Palais Epstein: Baujuwel am Ring

Die architektonische Planung, reiche Ausstattung und der außergewöhnlich gute Erhaltungszustand machen das Gebäude zu einem herausragenden Beispiel der Ringstraßenarchitektur des 19. Jahrhunderts.

Zwischen Wohnung und Prestigeobjekt

Das Palais Epstein wurde um 1870 von Theophil Hansen erbaut, der als Architekt und Bauleiter auch für die Erbauung des Parlaments verantwortlich zeichnete.

Technisch war der Gründerzeitbau im Stil des Historismus seiner Zeit weit voraus: mit versenkbaren Stahlplatten zur Sicherung, verspiegelten Schiebetüren oder gar einer Art Klimaanlage.

Heute sind im Palais Epstein Büros und repräsentative Räumlichkeiten des Parlaments untergebracht.

Ringstraßenpalais: Dokument des sozialen Aufstiegs

Am 20. Dezember 1857 verfügte Kaiser Franz Joseph die Schleifung der Wiener Befestigungen. Es sollte an dieser Stelle ein Prachtboulevard entstehen, der von monumentalen öffentlichen und privaten Bauten gesäumt war.

Die neue Ringstraßenzone schuf eine Verbindung zwischen dem historischen Stadtzentrum und den Vorstädten. Sie dynamisierte damit die Entwicklung des städtischen Raumes und bot zugleich dem wirtschaftlich erfolgreichen Großbürgertum ein Forum, seinen sozialen Aufstieg zur Schau zu stellen.

Die Stadtentwicklung der Gründerzeit hatte die europäische Metropole Paris zum Vorbild. In Paris entstanden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Boulevards, wo Prachtbauten an die Stelle der Stadtbefestigung traten. Die Gründerzeit war durch enormen wirtschaftlichen Aufschwung, Industrialisierung, ungehemmten Kapitalismus und unerschütterlichen Fortschrittsglauben gekennzeichnet. Sie beginnt Mitte des 19. Jahrhunderts und endet mit dem Börsenkrach von 1873 abrupt.

Das Palais Epstein entstand auf dem Höhepunkt der sogenannten Gründerzeit und ist das letzte weitgehend unverändert erhaltene Ringstraßenpalais. Der Gebäudetypus repräsentiert einen bestimmten gesellschaftlichen Typus: die Person des sozialen Aufsteigers.

Diese erfolgreichen Persönlichkeiten waren oftmals jüdischer Herkunft und in Industrie, Handel oder Bankwesen zu wirtschaftlichem Erfolg gelangt. Ein herrschaftliches Wohn- und Geschäftshaus machte den geglückten Eintritt in die gesellschaftliche Führungsschicht der Monarchie, mit dem oft die Erhebung in den Adelsstand verbunden war, für alle sichtbar.

Das Palais Epstein repräsentiert prototypisch das für die Wiener Ringstraße charakteristische Zinspalais. Neben der Dokumentation des sozialen Status der Stifterfamilie diente es – dem kapitalistischen Geist der Zeit entsprechend – auch dem Ziel, durch Vermietung von Wohn- und Geschäftsräumen einen finanziellen Gewinn zu erzielen.

Die Architekten: Hansen und Wagner

Der Bauherr, Gustav Ritter von Epstein, hatte zwei Lieblingsarchitekten: Theophil Hansen und Otto Wagner. Die Errichtung des Palais Epstein stellt das wichtigste gemeinsame Projekt dieser beiden großen, durch eine Generation getrennten, aber in Freundschaft verbundenen Architekten dar.

Den etablierten Ringstraßenarchitekten Theophil Hansen betraute Epstein mit der Entwurfsarbeit, den jungen Otto Wagner mit der Bauführung des Palais.

Theophil Hansen ist einer der wichtigsten Vertreter der für die Wiener Ringstraße charakteristische Architektur des Historismus. Mit seinem architektonischen Meisterwerk, dem Wiener Parlamentsgebäude, hat er das vielleicht bedeutendste Zeugnis der historistischen Architektur der Ringstraßenära hinterlassen.

Otto Wagner hatte den Historismus überwunden und sich durch einige beispielhafte Bauten wie das Wiener Postsparkassengebäude einen Namen gemacht. Vor allem aber durch seine theoretischen Schriften und die Ausbildung zahlreicher für die Architektur der Moderne bedeutender Schüler an der Akademie der bildenden Künste galt er als bahnbrechender Architekt. Wagner errichtete auch die Sommerresidenz der Familie Epstein in Baden bei Wien.
 

Die Renovierung des Palais

Im Gegensatz zu vielen anderen Privathäusern an der Wiener Ringstraße ist das Palais im künstlerischen und baulichen Urzustand weitgehend erhalten geblieben. Die verschiedenen Nutzer:innen des Gebäudes haben jedoch merkliche Spuren hinterlassen. Viele Bausünden wie Zwischenwände in historisch geschützten Räumlichkeiten, Tapeten über wertvollen Wänden, EDV-Kabel über dem Putz und neu eingezogene Zwischendecken machten die Sanierung des Palais zu einer besonderen Herausforderung.

Mehr als vier Jahre – von der Bestandsaufnahme über die Planung bis zur Fertigstellung 2005 – dauerten die Sanierungs- und Adaptierungsarbeiten. Dabei waren viel detektivischer Spürsinn, Fantasie und Expertenwissen gefragt, stießen die verantwortlichen Architekten doch immer wieder auf neue Überraschungen.

Technisch hoch entwickelte Glasschiebetüren hinter Holzverkleidungen, Holztafeln in einem Abstellraum, die sich als Originalparkettboden des Festsaales erwiesen, oder ein ausgetüftelter Mechanismus zum Verbarrikadieren der Fenster im Erdgeschoß, sind nur einige Entdeckungen, die im Zuge der Renovierung gemacht wurden. 

Auch ungeöffnete Briefe, Spielkarten und Kassiber von Gefangenen aus jener Zeit, in der die Sowjetische Zentralkommandantur im Palais Epstein residierte, gehören zu den Fundstücken.

Verantwortlich für die Generalsanierung des Palais Epstein zeichnete die Bundesimmobiliengesellschaft, die über das Fruchtgenussrecht am Palais verfügt. Sie bezog von Beginn an das Bundesdenkmalamt in das heikle Sanierungsprojekt mit ein und arbeitete eng mit dem Institut für Restaurierung und Konservierung der Akademie der bildenden Künste zusammen.

Mit der notwendigen Adaptierung des Gebäudes wurden die Wiener Architekten Alexander van der Donk und Georg Töpfer betraut. Sie gingen als Sieger aus einem Architekturwettbewerb hervor. Ihr von einer Jury einstimmig ausgewähltes Projekt wurde "als Beispiel einer klassischen Sanierung" gewertet, "deren Schwergewicht auf der Erhaltung der historischen Baustruktur liegt und dem künstlerischen Rang des Palais Epstein entspricht".

Baukonzept und Aufteilung

In der baulichen Struktur spiegelt sich die soziale Realität der Ringstraßengesellschaft wider: Herrschende und dienende Schicht sind eng miteinander verbunden und dennoch räumlich scharf getrennt. 

(Zurück-)Haltung bewahren

Die Unterschiede zwischen den Klassen werden auch in der baulichen Struktur abgebildet. Die Herrschaft wohnte zur Ringstraße – die Dienerschaft zur Rückseite.

Die Fassade des Palais Epstein wurde von Theophil Hansen im Stil des strengen Historismus sehr schlicht gestaltet. Ganz dem Wunsch des Bauherrn Gustav Ritter von Epstein entsprechend, lässt die noble Zurückhaltung außen die Pracht und den Prunk im Inneren nicht erahnen.

Lediglich die prominente Lage am höchsten Punkt der Ringstraße und das von Karyatiden gerahmte Portal weisen auf die gehobene soziale Stellung des Eigentümers hin.

Die Ringstraßenfront

Markantestes Gestaltungselement der Ringstraßenfront des Palais Epstein ist die im Vergleich zu anderen Palais ungewöhnlich breite Portalzone des Erdgeschoßes. Sie ist auch der einzige aus der Fluchtlinie vorspringende Gebäudeteil.

Gebildet wird sie von vier Karyatiden, die den Balkon der Beletage tragen. Sie sind ein Werk von Vincenz Pilz, einem der Lieblingsbildhauer Hansens. 

Er war bereit, die Ausgestaltung der Plastik ihrer architektonischen Funktion unterzuordnen.

Das Portal selbst war ursprünglich mit zwei mächtigen bronzenen Türklopfern geschmückt, die heute leider verschollen sind. Durch das Portal und das Vestibül gelangt man in den mit Glas überdachten Innenhof.

Der Grundriss des Gebäudes

Das Gebäude ist als geschlossener Baublock mit vier Geschoßen angelegt. Das Erdgeschoß setzt sich durch roh bearbeitetes Quadermauerwerk ab. Große Rundbogenfenster sorgen für viel Tageslicht.

Nach oben hin wird die Gestaltung der Außenfassade mehr und mehr verfeinert und dadurch die Wirkung gesteigert. Vor allem das Attikageschoß ist mit überreichem Schmuck versehen. Hansen wählte dafür Hermenpilaster mit Reliefs, die beide aus Terrakotta gefertigt sind. 

Das Vestibül war so konzipiert, dass es als Einfahrt für Kutschen diente, mit denen man bis zur Feststiege vorfahren konnte. In der Kuppel des Vestibüls war die Devise Epsteins "Sis qui videris" ("Sei, wer du scheinst") zu lesen. Übertragen auf die Persönlichkeit des Eigentümers könnte man den Leitspruch so deuten: außen vornehme Zurückhaltung, innen der Reichtum der schönen Seele.

Der vordere Bereich des Erdgeschoßes leitete von der äußeren zur inneren Repräsentationssphäre des Palais über. An der Rückseite des glasüberdachten Innenhofs befand sich die Remise für die Kutschen und die Sattelkammer.

Geschäftslokal: Bankhaus Epstein

Im Erdgeschoß des Palais befanden sich das Gewölbe, das waren die vermieteten Geschäftslokale an der linken Gebäudeseite, und das Comptoir, also die Räume des Bankhauses Epstein an der rechten Seite.

Das Bankhaus der Familie Epstein kann man mit einer heutigen Investmentbank vergleichen. Da mit dieser Art von Geschäften so gut wie kein Publikumsverkehr verbunden war, nahmen die Bankräumlichkeiten auch nur einen Teil der Ringstraßenfront in Anspruch.

Erster Stock oder Beletage

Die prachtvoll ausgestatteten und reich möblierten Räume im ersten Stock bewohnte ab 1872 die fünfköpfige Familie des Eigentümers . Die drei zentralen Räume an der Ringstraßenfront – der Empfangssaal, der Fest- bzw. Tanzsaal und der Speisesaal – waren der Repräsentation gewidmet.

In der daran anschließenden linken Gebäudeseite waren überwiegend die Räume der weiblichen Familienmitglieder untergebracht, mit Ausnahme des gemeinsamen ehelichen Schlafzimmers. Im rechten Gebäudeflügel befanden sich die Zimmer der Herren. Die Tatsache, dass die Eheleute Epstein gemeinsam in einem Zimmer nächtigten, zeigt, dass für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts Intimität kein Tabuthema mehr war, sondern gesellschaftlich akzeptiert wurde.

Diese Art des Umgangs wäre in den barocken Adelspalästen der Innenstadt undenkbar gewesen.

Dienstwohnung: Bescheidene Räumlichkeiten

Den gebildeten Angehörigen des Personals wie den Gouvernanten bzw. dem Hauslehrer des Sohnes wurde, was die Unterbringung betraf, seitens der Herrschaft keine übermäßige Wertschätzung entgegen gebracht.

Den Gouvernanten wurden kleine Räume im hinteren Bereich des Hauses zugewiesen, der Hauslehrer bewohnte ein Schlauchzimmer mit Blick in einen Lichthof über der Rampe für die Pferde. 

Treppen: Soziales Auf und Ab

Von den unterschiedlichen Zugangserschließungen durch insgesamt drei im Gebäude angelegte Treppen lassen sich die sozialen Abstufungen hinsichtlich ihrer Benutzer:innen ableiten: die Prunktreppe für den Hausherrn, seine Familie und die Gäste, die Treppe zu den Mietwohnungen und die Dienstbotenstiege.

Die großzügig geführte Prunktreppe führt an der linken Seite des Innenhofes in den ersten und weiter in den zweiten Stock.

Sie ist mit verschiedenfarbigen Marmorarten und Stuckmarmor reich ausgestattet. Anders als in vergleichbaren Zinspalais erschließt sie damit nicht nur die Wohnung des Eigentümers in der Beletage, sondern auch die großzügig angelegte Mietwohnung darüber.

Diese ist in ihren Ausmaßen mit der Epstein’schen Wohnung im ersten Stock vergleichbar, was auch auf sozial gleichgestellte Bewohner:innen schließen lässt. Es ist davon auszugehen, dass Gustav Ritter von Epstein diese Wohnung als künftiges Domizil für seinen Sohn vorgesehen hatte. 

Die beiden Nobelgeschoße im ersten und zweiten Stock sind an der Außenfassade durch Balkone betont, die von vier Karyatiden getragen werden. Die drei weniger großzügig konzipierten Mietwohnungen im dritten Stock sind nur durch die engere Treppe an der rechten Seite des Innenhofs zu erreichen.

Am engsten ist die Dienstbotenstiege im Hoftrakt. Über sie konnte das Personal in seine zum Teil im niedrigen Mezzanin gelegenen, oft lichtlosen Kammern gelangen. Durch eingezogene Zwischendecken fielen die Räume für die Bediensteten sehr klein und niedrig aus.

Sie waren schlecht belichtet und nicht ausreichend belüftet. Deshalb blieb ihnen auch die baubehördliche Bewilligung versagt. Im Zuge der Restaurierung des Palais wurde der Dienstbotentrakt zur Gänze entkernt; an seiner Stelle entstand eine moderne Stiegen- und Liftanlage.

Ein Kunstwerk vom Eingang bis zum Dach

Ähnlich wie im Fall des Parlamentsgebäudes konzipierte Theophil Hansen sowohl die Architektur als auch die Ausstattung das Palais Epstein in den Repräsentationsräumen der Beletage.

Die Ausstattung der Prunkräume, die an der Frontseite des Hauses liegen, zeigt noch heute eine Vielfalt von wertvollen Materialien und Techniken. Je nach Raum und Funktion setzte Hansen sie in unterschiedlicher Kombination und Farbe ein.

Die Oberflächengestaltung imitiert in fast spielerischer Weise unterschiedliche Materialien, insbesondere Stein bzw. Marmor oder verschiedene Holzarten.

Die aufwendige Ausstattung wirkt heute noch genauso imposant wie damals: Die Räumlichkeiten werden gerne für offizielle Anlässe des Parlaments genutzt.

Verbleibende Bestände

Nach seinem Bankrott im Jahr 1873 war Gustav Ritter von Epstein gezwungen, das Gebäude und seine wertvolle Kunstsammlung, wie auch Teile des exquisiten Mobiliars, zu verkaufen. Viele Stücke gingen nach seinem Tod an verschiedene Familienmitglieder und der Großteil der mobilen Bestandteile des Palais wurde in alle Himmelsrichtungen verstreut.

Bildliche Darstellungen der vollen Ausstattung, die einen Eindruck des ursprünglichen Überflusses vermitteln könnten, sind leider nicht erhalten. Der Parlamentsdirektion gelang es allerdings, einige noch im Besitz von Nachfahren Epsteins befindliche Objekte zu erwerben. Diese wurden zu einer kleinen Ausstellung arrangiert, die im Rahmen einer Führung durch das Palais besichtigt werden kann.