Historische Persönlichkeiten

Die Geschichte der Parlamentsbibliothek ist maßgeblich von ihren Bibliotheksdirektor:innen und Mitarbeiter:innen geprägt.

Prägende Persönlichkeiten

Während ihres 150-jährigen Bestehens waren es vor allem die folgend angeführten Personen, die das Geschick der Bibliothek bestimmten:

  • Franz J. Koch (1869-1870)
  • Johann Vincenz Goehlert (1870-1876)
  • Johann Freiherr von Päumann (1876-1881)
  • Siegfried Lipiner (1881-1911)
  • Johann Ladislaus Merklas (1912-1924)
  • Ernst Lemm (1925-1933)
  • Richard Fuchs (1933-1942)
  • Hilda Rothe (1942-1945)
  • Gustav Blenk (1946-1957)
  • Michael Stickler (1958-1974)
  • Theodor Stöhr (1975-1991)
  • Elisabeth Dietrich-Schulz (1992-2021)

Seit 2021 ist Holger Böck Leiter der Parlamentsbibliothek.

Von Lipiner bis Renner und Rothe

Siegfried Lipiner, Karl Renner und Hilda Rothe werden aufgrund ihrer besonderen Lebensläufe näher vorgestellt.

Siegfried Lipiner, eine der prägenden und später oft vergessenen Kultur- und Geistesgrößen Wiens um die Jahrhundertwende, war der längstdienende Direktor der Parlamentsbibliothek. Er war Dichter, Übersetzer und Polyhistor. Er stand unter anderem mit Friedrich Nietzsche, Richard Wagner und vor allem mit Gustav Mahler in Kontakt.

Karl Renner war von 1895 bis 1907 als Bibliothekar in der Parlamentsbibliothek tätig, bevor er - nach Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten Männerwahlrechts - in das Abgeordnetenhaus gewählt wurde. Später bekleidete er die höchsten Ämter des Staates.

Hilda Rothe, der in besonderer Weise die Festschrift der Parlamentsbibliothek gewidmet ist, hat sich in der Zeit des Nationalsozialismus für den Erhalt der Bibliothek eingesetzt.

Siegfried Lipiner (1856–1911): Literat in der Parlamentsbibliothek

Siegfried Lipiner hat Zeit seines Lebens mehrere Professionen ausgeübt, er war Schriftsteller, Philosoph, Übersetzer, Bibliothekar und galt als Universalgelehrter. Vor allem wurde er durch seine in jungen Jahren verfassten Werke – die Dichtung "Der entfesselte Prometheus" begann er mit 19 und schloss sie mit 20 ab – frühzeitig berühmt.

Lipiner stand in Kontakt mit Friedrich Nietzsche, Richard Wagner, Gustav Mahler und dem Kreis um den sozialdemokratischen Abgeordneten Engelbert Pernerstorfer, dem unter anderem Victor Adler und Hermann Bahr angehörten. Er geriet allerdings fast ebenso schnell, wie er bekannt geworden war, wieder in Vergessenheit, sodass die Arbeiterzeitung in ihrem Nachruf auf Lipiner konstatierte: "Ein Unbekannter starb". 1961 hat die Stadt Wien eine Straße im 23. Bezirk nach ihm benannt.

Über Lipiner

Die ersten zwei Strophen des Vorgesangs

O die ihr wandelt durch des Lebens Lande,
In heissem Ringen bahnend euren Pfad,
Die schmerzvoll ihr gesprengt des Geistes Bande,
Dem Schicksalswort getrotzt in freier That,
Ihr Wenigen - gegeben uns zum Pfande,
Dass einst zur Ernte reift die junge Saat,
Euch bring ich an des neuen Lebens Wiege
Dies Lied von eurem Fall und eurem Siege!

Ihr führt der Namen viel. Euch nennt man Sünder,
Die sich in wildem Frevelmuth empört,
Besiegte heisst ihr, heisset Ueberwinder,
Bald hell erleuchtet und bald wahnbethört. -
Ich aber nenn euch eures Vaters Kinder,
Des Vaters, der geschaffen und zerstört,
Der kühn geschöpft aus ew’gem Lebensbronnen,
Der höchsten Ruhm und höchstes Weh gewonnen.

Lipiner und Mahler

Mit Gustav Mahler verband Lipiner eine länger andauernde Freundschaft. Mahler bezeichnet ihn als "teuerste[n] Freund fürs Leben, bei dem er 'Rat in allen möglichen Phasen des Daseins' und 'Beruhigung all' seiner Zweifel sucht und findet". Auch auf Mahlers Denken und Schaffen hat Lipiner teilweise großen Einfluss. Mahlers Zweite Symphonie bezieht sich direkt auf Lipiners Übersetzung der "Todtenfeier" (auf Polnisch: Dziady) des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz. Die Freundschaft zu Gustav Mahler bricht erst ab, als dieser seine spätere Gemahlin Alma kennenlernte.

Das Verhältnis Lipiners zu Alma Mahler ist von Anfang an von einer beidseitig offen ausgetragenen Feindschaft bestimmt. Lipiner sieht geringschätzig auf Alma Mahler herab, während diese sein Werk als "eklektisches schwulstiges Zeug" bezeichnet. Erst 1909 kommt es zwischen Gustav Mahler und Lipiner zu einer neuerlichen Annäherung. 1910, ein Jahr vor Lipiners Tod, widmet dieser Gustav Mahler zum 50. Geburtstag das längere Gedicht "Der Musiker spricht".

Quellen

  • Bach, J.: Siegfried Lipiner. Aus: Arbeiter-Zeitung. 1912, Nr. 10. - 3 Bl. Signatur der Parlamentsbibliothek: 63.491.
  • Brenner, Helmut: Lipiner, Siegfried. In: Mahlers Menschen: Freunde und Weggefährten. St. Pölten: Residenz Verlag, 2014. S. 140-144.
  • Hartungen, Hartmut von: Der Dichter Siegfried Lipiner (1856-1911). München, Univ., Diss., 1932. – 81 S. Signatur der Parlamentsbibliothek: 56.477.
  • Lipiner, Siegfried: Der entfesselte Prometheus: eine Dichtung in fünf Gesängen. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1876. - 174 S. Signatur der Parlamentsbibliothek: 26.916.
  • Pech, Christian: Nur was sich ändert, bleibt! Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel der Zeit 1869-2002 / Red. Barbara Blümel, Elisabeth Dietrich-Schulz. Wien: Parlamentsdirektion, 2002. - 150 S. Signatur der Parlamentsbibliothek: 65.000.
  • Suchy, Irene: Über Gustav Mahler: Briefe. Lipiner – Weltmusikgeschichte in der Parlamentsbibliothek. In: Zu Wort gemeldet ist … das Buch: 150 Jahre Parlamentsbibliothek. Salzburg/Wien: Residenz Verlag, 2019.

Karl Renner (1870-1950): Bundespräsident, Nationalratspräsident, Staatskanzler, Reichsrats- und Nationalratsabgeordneter, Bibliothekar

Unter den zahlreichen schillernden Persönlichkeiten, die in der Reichsratsbibliothek ihren Dienst versahen, befand sich auch eine der herausragendsten politischen Erscheinungen der jüngeren österreichischen Geschichte: Karl Renner. Als zentraler Theoretiker und Funktionär der österreichischen Sozialdemokratie sollte er in seiner politischen Karriere die höchsten Ämter des Staates bekleiden - Bundespräsident, Präsident des Nationalrats, Staatskanzler, Reichsrats- und Nationalratsabgeordneter -, und das in Zeiten größtmöglicher staatlicher und politischer Instabilität.

Im Jahr 1895, als er zu seinem Vorstellungsgespräch bei Siegfried Lipiner, dem Direktor der Reichsratsbibliothek, der gleichzeitig eine der geheimeren Kultur- und Geistesgrößen Wiens um die Jahrhundertwende war, eine ganze Stunde zu spät kam, war seine maßgebliche Beteiligung an so zahlreichen für sein Land schicksalhaften politischen Ereignissen und Entscheidungen noch nicht absehbar.

Der Beginn der Bibliothekarskarriere

Noch vor Beendigung seines Rechtsstudiums wurde Karl Renner vom Dekan der Juristischen Fakultät, Eugen von Philippovich, darauf aufmerksam gemacht, dass sich der Direktor der Reichsratsbibliothek, Siegfried Lipiner, an ihn gewandt habe und "[…] er einen jungen Mann [suche], der im staatswissenschaftlichen Seminar gearbeitet, außer nationalökonomischen auch eingehende staatsrechtliche Kenntnisse erworben und politisches Interesse habe, vor allem aber ein flinker Arbeiter sei."

Seine Aufgabe würde darin bestehen, "den Buchbestand der Bibliothek neu aufzunehmen und einen Materienkatalog in Druck herstellen zu lassen. Die Arbeit würde einige Monate in Anspruch nehmen."

Die Aufgabe war für Karl Renner trotz ihrer Befristung vor allem deswegen interessant, weil sie die Perspektive bot, in den ordentlichen Staatsdienst aufgenommen zu werden.

Für einen Studenten aus bescheidenen Verhältnissen, in "wilder Ehe" lebend und mit großen politischen und publizistischen Ambitionen eine in ihrer Attraktivität nicht zu unterschätzende Gelegenheit, trotz des Wermutstropfens, dass es "selbstverständlich sei, dass [er] auf jede aktive politische Parteitätigkeit verzichte, da [er] dort allen Parteien in gleicher Weise zu dienen habe." Dieser Umstand ließ ihn selbst noch kurz vor dem aussichtsreichen Vorstellungsgespräch zaudern, sodass er um die bereits erwähnte Stunde zu spät erschien. Karl Renner dürfte Siegfried Lipiner trotz dieser ungünstigen Ausgangssituation voll und ganz überzeugt haben. Obwohl die Stelle bereits einem anderen Bewerber zugesagt worden war, entschied er sich für den jungen Studenten und zukünftigen "Baumeister der Republik".

Karl Renner begann seine Arbeit "ohne Vertrag mit einem Diurnum von vorläufig 80 Kronen (vierzig Gulden) monatlich, als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter [...], tägliche Dienstzeit von 9 bis 12 und von 2 bis 5 Uhr, Dienstantritt am 1. Dezember 1895."

Der "Renner-Katalog"

Der von Karl Renner erarbeitete Materienkatalog wurde in der Parlamentsbibliothek bis 1994 verwendet. Er diente zur systematischen inhaltlichen Erschließung und Zuordnung des Buchbestandes mittels fein aufgegliederter Kategorien und ermöglichte so für Bibliotheksbenutzer:innen und Bibliothekar:innen die Literaturrecherche nach Themengebieten. Die vor seinem Dienstantritt 1895 bestehenden vielfältigen Druckverzeichnisse für rund 25.000 Druckwerke - alphabetischer Nominalkatalog auf Zetteln, gedruckter alphabetischer Realkatalog in Buchform, gedruckter Realkatalog in Buchform, Zusatzregister für alle Arten von Erwerbungen - ermöglichten allein eine Suche nach formalen Kriterien wie Autor, Titel etc.

Renners Werdegang

Ehrenmitglied des Vereins österreichischer Bibliotheken

Im Jahr 1948, zwei Jahre vor seinem Tod, wurde Karl Renner von der Vereinigung österreichischer Bibliothekare zum Ehrenmitglied ernannt. Nach seinem Tod am 31. Dezember 1950 wurde er in der Januarausgabe der "Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekare" auf die folgende Weise gewürdigt:

"Der Ehrenprotektor unserer Vereinigung, Bundespräsident Dr. jur. Dr. h.c. Karl Renner ist am 31. Dezember 1950 gestorben. Die österreichischen Bibliothekare betrauern nicht nur mit allen Österreichern den Tod des erfahrenen und väterlichen Staatslenkers und edlen Menschen, sie verlieren in dem Verewigten, dessen Andenken sie treu bewahren werden, auch einen ehemaligen Fachkollegen, der trotz der vielfältigen Aufgaben seines hohen Amtes, stets werktätiges Verständnis für die Nöte des Bibliothekswesens bewies."

Quellen

  • Dietrich-Schulz, Elisabeth: Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel. In: Mitteilungen der VÖB 56, 2003, Nr. 2, S. 54-63.
  • Lösch, Hellmut: Die österreichische Parlamentsbibliothek in Vergangenheit und Gegenwart. In: Gerhard Hahn (Hg.): Parlament und Bibliothek: Internationale Festschrift für Wolfgang Dietz zum 65. Geburtstag. München 1986.
  • Pech, Christian: Nur was sich ändert, bleibt! Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel der Zeit 1869-2002. Red. Barbara Blümel, Elisabeth Dietrich-Schulz, Wien 2002.
  • Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869–1919. In: Josef Mayrhöfer, Walter Ritzer (Hg.): Festschrift Josef Stummvoll: Dem Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek zum 65. Geburtstag, 19. August 1967, dargebracht von seinen Freunden und Mitarbeitern. Wien 1970.

Hilda Rothe (1893–1967): Couragierte Bewahrerin des Bibliotheksbestands

Im Zuge des 150-jährigen Jubiläums der Parlamentsbibliothek und der Beleuchtung ihrer Geschichte soll an dieser Stelle mit großem Respekt und Dankbarkeit eine Bibliothekarin und ihr beherztes und couragiertes Wirken in Erinnerung gerufen werden.

Die Rede ist von Dr.in Hilda Rothe, die sich - gar nicht groß genug zu nennende - Verdienste um die Erhaltung der eigenständigen Identität der Parlamentsbibliothek und Bewahrung des singulären Bestandes, so wie er heute vorliegt, erworben hat. Dies zudem mehr als couragiert in den widrigsten Zeiten des 20. Jahrhunderts während des Nationalsozialismus und der Wirren während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Und dies alles, ohne jemals in ihrer langjährigen Laufbahn in der Parlamentsbibliothek als Frau eine Führungsposition bzw. die Bibliotheksleitung überantwortet bekommen zu haben.

Mit Bücherliebe und Courage

Übergangene Leistung

In einem Akt vom Jänner 1946 wird Rothe einmal als "provisorische Leiterin der Parlaments-Bibliothek" bezeichnet. Erster offizieller Leiter nach Kriegsende wurde 1946 dann aber nicht Rothe, sondern Gustav Blenk. Trotz ihres außergewöhnlichen Engagements für die Bibliothek und ihrer umfassenden Kenntnis des Bestandes wurde Rothe als hochqualifizierte Frau bei dieser Besetzung übergangen - eine insofern leider "klassische" Akademikerinnenbiografie dieser Frauengeneration.

Nicht nur dass sie keine Führungsposition einnehmen konnte, sie blieb auch - obwohl promoviert - bis zu ihrer krankheitsbedingten Pensionierung 1956 trotz aller formal erlangten Beförderungsstufen in der Verwendungsgruppe B (Maturanten und Maturantinnen) eingestuft.

Späte Anerkennung

Im Jahr ihrer Versetzung in den Ruhestand 1956 erhielt sie das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, wobei vor allem ihre Verdienste im Jahr 1945 hervorgehoben wurden, als "sie durch ihr unerschrockenes Verhalten während der Umsturzzeit viele Übergriffe abwehren und vereiteln konnte". Weiters wurden ihre "unermüdlichen Bemühungen" gewürdigt, denen es zu verdanken sei, "dass die Wiedereröffnung der Parlamentsbibliothek unmittelbar nach der Konstituierung des Nationalrats im Dezember 1945 möglich war".

In einem Artikel der "Wiener Zeitung" anlässlich dieser Auszeichnung wird sie ebenfalls gebührend gewürdigt:

"Es ist das Verdienst Dr. Hilda Rothes, der von ihr betreuten Bibliothek das Schicksal erspart zu haben, das anderen Institutionen ähnlicher Art damals wiederfuhr; daß die Werke teils eingestampft, teils verlagert oder auch in alle Winde zerstreut wurden."

Quellen

  • Lösch, Hellmut: Die österreichische Parlamentsbibliothek in Vergangenheit und Gegenwart. In: Gerhard Hahn (Hg.): Parlament und Bibliothek: Internationale Festschrift für Wolfgang Dietz zum 65. Geburtstag. München: Saur, 1986.
  • Perz, Bertrand, Verena Pawlowsky, Ina Markova: Inbesitznahmen: Das Parlamentsgebäude in Wien 1933-1956. Salzburg/Wien: Residenz Verlag, 2018.
  • Pech, Christian: Nur was sich ändert, bleibt! Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel der Zeit, 1869-2002. Wien: Parlamentsdirektion, 2002.
  • Parlamentsbibliothek zweimal in Gefahr: hohe Auszeichnung für Frau Oberstaatsbibliothekar i.R. Dr. Hilda Rothe. - Wiener Zeitung Nr. 275, November 1956.
  • Der "Herr Hofrat" ist Rapid-Anhänger. – In: Wiener Samstag, Jg. 6/1957, Nr. 42.
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