Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Ich beginne mit der Feststellung, dass wir grundsätzlich durch Statistiken belegt vorfinden, dass die Straftäter immer jünger werden. Es gibt die meisten Anzeigen, die es jemals gegeben hat – die Anzeigen sind auf dem Höchststand – gegen Straftäter, die zehn bis 14 Jahre alt sind, Straftäter, die aber nicht nur kleine Delikte begehen, sondern wir sprechen da von schweren Delikten: Wir sprechen von Raub, wir sprechen von Vergewaltigung, wir sprechen von Erpressung, wir sprechen von Messerstechereien mit schweren körperlichen Folgen, schweren Körperverletzungen.
Den Staatsanwaltschaften und den Gerichten sind die Hände gebunden, weil sie diese jugendlichen Straftäter zwischen zehn und 14 Jahren eben nicht verfolgen können. Wenn ich daran denke, was bei dem schweren sexuellen Missbrauch an dem zwölfjährigen Mädchen, das von 18 Tätern vergewaltigt wurde, geschehen ist: Zwei davon sind unter 14 Jahre und können strafrechtlich nicht verfolgt werden. Andere Täter, die Schutzgelderpressungen machen, werden angestiftet, gerade damit sie nicht verfolgt werden können.
Ich darf Ihnen, Herr Bundeskanzler, folgende Frage stellen:
„Welche Maßnahmen setzt die Bundesregierung bzw. welche Maßnahmen sind derzeit in Planung, um den Anstieg von Delikten von strafunmündigen Jugendlichen, wie wir ihn derzeit besonders in Wien – Stichwort Reumannplatz – beobachten müssen, zu verhindern und unsere Sicherheit zu gewährleisten?“
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Sie haben völlig recht, Frau Abgeordnete: Da gilt es, zu handeln. Es ist inakzeptabel, dass diese Zunahme an Straftaten in vielen Fällen ohne Konsequenz bleibt, weil eben das Strafalter mit 14 festgelegt ist. Es braucht aus unserer Sicht neben vielen anderen Maßnahmen auch eine Senkung des Strafalters.
Kommen wir aber zu den Maßnahmen, die sonst noch notwendig sind: Es gab von mir mehrere Aufträge, einerseits an die Verfassungsministerin, andererseits auch an den Innenminister. In der Zuständigkeit des Innenministers wurde zum Beispiel die Einsatzgruppe Jugendkriminalität aufgestellt, die bereits Schwerpunktaktionen in sogenannten Brennpunktzonen durchführt, es wurden auch Waffenverbotszonen eingeführt, beispielsweise am Reumannplatz, den Sie vorhin genannt haben, mit dem Ergebnis – ich konnte mich selbst vor Ort davon überzeugen –, dass die Straftaten dort deutlich zurückgegangen sind und sich die Menschen – das ist aus meiner Sicht so besonders wichtig –, besonders auch Frauen, im öffentlichen Raum wieder deutlich sicherer fühlen.
Es braucht trotzdem weitere Maßnahmen. Aus meiner Sicht müssen auch die Eltern stärker in die Pflicht genommen werden. Ein Vorschlag ist daher beispielsweise die Einführung einer polizeilichen Regelbelehrung für Kinder und Jugendliche, die Straftaten begangen haben, mit verpflichtender Teilnahme der Eltern, um auch die Verantwortung sichtbarer zu machen, die Eltern nun einmal für ihre Kinder haben.
Es braucht auf der anderen Seite eben diese strafrechtlichen Konsequenzen, von denen wir gesprochen haben, natürlich entsprechend dem Alter der Straftäter. Es braucht diese Konsequenzen, daher ist die Senkung des Alters der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre nach wie vor mein Ziel. Es geht darum, dass wir gemeinsam für mehr Sicherheit sorgen. Diese Rechtslücke, die jetzt besteht, ist zu schließen, weil es eben ein faktenbasierter Befund ist, den Sie angesprochen haben. Es geht nicht um überzogene politische, parteitaktische Strategie, sondern tatsächlich um mehr Sicherheit für die Menschen.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.
Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker (ÖVP): Ja, die formuliere ich kurz und knackig: Welche Maßnahmen planen Sie, Herr Bundeskanzler, generell in Bezug auf Straftäter aus Drittstaaten?
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Auch dazu gibt es eine ganz klare Haltung von mir als Bundeskanzler, die hatte ich auch schon damals als Innenminister: Wer sein Gastrecht hier durch eine Straftat verletzt und damit auch das Gastrecht in unserem Land missbraucht, hat aus meiner Sicht in unserem Land nichts mehr zu suchen. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)
Es geht um die rasche Rückführung von Straftätern, deswegen braucht es diese Übereinkommen mit vielen Partnern. Ich habe daher immer den Weg unterstützt, den die Europäische Union jetzt eingeschlagen hat, sei es mit Vereinbarungen mit der Türkei, Ägypten, Tunesien, aber auch wie wir selbst mit Marokko, um Straftäter rascher tatsächlich rückführen zu können, aber auch mit Modellen, nach denen Straftäter Haftstrafen dann auch in Drittstaaten verbüßen können. Auch da gibt es bereits Versuche, dass man dafür Kooperationsstaaten findet.
Das Wesentliche dabei ist, dass wir einen Paradigmenwechsel vornehmen: Länder, die mit uns kooperieren, brauchen immer auch einen wirtschaftlichen Anreiz, brauchen Wertschätzung und Respekt im Umgang miteinander. Sie wollen nicht auf ein Thema wie das Thema Migration reduziert werden. In Summe gelingt es uns aber, wenn wir wirtschaftliche Kooperationen und Ausbildungskooperationen eingehen können, tatsächlich auch mehr Kooperation im Sicherheitsbereich zu erreichen.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Eine Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Belakowitsch. – Bitte.
Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch (FPÖ): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Sie haben gerade gesagt, Sie würden so gerne das Alter der Strafmündigkeit senken. Herr Bundeskanzler, das möchten Sie vielleicht schon lange, aber es ist Ihre ÖVP gewesen, die das hier herinnen immer verhindert hat, immer blockiert hat. Wir haben diese Problematik bereits mehrmals auf die Agenda gesetzt.
Sie wissen aber auch, dass genau diese Straftaten von Jugendlichen, aber auch von älteren Tätern aus Drittstaaten Folge einer Migration sind, die völlig unkontrolliert gewesen ist. Vor wenigen Minuten haben Sie Abgeordnetem Gödl erklärt, wie grandios Sie nicht die Asylzahlen vom Höchststand wieder runtergebracht haben. Mag sein, dass sie von einem Höchststand gesunken sind – allerdings weniger stark als Ihre Umfragewerte –, aber, Herr Bundeskanzler, seit dem Jahr 2020 sind Illegale in einer Anzahl von mehr als 230 000 Personen in das Land eingedrungen – Sie sind seit fünf oder nahezu fünf Jahren Mitglied dieser Bundesregierung, zuerst als Innenminister, jetzt als Kanzler –, das ist eine Größenordnung, die nahezu der Größe der Stadt Linz entspricht.
Herr Bundeskanzler, sind Sie tatsächlich der Meinung, Sie haben da für die österreichische Bevölkerung Gutes getan?
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Zum einen, Frau Abgeordnete, ist es, glaube ich, wichtig, in der Diskussion redlich zu sein. Ja, illegale Migration ist eine große Herausforderung – nicht nur für Österreich, sondern für die Europäische Union. Wie Sie wissen, verdient die organisierte Kriminalität ein Vermögen mit dem Schicksal von Menschen, und es ist tatsächlich unser gemeinsames Ziel, die organisierte Kriminalität zu zerschlagen und damit den Menschenschmuggel und auch den Menschenhandel deutlich zu dämpfen, im besten Falle sogar zu verhindern.
Das, was Sie aber auch sehen – und deswegen sage ich, dass Redlichkeit angebracht ist –: Sie haben einen Klubobmann in Ihren Reihen, der selbst Innenminister war, und an den Zahlen, Daten und Fakten sehen Sie, dass auch in seiner Zeit die Zahl der Anerkennungen hoch war, zum Teil höher waren als unter Innenminister Karner. (Abg. Belakowitsch: ... das war 2015!) Also ich glaube, es ist wichtig, darüber redlich zu befinden. Ich glaube nicht, dass es nützt, sich in Polemik zu verlieren, sondern es gilt, tatsächlich konkrete Maßnahmen zu setzen.
Was es dafür braucht, ist die Kooperation mit Drittstaaten – das ist das, was ich vorhin angesprochen habe –, deswegen unterstützen wir den Türkei-Deal, den Libanon-Deal, den Deal mit Tunesien, Ägypten und anderen. Wir müssen Asylverfahren in sicheren Drittstaaten erreichen, dafür braucht es internationale Politik und internationale Verbündete. Wir müssen das EU-Recht verändern, damit wir das auch tatsächlich durchführen können.
Es braucht eben ein Maßnahmenbündel, um tatsächlich eine Veränderung zu erreichen. Dann können wir beide hoffentlich zu dem Befund gelangen und feststellen, dass es nachhaltig gelungen ist, den Migrationsdruck Richtung Europäische Union – denn die Union ist ja in Summe davon betroffen – auch tatsächlich zu reduzieren.
Das, was mir wichtig war, ist: Durch die polizeilichen Kooperationen und Maßnahmen, die gesetzt worden sind, ist es tatsächlich erreicht worden, dass die Asylantragszahlen in Österreich deutlich zurückgegangen sind. (Beifall bei der ÖVP.)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Eine Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Neßler. – Bitte.
Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Alle Experten und Expertinnen sind einhellig der Meinung, dass nur Präventionsmaßnahmen gegen Jugendkriminalität wirksam sind, also dass angesetzt wird, bevor überhaupt etwas passiert.
Daher meine Frage: Welche Präventionsmaßnahmen wurden – neben dem breiten Kinderschutzpaket, das wir auf die Beine gestellt haben – im Bereich Bildung, Gesundheit, Sozialarbeit, Kinder- und Jugendhilfe gesetzt beziehungsweise welche Maßnahmen sollen noch gesetzt werden, um effektiv, ohne populistische Showpolitik, der Jugendkriminalität entgegenzutreten?
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Frau Abgeordnete, ich stimme Ihnen völlig zu: Die Prävention ist grundsätzlich immer das Anzustrebende – denn dann ist ja die Straftat auch tatsächlich verhindert, indem sie nicht stattfindet.
Aus meiner Sicht braucht es aber zwei Dinge: Auf der einen Seite braucht es die Schließung einer Rechtslücke, weil wir feststellen, dass sich die Jugendkriminalität deutlich verändert, Straftaten auch wirklich in Form von Gewaltdelikten begangen werden, und wir auch dafür sorgen müssen, dass es dann für die Straftäter Konsequenzen gibt. Das ist aus meiner Sicht wichtig. Das hat aus meiner Sicht auch nichts mit Populismus zu tun, sondern ist unsere Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Auf der anderen Seite – auch da gebe ich Ihnen Recht – ist es wichtig, immer in einem System zu denken. Es braucht aus meiner Sicht auf der einen Seite tatsächlich die Senkung des Alters der Strafmündigkeit, um Konsequenzen sichtbar zu machen, wenn jemand die Rechtsnorm verletzt, Menschen verletzt, und auf der anderen Seite braucht es aber die Prävention, die Sie angesprochen haben – und die gibt es und die findet statt, eben auch durch das Innenministerium mit der Polizei an Schulen. Es gibt Gewaltschutzbeauftragte an den Schulen – diese kommen sehr gut an, das muss aus meiner Sicht noch ausgebaut werden –, Polizistinnen und Polizisten, die in den Schulklassen mit den Schülerinnen und Schülern in den Dialog treten. Einerseits ist das wichtig, um auch die Berührungsängste zwischen Polizei und Jugend abzubauen – weil es wichtig ist, dass man sieht, dass man in der Polizei einen vertrauensvollen Partner und keinen Gegner hat; das ist einmal das eine –, und auf der anderen Seite eben auch, weil das ein Problembewusstsein schafft.
Aus meiner Sicht können dazu auch noch mehr Initiativen gesetzt werden. Auch die Familienministerin hat viele Maßnahmen im Bereich des Gewaltschutzes gesetzt. Im Detail kann ich Ihnen diese dann gerne auch schriftlich nachreichen lassen. Worin wir aber, glaube ich, Verbündete sind, ist die Ansicht, dass in der Präventionsarbeit gar nicht genug getan werden kann, weil jede verhinderte Straftat eine ist, die dann tatsächlich nicht stattfindet. (Beifall bei der ÖVP.)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Danke schön.
Da alle Anfragen zum Aufruf gelangt sind, darf ich die Fragestunde für beendet erklären. Ich darf mich beim Herrn Bundeskanzler herzlich bedanken. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)