12.05
Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vergangene Woche sind die 16 Tage gegen Gewalt zu Ende gegangen. Das Thema Gewalt an Frauen rückt in diesen Tagen vermehrt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Es wäre zweifelsohne auch ein wichtiger Zeitraum gewesen, den man als Regierung, als Regierungsparteien hätte nutzen können, um tatsächlich Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Jetzt beschließen wir einen Antrag zur Umsetzung einer Informationskampagne zum Thema Gewalt. Ich möchte gleich außer Frage stellen, dass das wichtig und richtig ist. Wir fordern das ja auch immer in unseren Anträgen, die Sie vertagen, aber diese Kampagne hat bereits stattgefunden. Sie ist zu Ende, aber wir beschließen heute, dass sie umgesetzt wird.
Sehr geehrte Damen und Herren von ÖVP und Grünen, da muss man schon auch darüber diskutieren: Wie ernst nehmen Sie unsere parlamentarische Arbeit? Wie ernst nehmen wir uns selbst hier im Parlament mit dem, was wir machen? (Beifall bei der SPÖ.)
Es ist aus frauenpolitischer Sicht schon auch ein bisschen entlarvend, wenn wir gerade zum Thema Gewaltschutz, das auch so einen wichtigen und großen Stellenwert in der Arbeit dieser Regierung einnimmt – die frauenpolitische Arbeit reduziert sich eigentlich fast auf dieses Thema –, nur so einen Pseudoantrag für eine Informationskampagne beschließen, die schon längst erfolgt ist. Das zeigt einmal mehr, dass es in dieser Regierung offenbar nicht mehr möglich ist, auch Dinge voranzubringen, die wirklich notwendig sind.
Wir haben aber gerade beim Thema Gewaltschutz vieles zu tun. Es gibt in diesem Bereich viele offene Baustellen. Krisenzeiten bedeuten immer auch einen eklatanten Anstieg von häuslicher Gewalt. Die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt hat darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem Beginn der Coronakrise die Zahl der Annäherungs- und Betretungsverbote in Österreich extrem angestiegen ist. Zum Vergleich: 2018 hat es noch 8 076 Betretungsverbote gegeben, 2021 waren es schon 13 546. Die Spitze des Eisberges sind 28 Femizide – also 28 Frauen in Österreich, die von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet worden sind – und 25 Fälle von schwerer Gewalt oder Mordversuchen. Ja, das ist die traurige und dramatische Bilanz in diesem Jahr.
Daten zu Femiziden werden in Österreich allerdings nicht erhoben. Sie sind aber für unsere Arbeit als Basis für evidenzbasierte Maßnahmen dringend notwendig. Geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen finden wir in der Kriminalstatistik in Österreich leider nicht. Andere Länder in Europa sind da seit Jahren weiter voraus und auch beispielgebend. Es ist notwendig, dass wir da endlich Maßnahmen setzen. Dazu braucht es auch eine klare Definition des Begriffs Femizid. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Brandstötter.)
Deswegen bringe ich jetzt folgenden Antrag ein:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Eva Maria Holzleitner, BSc, Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Gewalt gegen Frauen – Forderung einer einheitlichen Definition des Begriffs ‚Femizid‘ zur verbesserten kriminalstatistischen Erfassung und Prävention von geschlechtsmotivierten Frauenmorden“
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familien, Integration und Medien im Bundeskanzleramt und Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert schnellstmöglich eine rechtswirksame Definition für den Begriff ‚Femizid‘ zu erarbeiten und dafür zu sorgen, dass ressortübergreifende Maßnahmen ergriffen werden, damit geschlechtsspezifische Motive bei Frauenmorden in Zukunft detailliert in der Kriminalstatistik aufscheinen und so essentielle Weichen für eine umfassendere Gewaltschutzpolitik in Österreich gestellt werden können.“
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Bitte stimmen Sie diesem so wichtigen Antrag zu! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
12.09
Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Eva-Maria Holzleitner, BSc, Sabine Schatz, Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen,
betreffend Gewalt gegen Frauen - Forderung einer einheitlichen Definition des Begriffs “Femizid” zur verbesserten kriminalstatistischen Erfassung und Prävention von geschlechtsmotivierten Frauenmorden
eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Gleichbehandlungsausschusses über den Antrag 2868/A(E) der Abgeordneten Dipl.-Kffr. (FH) Elisabeth Pfurtscheller, Mag. Meri Disoski, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Umsetzung einer umfassenden Informationsoffensive gegen Gewalt an Frauen & Kindern (1835 d.B.)
Durchschnittlich drei Frauen im Monat werden hierzulande Opfer eines Femizids. 28 - so viele Frauen verloren in diesem Jahr bereits aufgrund ihres Geschlechts, frauenverachtender Haltungen und der Abweichung von patriarchalen Rollenvorstellungen ihr Leben in Österreich, so der Verein AÖF. Im Vorjahr waren es zwischen 26 und 31, je nach Quellen der Information, die freilich nie den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Denn Daten zu Femiziden werden in Österreich nicht systematisch amtlich erhoben und sind daher auch nicht einheitlich ermittelbar, obwohl eine klare Datengrundlage essentiell für umfassende Gewaltpräventionskonzepte ist.
So legt auch Artikel 11 der Istanbul-Konvention, die in Österreich am 1. August 2014 in Kraft getreten ist, fest, dass in regelmäßigen Abständen einschlägige genau aufgeschlüsselte statistische Daten zu sammeln sind. Auch GREVIO1, also das eingesetzte Gremium zur Überwachung der Einhaltung der Istanbul-Konvention, sprach sich bereits dringend für einen Ausbau der Datenerhebung aus. Eine genaue Datenerhebung, die eine exakte Auskunft über das Verhältnis zwischen Opfer und Täter gibt, wäre nicht nur zwecks detaillierter Erfassung von Femiziden wichtig: Zahlen haben auch klare Wirkung für politisches Handeln. Erst mit dem entsprechenden breiten Wissen über ein Phänomen oder ein strukturelles Problem können Ableitungen getroffen und zielgerichtete Maßnahmen gesetzt werden.
Neben der fehlenden gesonderten Erfassung ist ebenfalls problematisch, dass Tätermotive in keiner Weise strafverschärfend wirken können - ein Unterschied zu anderen Bereichen, wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, wo das bereits der Fall ist (vgl. §33 Abs. 1 Z5 StGB). Gerade bei Femiziden ist eine Differenzierung zu anderen Formen der Gewalt essentiell. Es handelt sich eben nicht “nur” um einen Frauenmord, der unabhängig vom Geschlecht passiert. Femizide zeigen auf brutalste Weise die Folgen eines gesellschaftlich noch immer verankerten strukturellen Sexismus auf.
Um Femizide und ihre Ursachen bekämpfen zu können, müssen sie vor allem benannt und sichtbar gemacht werden. Daher braucht es eine bundesweit einheitliche Definition des Begriffs und folglich eine polizeiliche Erfassung in der Kriminalstatistik, welche über die aktuell gängige Kategorisierung hinausgeht. Nur wenn Datenerhebungen Tätermotive im Bereich der Frauenmorde erfassen, kann das geschlechtsspezifische Phänomen der Femizide manifest gemacht und bekämpft werden. Deutschland etwa hat den dringenden Handlungsbedarf erkannt und erfasst seit 1. Jänner 2022 spezifisch Delikte, die "aufgrund von Vorurteilen bezüglich eines Geschlechts beziehungsweise einer geschlechtlichen Identität begangen werden". Spanien erfasst Femizide sogar bereits seit 2004 systematisch in der Kriminalstatistik.
Es darf nicht sein, dass geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen in Österreich weiterhin ein weißer Fleck in der Kriminalstatistik bleiben. Das Ausmaß an Gewalt an Frauen ist alarmierend hoch und die extremste Ausdrucksform ungleicher Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen. Eine klare Definition des Begriffs “Femizid” zur systematischen Erfassung in der Kriminalstatistik ist einer von vielen, wenngleich sehr essentieller Schritt zu einer intensivierten Gewaltschutzpolitik in Österreich.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familien, Integration und Medien im Bundeskanzleramt und Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert schnellstmöglich eine rechtswirksame Definition für den Begriff “Femizid” zu erarbeiten und dafür zu sorgen, dass ressortübergreifende Maßnahmen ergriffen werden, damit geschlechtsspezifische Motive bei Frauenmorden in Zukunft detailliert in der Kriminalstatistik aufscheinen und so essentielle Weichen für eine umfassendere Gewaltschutzpolitik in Österreich gestellt werden können.“
1 Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence
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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht auch mit in Verhandlung.
Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Rosa Ecker. – Bitte.