Der EGMR stellte fest, dass derStandard durch die Verurteilung zur Offenlegung der Daten von Foren-NutzerInnen in seinem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit, insb. Pressefreiheit, verletzt wurde. Gerade für Medienunternehmen sei es essentiell, die zum Austausch von (kontroversen) Meinungen im Internet bedeutsame Anonymität von UserInnen auch selbst verteidigen zu können. Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe von Daten könne eine abschreckende Wirkung („chilling effect“) auf Online-KommentatorInnen und damit einhergehend deren Beteiligung an der öffentlichen Debatte haben, was indirekt wiederum die Pressefreiheit von Medienunternehmen selbst beträfe.
Die Offenlegung von NutzerInnen-Daten sei zwar grundsätzlich durch die im österreichischen E-Commerce-Gesetz vorgesehene Host-Provider-Haftung gedeckt, welche insb. mit dem Schutz vor Rufschädigung ein rechtmäßiges Schutzziel verfolge. Die Berufungsgerichte sowie der OGH hätten allerdings in beiden Fällen zu Unrecht eine begründete Abwägung zwischen den Interessen der betroffenen Politiker und Partei sowie von derStandard unterlassen. Die ständige Rechtsprechung des OGH, dass bei Provider-Haftungsfällen eine Interessenabwägung nicht im Verfahren gegen den Provider, sondern im Verfahren gegen die als AutorIn für das Kommentar verantwortliche Person selbst durchzuführen sei, könne nicht die Erforderlichkeit einer zumindest prima facie-Prüfung entkräften.
Der EGMR rief die etablierten Kriterien der Interessenabwägung zwischen dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) in Erinnerung und hielt erneut fest, dass gegenüber PolitikerInnen die Grenze akzeptabler Kritik weitergehend ist. So seien die gegenständlichen Kommentare zwar ausfällig und respektlos, aber nicht als Hassrede, Anstiftung zu Gewalt oder sonst offensichtlich unrechtmäßig, sondern als politische Rede im Rahmen einer politischen Debatte über Themen von öffentlichem Interesse – konkret das Verhalten sowie frühere Äußerungen der betroffenen Politiker bzw. Partei – zu qualifizieren.
Dem von derStandard zitierten Quellenschutz aufgrund des Redaktionsgeheimnisses (§ 31 Mediengesetz) erteilte der EGMR hingegen eine Absage. Die innerstaatlichen Berufungsinstanzen sowie der OGH hatten jegliche Verbindung zwischen der journalistischen Tätigkeit von derStandard und der großteils automatisierten Veröffentlichung von UserInnen-Kommentaren in den Online-Foren verneint. Der EGMR anerkannte zwar die bedeutende Rolle der Diskussionsforen zur Erfassung von benutzergenerierten Inhalten im Gesamtgefüge des Nachrichtenauftritts von derStandard im Sinne der Pressefreiheit. Die Kommentare (bzw. Informationen zu ihren AutorInnen) seien trotzdem nicht vom Redaktionsgeheimnis umfasst, da sich die UserInnen damit (und somit den darin enthaltenen Meinungen und Informationen) nicht exklusiv an JournalistInnen, sondern an die gesamte Öffentlichkeit richten würden.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer und französischer Sprache) sowie den Volltext der Entscheidung (in englischer Sprache).