Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 165. Sitzung / 88

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Weiters zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Van der Bellen. 10 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeordneter.

14.20

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon viel zur Geschichte des Konfliktes im Kosovo gehört; nicht alles, denn einiges wurde verschwiegen, was die EU- beziehungsweise die österreichische Politik betrifft.

Es wurde aber – jedenfalls vom Vizekanzler und vom Bundeskanzler – nichts über zwei brennende Fragen gesagt, die jetzt akut anstehen: über den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo – damit sind Kampftruppen gemeint; nicht Truppen nach dem Waffenstillstand, sondern Kampftruppen – und über das aktive Einsetzen für eine Feuerpause, ein Moratorium, beziehungsweise den anschließenden Waffenstillstand. Insofern ist meiner Ansicht nach die Debatte und sind vor allem die Beiträge von Bundeskanzler und Vizekanzler der besonderen Kriegsdynamik der jetzigen Situation nicht gerecht geworden.

Die Grünen haben sich eindeutig gegen den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo ausgesprochen. Ich fürchte, daß einige hier im Haus das mißverstehen könnten. Das folgt nicht automatisch aus einem pazifistischen Auftrag oder aus einer solchen Grundhaltung, sondern das folgt aus der tiefen sicherheitspolitischen Sorge um die langfristigen Folgen dieses Krieges, wenn er so weitergeht.

Was heißt das: Bodentruppen im Kosovo? Wer soll diese führen und von wo aus? Genügt eine Straße von Albanien in den Kosovo, von Flüchtlingen verstopft? Oder eine Straße von Mazedonien aus? – Ich sehe schon die Vorbereitungen in der internationalen Presse, und ein Blick auf die Landkarte genügt: Ungarn wäre der Kandidat! Von Ungarn aus Belgrad zu erobern, das wird ernsthaft besprochen.

Man muß sich einmal vorstellen, was das für Konsequenzen haben kann! Welche Konsequenzen hat das für die Beziehung zu Rußland, auf mittlere Sicht? Rußland ist jetzt schwach, aber wie wird das in fünf oder zehn Jahren sein? – Alle diese Dinge muß man doch mitbedenken!

Wenn der erste massakrierte Amerikaner im Fernsehen gezeigt wird: Wie wird dann die Reaktion der amerikanischen Öffentlichkeit sein? Werden die Leute dort sagen, jetzt ist es genug, oder führt das dann zum totalen Krieg, wie wir ihn aus der Vergangenheit kennen?

Dazu erwarte ich mir eine österreichische Initiative. Es muß nicht immer ganz öffentlich sein, aber man muß doch zumindest andeuten, daß in dieser Richtung etwas geschieht. Die Feuerpause, das Moratorium der NATO – einseitig oder nicht; der Waffenstillstand – einseitig oder beidseitig –, natürlich können Sie sagen, daß das eine unrealistische Vorstellung ist und Milošević darauf nicht reagieren wird. Das mag sein, aber man muß es versuchen. (Abg. Hans Helmut Moser: Er wird es ablehnen! Er hat die UNO-Friedensinitiative schon abgelehnt!)

Ja, Herr Brigadier! Ich empfehle Ihnen nur, beispielsweise den Artikel von Egon Bahr in der "Zeit" vom vergangenen Freitag zu lesen. Egon Bahr nimmt sehr gründlich zur Kosovo-Krise Stellung und kommt zum Schluß zu zwei Aussagen. Ich meine, die Alternativen, die es gibt, sind alle unangenehm. Darüber sind sich, glaube ich, alle hier im Hause im klaren, daß es die Lösung des Konflikts nicht gibt.

Aber immerhin stellt Bahr gegenüber, was passiert, wenn der Krieg – unter Anführungszeichen – "morgen" beendet wird, und was passiert, wenn der Krieg "morgen" nicht beendet wird. Wenn der Krieg "morgen" beendet wird – in der Reihenfolge: Feuerpause, Waffenstillstand, Konferenz und Verhandlungen –, dann wird auf dem Balkan nicht das Glück ausbrechen, aber man kann sich ungefähr vorstellen, wie die mittelfristige Perspektive ist. Wenn jedoch der Krieg nicht beendet wird, dann sind die Folgen unabsehbar, und zwar unabsehbar in jeder Hinsicht!


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