Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 51. Sitzung / Seite 94

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Ich erwähne in diesem Zusammenhang alle Aktionen, die im Bereich der Notstandshilfe stattgefunden haben, und an das, was Sie möglicherweise in den nächsten Monaten an möglichen Änderungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung noch vorbereiten.

Ein weiterer Punkt, den ich mir herausgreife: der Zynismus mit der Verfügbarkeit der Frauen:

Es wird Frauen zugemutet, wenn sie teilzeitbeschäftigt sind, daß sie zwar ihre Kinder betreuen, aber aus diesem Grund auch keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld haben. Das wird den Frauen zugemutet in diesem Land! Das ist ein Skandal und ein Zynismus sondergleichen! (Beifall bei den Grünen.) Die Verfügbarkeit von Arbeitslosen, die ausschließt, daß Frauen mit Betreuungspflichten tatsächlich am Arbeitsmarkt verfügbar sind, haben Sie, meine Damen und Herren, hier in diesem Hohen Haus beschlossen. Sie sind dafür verantwortlich, daß alleinerziehende Mütter keinen rechtlichen Anspruch mehr auf Notstandshilfe und Arbeitslosengeldbezug haben, wenn sie Betreuungspflichten haben. Diese Verantwortung müssen Sie auf sich nehmen.

Herr Bundeskanzler! Sie waren es, der bei den letzten oder vorletzten Wahlen dafür geworben hat, Familie und Beruf müssen vereinbar sein. Es ist nichts davon zu merken in Ihrer praktischen Politik.

Der damalige Sozialminister Hesoun hat schon vor sieben Jahren ein Existenzminimum in der Arbeitslosenversicherung angekündigt. – Nichts ist geschehen!

Notwendig ist, daß Sie an die Arbeit gehen, daß Sie nicht mit der Armut spekulieren, daß Sie nicht weiter versuchen, die Armut zu verstecken, daß Sie Politik für die Armen, für die Arbeitslosen machen – und nicht gegen sie.

Augustinus – ich habe ihn schon einmal zitiert, ein letzter Satz von ihm –: Was anderes sind Staaten, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden?! – Das sollten Sie überlegen. (Beifall bei den Grünen.)

15.22

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Der Herr Bundeskanzler hat sich zur Abgabe einer Stellungnahme zum Gegenstand der Dringlichen Anfrage zu Wort gemeldet. – Herr Bundeskanzler! Sie haben das Wort. Ich mache darauf aufmerksam, daß nach der Geschäftsordnung die Redezeit nicht länger als 20 Minuten betragen soll. Bitte.

15.22

Bundeskanzler Dkfm. Dr. Franz Vranitzky: Danke, Herr Präsident! – Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter! Sie zitieren in der Einleitung Ihrer Anfragebegründung den Präsidenten der Caritas Franz Küberl, der erklärt hat, daß es eine Tendenz gäbe, Armut zum Privatschicksal zu erklären. Ich teile diese Meinung des Caritas-Präsidenten, diese Tendenz gibt es wirklich, und weil es sie gibt, darf man sie nicht akzeptieren.

Wenn Sie ausführen, die Privatisierung von Armut wäre eine bequeme politische Strategie, die strukturellen Ursachen der Armut zu verdecken, dann nehme ich für meine Partei, für die Bundesregierung und für mich selbst in Anspruch, die Armut wirtschafts- und sozialpolitisch sehr wohl zu bekämpfen, und jedenfalls für mich persönlich – auch in den letzten Tagen und Wochen – in Anspruch, Verteilungsfragen offen und tabulos zu akzeptieren und auch offen und tabulos zu diskutieren.

Sie haben wahrscheinlich gelesen, daß andere Diskussionsteilnehmer im Land nicht dieser Meinung sind und die Auffassung vertreten, es sei ohnehin alles in Ordnung. Ich meine, daß das nicht so ist, und daher müssen wir eine Auseinandersetzung zum Thema "Armut" führen.

Das Thema, das Sie heute vorgebracht haben, ist wichtig. Ich gebe Ihnen recht, daß es eine Armutsgefährdung auch in Österreich gibt und daß sie daher profund und ernsthaft diskutiert werden muß.


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