Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 70. Sitzung / Seite 80

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Respekt vor Kultur, Religion und Mentalität der einzelnen Völker allen Entscheidungen vorangestellt werden.

Die ständig schwelenden Konflikte, die derzeit im Kosovo, in Serbien und in Mazedonien wieder hochexplosiv sind, zeigen ganz deutlich, dass man die Bevölkerung Europas nicht in das Bett des Prokrustes legen kann, um sie alle gleich zu machen. Sie sind nicht alle gleich, und das ist zu respektieren! Dies sollte auch Herr Verheugen zur Kenntnis nehmen. Seine Aussagen vorigen Freitag im "Haus der Industrie" – Österreich würde am meisten von der Erweiterung profitieren, weil es die längsten Außengrenzen hat; und dies vor allem auf dem Gebiet der Sicherheit – möchte ich jetzt vorsichtig mit den folgenden Worten umschreiben: Herr Verheugen sieht die Osterweiterung anscheinend sehr einseitig aus der Sicht des größeren Marktes und der damit verbundenen finanziellen Ressourcen.

Wie bereits ausgeführt: Es geht hier nicht um Absatzmärkte, sondern um Menschen! Wir Freiheitlichen tragen unseren Teil gerne bei, aber wir werden immer der Hüter der Interessen der österreichischen Bevölkerung sein. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

13.49

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Posch. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

13.49

Abgeordneter Mag. Walter Posch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Hohes Haus! Der vorliegende Vertrag von Nizza hinterlässt sicherlich einen ambivalenten Eindruck, und nichts könnte dies deutlicher machen, als dass wesentliche Fragen über die Zukunft der Europäischen Union an den so genannten Post-Nizza-Prozess delegiert wurden. Zwar wurden einige Voraussetzungen für die formal-institutionelle Weiterentwicklung der EU geschaffen, etwa in der Frage der Stimmgewichtung. Vieles, was zu einer Vertiefung des Integrationsprozesses führen könnte, bleibt jedoch nach wie vor offen. So wurden entscheidende Schritte zur Stärkung des demokratischen Prinzips in der EU nicht gesetzt. Im Wesentlichen hat sich in Nizza der Rat innerhalb der EU-Institutionen verstärkt durchgesetzt, abgesehen von kleineren Kompetenzverschiebungen zugunsten des Kommissionspräsidenten.

Es hat sich gezeigt, dass insbesondere in den substantiellen Fragen nationale Interessen nach wie vor den Vorrang vor gemeinsamen europäischen Entscheidungen haben, etwa in Fragen der Steuerpolitik oder der Sozialpolitik. Im Wesentlichen haben sich durch die Neugewichtung der Stimmen im Rat, durch die Bindung an den Bevölkerungsschlüssel auch die großen Nationen gegenüber den kleineren durchgesetzt. So wird Österreich künftig 10 Stimmen im Rat haben gegenüber 29 für Frankreich statt wie bisher 4 zu 10. Auch das Hauptziel der österreichischen Bundesregierung, einen österreichischen Kommissar auf Dauer zu halten, konnte nicht erreicht werden. (Abg. Dr. Spindelegger: So ein Blödsinn!)

Viele Fragen der Vertiefung der politischen Integration bleiben dem Post-Nizza-Prozess vorbehalten, zum Beispiel die Frage eines transparenten Reformprozesses im Zuge eines Verfassungskonvents, die Frage der Stärkung des Europäischen Parlaments, etwa durch die Übertragung der Budgethoheit, die zukünftige Position der Kommission als europäische Regierung, die Direktwahl des Kommissionspräsidenten und vieles andere mehr.

Viele Akzeptanzprobleme der Europäischen Union in der Bevölkerung werden sich zukünftig jedoch erst abhängig davon lösen lassen können, inwieweit es der EU in diesem Post-Nizza-Prozess gelingt, die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen stärker zu berücksichtigen, ebenso wie jene der Konsumenten und Konsumentinnen, wie sich das zum Beispiel im BSE-Skandal gezeigt hat, inwieweit Interessenvertretungen, Parteien, Gewerkschaften, NGOs auf europäischer Ebene Gehör finden werden. Für die zukünftige Entwicklung Europas wird von entscheidender Bedeutung sein, inwieweit die BürgerInnen Europas diese Union als Ort der politischen Teilhabe begreifen, an dem nicht nur die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein gegeben sind, sondern auch ihre sozialen, politischen, kulturellen sowie grundrechtlichen Bedürfnisse erfüllt sind. (Beifall bei der SPÖ.)


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