Bibliothek - Aktueller Tipp 30.11.2024

Vor 40 Jahren: Proteste gegen das geplante Kraftwerk Hainburg

"Jetzt muss man da sein und jetzt muss man seinen eigenen Kopf hinhalten!"

Mit diesen Worten äußerte sich der Künstler Arik Brauer – einer der vielen prominenten Unterstützer:innen der Protestbewegung – auf einer spontanen Pressekonferenz am 19. Dezember 1984 auf dem Augelände. Worauf Brauer anspielte: Kurz zuvor war es im Gebiet der Stopfenreuther Au zu Zusammenstößen zwischen Einheiten der Polizei sowie der Gendarmerie und Aktivist:innen gekommen. Diese hatten versucht, die einsetzenden Rodungsarbeiten in der Au zu behindern. Mehrere Verletzte auf allen Seiten stellten einen (gewaltsamen) Kulminationspunkt in der Auseinandersetzung rund um das geplante Donaukraftwerk dar. Dass der Bau des Kraftwerks letzten Endes abgebrochen wurde, ist aus umweltpolitischer sowie zivilgesellschaftlicher Sicht bemerkenswert. Nicht nur beteiligten sich viele Organisationen wie etwa der WWF, die Österreichische Hochschülerschaft, der Alpenverein und (lokale) Bürgerinitiativen an den Protesten – auch für die Grünen kristallisierte sich Hainburg als wichtiger Bezugspunkt in der Gründungs- und Parteigeschichte heraus. Bei der Nationalratswahl am 23. November 1986 gelang für "Die Grüne Alternative – Liste Freda Meissner-Blau" (GRÜNE) mit 4,82% der Stimmen und damit 8 Mandaten erstmals der Einzug in den Nationalrat.

Ein umstrittenes Projekt im Fokus

Die Planungsgeschichte des Bauprojekts – verantwortet durch die Österreichische Donaukraftwerke AG (DOKW) – reicht bis Ende der 1970er Jahre zurück. Erstmals für eine breitere Öffentlichkeit präsent wurde das Kraftwerkprojekt mit Standort Hainburg in der Aulandschaft am 28. April 1983, als die DOKW es im Zuge einer Pressekonferenz präsentierte. Medial gesehen verdichtete sich die Berichterstattung ab August, der tatsächliche Widerstand aufgrund naturschutzrechtlicher Bedenken gegen das Projekt begann allerdings erst gegen Ende der 1. Jahreshälfte 1984. Eingeläutet wurde dieser unter anderem durch das Konrad-Lorenz-Volksbegehren und das dahinterstehende überparteiliche Personenkomitee, das mit der "Pressekonferenz der Tiere" vom 7. Mai 1984 in die österreichische Zeitgeschichte einging. Mit Ende November schien auch rechtlich den Rodungen im Auengebiet um Stopfenreuth nichts mehr im Wege zu stehen: der niederösterreichische Umweltlandesrat Ernest Brezovsky verkündete die naturschutzrechtliche Baubewilligung, am 6. Dezember gab Landwirtschaftsminister Günter Haiden (SPÖ) die positive wasserrechtliche Entscheidung bekannt.

Der Weihnachtsmann schläft noch, die Bulldozer nicht

Motivierende Überschriften wie diese finden sich auf Flugblättern, mit denen Aktivist:innen für den 8. Dezember dazu aufriefen, in die Stopfenreuther Au aufzubrechen ("Sternwanderung"), um sich den angekündigten Rodungsarbeiten in den Weg zu stellen. Über die nächsten Tage wurden auf dem Gelände Versorgungsstrukturen geschaffen und Barrikaden auf den Forststraßen errichtet. Mehrere hundert Protestierende waren bereit, den Bau für längere Zeit zu blockieren. Auch in Wien sollten verschiedenste Protest- und Unterstützungsaktionen Druck auf die Entscheidungsträger:innen in der Politik ausüben. Die Geschehnisse in Hainburg dominierten die innenpolitische Berichterstattung. Am 19. Dezember eskalierte die Situation, als Beamte der Exekutive die Lager der Demonstrierenden unter Einsatz von Gewalt zu räumen begannen und den Forstarbeitern die Rodung einer etwa vier Hektar großen Fläche in der Au ermöglichten. Unter dem öffentlichen Druck und bedingt durch die große Anzahl an Aktivist:innen wiederholte sich ein derartiges Eingreifen der Exekutive jedoch nicht und die Situation beruhigte sich. Auch Persönlichkeiten wie der Wiener Kardinal Franz König meldeten sich kalmierend zu Wort. Am 21. Dezember verkündete Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) auf einer Pressekonferenz den viel zitierten "Weihnachtsfrieden" in der Au, die Rodungsarbeiten wurden nicht weiter geführt, bis in den Jänner des Jahres 1985 zogen sich auch die Besetzer:innen aus der Au zurück.

Was als eine "Atempause" begonnen hatte, lief letzten Endes auf eine komplette Einstellung der Arbeiten und eine Aufgabe des Kraftwerkprojektes in Hainburg hinaus. Nicht nur hatte sich eine im Auftrag der Bundesregierung eingesetzte Ökologiekommission gegen das Projekt ausgesprochen, auch der rechtsgültige Wasserrechtsbescheid wurde im Juli 1986 vom Verwaltungsgerichtshof gelöscht. Das Ende des geplanten Kraftwerks Hainburg war zugleich der Beginn eines neuen Projektes, das auch von den Aktivist:innen schon 1985 gefordert und 1996 letztlich Realität werden sollte: die Errichtung des Nationalpark-Donau-Auen.

Literaturauswahl

  • Burkart, Roland. Das Konrad Lorenz-Volksbegehren in der Tagespresse Österreichs: Eine Inhaltsanalytische Untersuchung (Literas-Univ.-Verl., Wien 1985) – Bestellen
  • Gutschik, Reinhold, et al., Verhinderte und verzögerte Infrastrukturprojekte: Kosten und Konsequenzen für Österreich (Studien-Verl., Innsbruck/Wien u.a. 2007) – Bestellen
  • Klimek, Manfred, Besetzung der Hainburger Au 1984–1985 Hainburg: Als Ändern nicht mehr schlief, in: Drexler, Martin W. et al., Idealzone Wien: Die schnellen Jahre (1978-1985) (Falter Verlag, Wien 2016), S. 105-107 – Bestellen
  • Kriechbaumer, Robert. Nur ein Zwischenspiel (?): Die Geschichte der Grünen in Österreich: Von den Anfängen bis 2017 (Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2018) – Bestellen
  • Meissner-Blau, Freda, Zwentendorf, Hainburg und die Zukunft der Energiepolitik: Warum wir eine lebhafte Zivilgesellschaft brauchen, in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.), Von kalten Energiestrategien zu heißen Rohstoffkriegen? (LIT Verlag, Wien u.a. 2008), S.294-301 – Bestellen
  • Nenning, Günther, Blau, Paul, Die Schlacht der Bäume: Hainburg 1984 (Hannibal Verlag, Wien 1985) – Bestellen
  • Neuwirth, Gernot, Hainburg aus der Sicht eines Zeitzeugen, in: Brunner, Karl, Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien (Böhlau Verlag, Wien u.a. 2005), S.390-391 – Bestellen
  • Rathkolb, Oliver, et al., Wasserkraft. Elektrizität. Gesellschaft.: Kraftwerksprojekte ab 1880 im Spannungsfeld (Kremayr & Scheriau, Wien 2012) – Bestellen
  • Schmid, Martin, Veichtlbauer, Ortrun, Vom Naturschutz zur Ökologiebewegung: Umweltgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik (Studien-Verl., Wien/Innsbruck u.a. 2006) – Bestellen
  • Schneider, Nora, Beteiligungsmotive von Umweltaktivist:innen in Österreich an den Fallbeispielen Besetzung der Hainburger Au 1984 und Fridays for Future Austria (Universität Wien, Hochschulschrift 2022) – Online-Zugriff
  • Weichsel-Goby, Barbara, Klimaschutz und Zivilgesellschaft, in: Ennöckl, Daniel (Hg.), Klimaschutzrecht (Verlag Österreich, Wien 2023), S. 483-515 – Bestellen
  • Zeiler, Linda Martina, Was Bleibt?: Das Politische Wirken und Vermächtnis von Dr. Fred Sinowatz (Lang Verlag, Frankfurt am Main/ Wien u.a. 2011) – Bestellen