Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 55. Sitzung / Seite 62

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12.04

Abgeordneter Dr. Werner Fasslabend (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Herren Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich bei meinem Wohnhaus aus den Fenstern blicke, schaue ich auf die Dächer von Preßburg in der Slowakei. Und wenige Kilometer davon entfernt ist die Grenze zu Ungarn; eine Autofahrt von einer Dreiviertelstunde davon entfernt die Grenze zu Tschechien. (Abg. Scheibner: Da muss man aber schnell fahren!)

Ich habe immer an dieser Grenze gelebt und die Entwicklung dort nicht nur nach, son­dern auch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs intensiv beobachtet, und daher ist mir gerade dieses Thema ein besonderes Anliegen. Ich verstehe auf der einen Seite, dass sich in die Freude der Beitrittsländer durchaus auch ein wenig Enttäuschung mischt, dass wir in jenem Augenblick, da diese Länder neue Mitglieder der EU werden, Limitie­rungen für den Arbeitsmarkt beschließen; keine Freizügigkeit der Arbeitnehmerschaft beispielsweise. Aber gerade weil ich von dieser Grenze komme und die Entwicklung sehr, sehr intensiv verfolgt habe, glaube ich, dass es nicht nur einen Grund, sondern mehrere gute Gründe dafür gibt, dieses Gesetz hier heute so zu beschließen.

Was sind die wesentlichen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen? Erste Frage: Wird mit dem Aufgehen der Grenze auch tatsächlich Druck auf den österrei­chischen Arbeitsmarkt entstehen? Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen in unseren Nachbarländern ansieht, dann muss man diese Frage eindeutig mit einem Ja beant­worten. Wir wissen, dass Polen eine Arbeitslosenrate von 17,8 Prozent hat, das Gleiche in der Slowakei; in Tschechien beträgt diese fast 10 Prozent. In jedem einzel­nen dieser Länder gibt es eine deutlich höhere Arbeitslosenrate als bei uns, sodass natürlich und ganz automatisch für die betroffenen Leute geradezu ein gewisser Zwang zur Arbeitssuche in anderen Ländern entsteht.

Dazu kommt natürlich auch noch eine besondere Attraktivität des Angebots, wissen wir doch, dass die Lohnkosten in unseren Nachbarländern lediglich zwischen 13 und 19 Prozent der Lohnkosten in Österreich ausmachen. Das heißt, dass ein slowa­kischer, ein polnischer oder ein tschechischer Arbeiter, wenn er in Wien arbeitet, inner­halb von vier Wochen so viel verdienen kann, wie er in seinem Land innerhalb von sechs oder von siebeneinhalb Monaten verdienen könnte. Da ist es doch geradezu ein wirtschaftliches Prinzip, dass er sich dafür entscheiden wird, einen längeren Arbeitsweg in Kauf zu nehmen – noch dazu, wo eine Migration gar nicht erforderlich ist, sondern man nicht nur als Wochenpendler, sondern sogar als Tagespendler auf Grund dieser wirklich kurzen Distanzen einen Arbeitsplatz jederzeit auch in einem städtischen Zentrum in Österreich annehmen kann. Wenn man bedenkt, dass in Luftlinie die Stadt­grenzen zwischen Wien und Preßburg nur 35 Kilometer voneinander entfernt liegen, kann man sich lebhaft vorstellen, welche Auswirkung das haben würde.

Man kann daher sagen, dass die Schätzungen und Prognosen jener Institute, in denen davon ausgegangen wird, dass die Migrationsbewegung zwar gar nicht so groß sein wird – rund 20 000 bis 40 000 Menschen –, dass aber auf der anderen Seite eine Pendlerbewegung in einer Größenordnung von 70 000 Menschen zu erwarten ist, durchaus ihre Berechtigung haben, ja diese Prognosen sogar wahrscheinlich an der unteren Grenze liegen. Dass der Arbeitsmarkt in Österreich zurzeit nicht in der Lage ist, 100 000 neue Arbeitskräfte zusätzlich aufzunehmen, darüber brauchen wir, glaube ich, erst gar keine Diskussion zu führen, denn so etwas würde sicherlich auf Kosten der Schwächsten in unserer eigenen Gesellschaft gehen.

Daher meine ich, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass wir dieses Gesetzespaket heute hier beschließen. Auch die internationale Entwicklung macht das ja deutlich: Was macht denn Deutschland? – Das Gleiche wie Österreich. Oder Dänemark, Schweden, Finnland, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, auch Italien, Spanien oder Portu-


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