Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Ausschussvorsitz im Deutschen Bundestag

Keine vorläufige Einsetzung von Vorsitzenden mehrerer Bundestagsausschüsse im Eilrechtsschutz (11. August 2022)

BVerfG 25.2.2022, 2 BvE 10/21

Die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag setzte sich rechtlich gegen die Abhaltung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden von drei Ausschüssen im Deutschen Bundestag zur Wehr. Parallel beantragte sie im Wege des Eilrechtsschutzes, die von ihr benannten Kandidat:innen vorläufig als Vorsitzende der Ausschüsse einzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lehnte diesen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Sachverhalt

Die Fraktionen des Deutschen Bundestages konnten sich zu Beginn der laufenden Legislaturperiode nicht auf die Verteilung der Ausschussvorsitze einigen, weshalb diese im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt wurden (dabei kann jede Fraktion nach Maß­gabe ihrer Stärke im Parlament auf den Vorsitz einzelner Ausschüsse zugreifen).

Die AfD-Fraktion griff im Zuge dieses Verfahrens auf den Vorsitz von drei Ausschüssen zu und schlug in deren konstituierenden Sitzungen je eine Kandidatin bzw. einen Kan­didaten für die Vorsitzführung vor. Bei – auf Antrag der Regierungsfraktionen durchge­führten – geheimen Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitzenden erhielten die von der AfD-Fraktion vorgeschlagenen Kandidat:innen nicht die erforderliche Mehrheit in den Ausschüssen. Derzeit werden diese von den stellvertretenden Vorsitzenden ge­leitet.

Die AfD-Fraktion (Antragstellerin) setzte sich im Hauptverfahren gegen die Abhaltung von Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitzenden zur Wehr. Sie erachtete sich in ihren Rechten auf Gleichbehandlung und auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sowie in ihrem Recht auf effektive Opposition verletzt. Im Wege des Eilrechtsschutzes beantragte sie zudem, die von ihr vorgeschlagenen Kandidat:innen vorläufig als Vorsitzende der drei Ausschüsse einzu­setzen.

Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG lehnte diesen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Das Hauptverfahren sei zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbe­gründet. Insbesondere werde im Hauptverfahren zu untersuchen sein, inwiefern die Rechtsordnung der Abhaltung von freien Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvor­sitzenden im gegebenen Kontext entgegenstehe bzw. inwiefern die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt sein könnte.

Doch hätte die im Eilrechtsverfahren vorzunehmende Folgenabwägung zum Ergebnis, dass die beantragte einstweilige Anordnung nicht zu erteilen sei. Dabei stellte das BVerfG die unterschiedlichen Szenarien – je nach Ausgang des Hauptverfahrens – einander gegenüber:

Im Fall, dass die beantragte einstweilige Anordnung nicht erginge, sich die Durchfüh­rung von Wahlen jedoch im Hauptverfahren für rechtswidrig erwiese, würden die drei Vorsitze (bis zum Abschluss des Hauptverfahrens) nicht von den Kandidat:innen der Antragstellerin geführt werden. Daraus folge aber keine schwerwiegende Behinderung der Antragstellerin, an der parlamentarischen Willensbildung teilzuhaben. Denn mit dem Ausschussvorsitz seien insbesondere keine eigenständigen parlamentarischen Kontrollrechte verbunden.

Umgekehrt führte die Erteilung der einstweiligen Anordnung bei nachträglicher Fest­stellung der Rechtskonformität der Abhaltung von Wahlen jedoch dazu, dass die drei Ausschüsse (bis zum Abschluss des Hauptverfahrens) von Personen geleitet würden, die offenkundig nicht das Vertrauen der Ausschüsse genießen. Dies könne die Arbeits­fähigkeit dieser Ausschüsse gefährden, da die jeweilige Ausschussmehrheit die Lei­tungshandlungen des bzw. der Vorsitzenden konterkarieren könne. Aufgrund der un­verzichtbaren Vorarbeit der Ausschüsse für das Plenum sei auch nicht auszuschließen, dass dies die Funktionsfähigkeit des gesamten Bundestages beeinträchtigen würde.

Zudem griffe eine vorläufige Bestimmung der Ausschussvorsitzenden durch das Ge­richt in gravierender Weise in die verfassungsgesetzlich gewährleistete Geschäftsord­nungsautonomie des Bundestages sowie das freie Mandat der Mehrheit der Ausschuss­mitglieder ein.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erscheine somit nicht als dringend geboten. Der Ausgang des Hauptverfahrens bleibt abzuwarten.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.