Fachinfos - Fachdossiers 05.12.2023

75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen. Das Fachdossier gibt einen Überblick über deren Entstehung und Bedeutung. (05.12.2023)

Was ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte?

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) gilt als Gründungsdokument des internationalen Menschenrechtsschutzes. Ihre Entstehung geht auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück und sie ist durch die Erfahrung des Nationalsozialismus und der Shoah geprägt. Der AEMR gingen vier Freiheiten voraus, die US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1941 formuliert hatte. Sie sollten in Zukunft international geschützt werden und wurden zum Ausgangspunkt für die Gründung der Vereinten Nationen (VN bzw. UNO). In der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 wurden die Menschenrechte allgemein genannt. Die Schaffung eines internationalen Katalogs der Menschenrechte wurde so zu einer der ersten Aufgaben der UNO.

Wie waren Menschenrechte vor der AEMR geschützt?

Die Frage, ob alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Fähigkeiten und Überzeugungen oder ihrer sozialen Stellung in gleicher Weise respektiert werden und gleiche Rechte haben sollen, wird seit der Antike diskutiert. Der Grundsatz, dass alle Menschen unveräußerliche und unverletzliche Rechte haben und dass sie sich gegenüber anderen darauf berufen können, ist jünger. Er bildete sich in der heute bestehenden Form ab dem 15. Jahrhundert in Europa. Ausgangspunkt war das Recht auf Religionsfreiheit. Seither sind die Debatten über Inhalt und Wirkung von Menschenrechten durch europäische Rechtstraditionen geprägt (Schmale 2002).

Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten 1776 und die Verfassungsdokumente der Französischen Revolution 1789 bestimmten die Sicherung der Menschenrechte als einen der wichtigsten Zwecke eines Staats. Alle weiteren Staatsverfassungen folgten diesem Vorbild. In Österreich wurde mit dem Staatsgrundgesetz von 1867 ein Grundrechtskatalog erlassen, der bis heute gilt.

Die Philosophin Hannah Arendt betonte während und nach der Herrschaft des Nationalsozialismus das Paradox, dass Menschenrechte nur dann garantiert wurden, wenn jemand Bürger:in eines Staats war. Menschen, die von "ihrem" Staat nicht mehr geschützt werden oder die Staatsbürgerschaft verlieren, seien "nackt" und ohne Rechte (Arendt 1955). Angelika Nußberger (2021), die ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), erinnert auch daran, dass viele Rechte nur Versprechen blieben. Nur einzelne Staaten – darunter Österreich – stellten früh die Durchsetzung durch Gerichte sicher.

Arendt und Nußberger betonen damit die Überzeugung, dass Menschenrechte nur garantiert werden können, wenn nicht einzelne Staaten über sie entscheiden. Dafür braucht es internationale Verpflichtungen. Hersch Lauterpacht, ein Völkerrechtler aus Lemberg/Lwiw, der in Wien studiert hatte, veröffentlichte dazu 1945 die erste umfassende Abhandlung zur Etablierung und zum Schutz universeller Menschenrechte: An International Bill of the Rights of Man.

Wie kam es zur AEMR?

Die Ausarbeitung der AEMR wird heute als einmalige Chance beschrieben (Morsink 1999; Glendon 2001). Sie fand in einer Zeit statt, als Unterdrückung und Gewalt überall präsent waren – Rassentrennung in den USA, Straflager in der UdSSR, Kolonialherrschaft Frankreichs und Großbritanniens – und sich der Kalte Krieg abzeichnete. Der Text der AEMR wurde von einer Kommission unter dem Vorsitz von Eleanor Roosevelt formuliert. Sie war die Witwe von Präsident Roosevelt und seit Langem Menschenrechtsaktivistin. Der Kommission gehörten 17 weitere Personen aus der ganzen Welt an. Bekannt wurden der Libanese Charles Malik, der Chinese Peng-chun Chang und der spätere erste Präsident des EGMR René Cassin. Sie sollten die vielen unterschiedlichen Sicht- und Denkweisen über Menschenrechte einbringen.

Dieser Prozess gestaltete sich schwierig. Daher wurde die Idee, festzuhalten, warum alle Menschen gleiche Rechte haben, aufgegeben. Dasselbe galt für die Frage der Verbindlichkeit und Durchsetzung der Rechte. Im Text selbst dominieren westliche Traditionen und Formulierungen. Ein Grund dafür ist, dass dazu die meisten Schriftdokumente und Vorlagen vorhanden waren.

Unter diesen Bedingungen wurde die AEMR bei der 3. Generalversammlung der UNO mit 48 Ja-Stimmen angenommen. Acht Staaten enthielten sich der Stimme (UdSSR samt Ukraine und Weißrussland, Jugoslawien, Polen, Saudi-Arabien, Südafrika, Tschechoslowakei). Staaten, die im Krieg unterlegen waren – darunter Österreich und Deutschland –, und all jene, die noch unter Kolonialherrschaft standen, waren nicht vertreten.

Die AEMR wurde als Erklärung beschlossen. Sie ist kein internationaler Vertrag, dem die Staaten beigetreten sind bzw. beitreten könnten, ihr kommt bis heute vor allem politische Bedeutung zu. Aus juristischer Sicht ist sie aber dennoch wichtig für die Auslegung von internationalen Abkommen zum Menschenrechtsschutz wie der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die nur zwei Jahre später unterzeichnet wurde (Grabenwarter 2020). Abgesehen davon wurde die AEMR zum Vorbild für viele neue Verfassungen, etwa jene Südafrikas 1996.

Was umfasst die AEMR?

Die AEMR umfasst eine Präambel und 30 Artikel. Die Präambel nimmt auf die Shoah und den Zweiten Weltkrieg Bezug, ohne diese direkt zu nennen. Sie formuliert den Auftrag, die Menschenrechte zu schützen und weiterzuentwickeln. Art. 1 und 2 betonen die Freiheit, Gleichheit und Würde aller Menschen. Art. 3 bis 5 formulieren die sogenannten Fundamentalgarantien, also das Recht auf Leben sowie das Verbot von Sklaverei und Folter.

Art. 6 bis 11 bestimmen, dass jeder Mensch überall Rechte hat und gleich behandelt werden soll. Sie verlangen die Garantie fairer Verfahren. Art. 12 regelt das Recht auf Privatleben. Art. 13 bis 15 proklamieren das Recht, seinen Staat zu verlassen und wieder zurückzukehren, das Recht auf Asyl und jenes auf Staatsangehörigkeit. Art. 16 sieht das Recht auf freie Eheschließung vor, Art. 17 jenes auf Eigentum. Die Art. 18 bis 21 proklamieren Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie politische Rechte.

Die Art. 22 bis 25 gehen auf die Rechte auf Arbeit, Erholung und soziale Sicherheit ein. Art. 26 und 27 bestimmen die Rechte auf Bildung und kulturelle Teilhabe. Art. 28 proklamiert das Recht auf eine soziale und internationale Ordnung, welche die Ausübung aller dieser Rechte ermöglich. Art. 29 betont, dass jeder Mensch auch Pflichten gegenüber der Gemeinschaft hat, "in der allein die freie und volle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit möglich ist".

Wie haben sich die Menschenrechte weiterentwickelt?

Die große moralische und politische Bedeutung, die der AEMR heute zugesprochen wird, ist Resultat einer Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Bis in die 1970er-Jahre wurde nur wenig Bezug auf sie genommen. Dafür gab es mehrere Gründe: Juristen – u. a. Hersch Lauterpacht – kritisierten die unkonkreten Formulierungen und die fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten (Morsink 1999). Politiker:innen sahen die Debatten über Menschenrechte zunehmend als Teil des Kalten Kriegs und der Dekolonisierung. So wurde schon während der Debatten über die AEMR die Betonung sozialer Rechte von westlichen und konservativen Politiker:innen kritisiert.

Diese Perspektiven schlugen sich in den Verhandlungen über die EMRK nieder, die 1950 von zwölf europäischen Staaten unterzeichnet wurde. Die EMRK sollte eine westliche Lebensordnung sicherstellen. Sie orientierte sich an der AEMR, betonte aber die Rechte auf Eigentum, Familie und Erziehung (Duranti 2017). Ein besonderes Gericht – der EGMR – sollte die Durchsetzung der Rechte sicherstellen. Damit wurde die EMRK zu einem lebendigen Instrument, das die Menschenrechte weiterentwickelte und nicht nur einen bestimmten Status bewahrte.

Die UNO-Mitglieder waren sich der Unzulänglichkeit der AEMR bewusst. Die weiteren Entwicklungen waren allerdings durch starke ideologische Gegensätze gekennzeichnet. Dabei ging es um die Spannung zwischen universellen Menschenrechten und dem Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten. Erst 1966 nahm die UNO-Generalversammlung den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Konsens an (Ridder 2015; 2022). Staaten, die diesen Pakten beigetreten sind, müssen dem UN-Menschenrechtsausschuss alle vier Jahre berichten, wie sie die darin festgehaltenen Verpflichtungen umsetzen.

Das internationale Bekenntnis zur AEMR wurde 1993 auf der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz bekräftigt. Auf ihrer Grundlage hat die UNO das Amt des Hochkommissars für Menschenrechte geschaffen. Seit Oktober 2022 hat der Österreicher Volker Türk dieses Amt inne.

Die AEMR hat Anlass zu vielen Debatten über die Universalität der Menschenrechte gegeben. So wird die AEMR etwa als Dokument eines westlichen und individualistischen Menschenbilds gesehen, das auch die moralische Überlegenheit des Westens betont. Damit gerät jedoch aus dem Blickwinkel, dass die AEMR, wie der Philosoph Jack Donnelly (1999) betont, zunächst eine Antwort auf jene Fälle ist, in denen der Westen beim Schutz der Menschenrechte versagt hat und immer wieder versagt. Zudem wird nicht darauf eingegangen, dass die AEMR niemandem einen bestimmten Lebensweg aufzwingt. Sie spricht jedem Menschen das Recht zu, selbst über die Gestaltung eines guten und freien Lebens in Gemeinschaft mit anderen zu entscheiden.

Welche Bedeutung hat die AEMR in Österreich?

Da Österreich erst am 14. Dezember 1955 als 70. Mitglied in die UNO aufgenommen wurde, war es an der Ausarbeitung und Beschlussfassung der AEMR nicht beteiligt. Dennoch knüpft bereits Art. 6 des Staatsvertrags von Wien 1955 implizit an die AEMR an: Er verpflichtet Österreich zu einem umfassenden Schutz der Menschenrechte und führt die grundlegenden Inhalte der AEMR an (Vašek 2020).

Die AEMR selbst wurde nie ins österreichische (Verfassungs-)Recht übernommen, worauf auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hingewiesen hat (siehe VfSlg 2030/1950 und 6260/1970). Allerdings wurden einzelne Rechte, wie sie die AEMR vorsieht, mit dem Beitritt Österreichs zur EMRK 1958 und ihrer Verankerung im Verfassungsrang 1964 zu österreichischem Verfassungsrecht. Zugleich wurden sie, wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hervorhebt (Grabenwarter 2020), zu einem wichtigen Bezugspunkt für österreichische Politiker:innen. Das kommt u. a. an einer Gedenktafel zum Ausdruck, die anlässlich des 50. Jahrestags der AEMR am Parlamentsgebäude angebracht wurde und Art. 1 AEMR zitiert.

Quellenauswahl

Arendt, Hannah (1955), Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft.

Danieli, Yael/Elsa Stamatopoulou/Calence Dias (1999), The Universal Declaration of Human Rights. Fifty Years and Beyond.

Donnelly, Jack (1999), Human Rights and Asian Values: A Defense of ,Western‘ Universalism, in: Bauer, Joanne R./Daniel A. Bell (Hrsg.), The East Asian Challenge for Human Rights, S. 60–87.

Duranti, Marco (2017), The Conservative Human Rights Revolution.

Glendon, Mary Ann (2001), A World Made New. Eleanor Roosevelt and the Universal Declaration of Human Rights.

Grabenwarter, Christoph (2020), Von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Pabel, Katharina/Markus Vašek (Hrsg.), Menschenrechte 1948/1958, S. 93–105.

Morsink, Johannes (1999), The Universal Declaration of Human Rights: Origins, Drafting, and Intent.

Nußberger, Angelika (2021), Die Menschenrechte. Geschichte, Philosophie, Konflikte.

Ridder, Peter (2015), Die Menschenrechtspakte.

Ridder, Peter (2022), Konkurrenz um Menschenrechte. Der Kalte Krieg und die Entstehung des UN-Menschenrechtsschutzes von 1965–1993.

Schmale, Wolfgang (2002), Grund- und Menschenrechte in vormodernen und modernen Gesellschaften Europas, in: Grandner, Margarete/Wolfgang Schmale/Michael Weinzierl (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte, S. 28–76.

Vašek, Markus (2020), Grund- und Menschenrechte in den Staatsverträgen von St. Germain und Wien, in: Pabel, Katharina/Markus Vašek (Hrsg.), Menschenrechte 1948/1958, S. 39–56.