die damit auch noch einen Riesenanteil des Steuer­aufkommens in Österreich – nämlich immerhin 80 Prozent – erbringen. Das wahre Geld bekommen in Österreich aber nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern zum Beispiel eine ganz spezielle Personengruppe, näm­lich die Spenderinnen und Spender der ÖVP.

Und dann gibt es noch eine Personengruppe, die besonders profitiert, nämlich diverse Millionen- und Milliardenerbinnen und -erben, für die Sie, liebe ÖVP, sich ja nach Kräften einsetzen (Zwischenrufe der Bundesrät:innen Grimling, Schumann und Reisinger) und für die Sie sich weiterhin weigern, auch nur über den geringsten Hauch einer Vermögensteuer nachzudenken. Dabei wäre genau das jetzt, in einer Teuerungskrise, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, die wahre Gerechtigkeitsfrage. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler – und leider ist da auch die Frau Staatssekretärin um keinen Deut besser –, Sie halten es da ja eher mit Marie-Antoinette: Wenn sich die Menschen kein Brot leisten können, dann sollen sie sich doch einen Kuchen kaufen. (Ruf bei der ÖVP: Das hat sie nicht gesagt!) So oder ähnlich könnte man das jetzt auch formulieren, wenn es um das Thema Eigentum geht, das der Herr Kanzler immer wieder forcieren möchte.

Frau Staatssekretärin, Sie sind in Vertretung des Herrn Bundeskanzlers hier, und ich lade Sie sehr gerne dazu ein, in meinen Heimatbezirk Tulln zu kommen. Ich kenne nicht viele Jugendliche, die sich zum Beispiel in Klosterneuburg ein Grund­stück um 750 000 Euro pro Quadratmeter oder noch mehr leisten können. Ich kenne nicht viele Jugendliche, die sich in Tulln eine Eigentumswohnung leisten können, bei der 70 000, 80 000, 90 000, 100 000 Euro an Eigenkapital nötig sind. Ich kenne nicht viele Jugendliche, die ungeschaut einen Kredit über 400 000 oder 500 000 Euro für die nächsten 60, 70 oder mehr Jahre aufnehmen können, um ein Haus oder eine Wohnung als Eigentum zu finanzieren. Ich lade Sie gerne ein, sich das einmal genauer anzuschauen.

Zusammengefasst: Der Kanzler hat viel gesprochen und in Wahrheit wenig gesagt. Von Visionen für die Zukunft, die diesen Namen auch tatsächlich verdienen, hat man nichts gehört, diese bleiben Sie uns schuldig, muss man sagen.

An dieser Stelle möchte ich allen ausscheidenden Bundesrätinnen und Bundes­räten für ihre Tätigkeit und ihr Engagement Danke sagen. Alles Gute für das weitere, vielleicht ein bisschen weniger politische Leben, und alles Gute auch für das weitere – wenn ich zum Beispiel an Eva Prischl denke – noch politischere Leben! – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl. – Bundes­rätin Zwazl: Danke!)

17.54

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. – Bitte, Frau Kollegin.