Fachinfos - Judikaturauswertungen 10.10.2019

Beschimpfung eines Politikers

Rechtfertigung durch die Meinungsäußerungsfreiheit in der politischen Debatte. OLG Wien 28.2.2018, 17 Bs 13/18p. (10. Oktober 2019)

Sachverhalt

Der Verein „Zeitschrift für internationale Solidarität“ veröffentlichte am 11. Oktober 2017 auf seiner Website einen Artikel, der eine Demonstration ankündigte. In den Artikel war ein Video eingebettet, auf dem mehrere Personen vor einem Plakat mit der Aufschrift „F*CK“ gegen die FPÖ und deren Parteiobmann Heinz-Christian Strache gerichtete politische Parolen schrien und dabei jeweils den Mittelfinger in die Kamera hielten. 

Der (damalige) Parteiobmann der FPÖ beantragte, dem Verein möge die Zahlung einer Entschädigung gemäß § 6 Abs. 1 MedienG auferlegt werden. Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, dass „F*CK Strache“ als pointierte Ausdrucksform gegen all das zu verstehen ist, wofür der Antragsteller politisch steht. Die Äußerungen und Gesten stünden im Gesamtkontext somit sinngemäß als verkürzter Ausdruck für den mit „Ich stimme nicht mit den durch die FPÖ und den Antragsteller verbreiteten und vertretenen Inhalten überein. Ich halte diese Inhalte für gefährlich und bin der Meinung, dass man dies und die Ablehnung der Inhalte auch öffentlich kundtun sollte.“ zusammenfassbaren Standpunkt, sohin für ein politisches Statement und nicht für eine Beleidigung der Person des Antragstellers.

Dagegen erhob der Antragsteller Berufung.

Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien

Das Oberlandesgericht Wien hegte keine Bedenken gegen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Aussagen auf der Website und im Video. Das Erstgericht habe zutreffend festgehalten, dass der Verein im diametralen Gegensatz zu den politischen Werten und Meinungen der FPÖ stehe und regelmäßig Informations- und Protestveranstaltungen gegen die von Strache geführte FPÖ als politischen Widerstand organisiere. Der von diesem Verein angesprochene Leser/innen/kreis erkenne sogleich, dass es sich bei der Veröffentlichung auf der Website um einen Aufruf zur gemeinsamen Demonstration und Manifestation gegen die Ziele und Werte der FPÖ und eine mögliche Regierungsbeteiligung am Ende des Vorwahlkampfes handle. Dabei sei unzweifelhaft auch die eigene politische Motivation sowie eigene Ziele und Werte dargestellt und scharfe Kritik an den gegenteiligen Positionen und Vertreter/inne/n der FPÖ geübt worden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) dürften auch solche Informationen oder Ideen, die den Staat oder eine Bevölkerungsgruppe beleidigen, schockieren oder stören, geäußert werden. Das gelte auch für die Form, in der Meinungen geäußert werden. Im Rahmen des Art. 10 EMRK seien auch scharf kritisierende Werturteile zulässig, sofern sie auf einer ausreichend faktischen Grundlage beruhen würden. Diesfalls seien auch beleidigende, schockierende und störende Werturteile hinzunehmen. In diesem Sinne habe der EGMR etwa die Bezeichnung als „Trottel“, „Kellernazi“ und als „Psychosekte mit totalitärem Charakter“ als zulässig angesehen. Unverhältnismäßig sei eine Meinung nur dann, wenn sie jeglicher Tatsachengrundlage entbehre.

Bei Politiker/inne/n seien die Grenzen zulässiger Kritik zudem weiter zu ziehen als bei Normalbürger/inne/n. Das Recht auf freie Meinungsäußerung bedeute zwar keinen Freibrief, den guten Ruf des Betroffenen herabzusetzen und ihn zu beleidigen. Doch könnten selbst Beschimpfungen im Rahmen politischer Debatten durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt sein, wenn ein entsprechender Sachbezug gegeben sei. 

Laut OLG Wien besteht ein solcher Sachbezug im vorliegenden Fall: Das Verständnis der Rezipienten fuße dabei im Gesamtkontext der Vorwahlsituation sowie der politisch am linken Rand extrem agierenden Bewegung des Vereins. „F*CK Strache“ sei zwar sicher nicht als künstlerische, aber – wenn auch derbe, knappe und einprägsame – pointierte Ausdrucksform gegen all das, wofür der Parteiobmann politisch stehe und als Aufruf zum Widerstand dagegen zu verstehen.

Nach der Rechtsprechung des EGMR sei dem kritischen Werturteil in der politischen Auseinandersetzung eine sehr weitreichende verfassungsrechtliche Privilegierung – aber keine schrankenlose Meinungs- und Kritikfreiheit – eingeräumt. Gegenüber Politiker/inne/n geäußerte (Un‑)Werturteile ohne einzelfallbezogen hinreichendes Tatsachensubstrat, Wertungsexzesse oder formale Ehrenbeleidung seien nicht gedeckt. Die Grenze sei dort zu ziehen, wo unabhängig von der zur Debatte gestellten politischen Verhaltensweise die persönliche Diffamierung des/der Betroffenen im Vordergrund stehe. Die getätigten Aussagen und Gesten würden keine bloß gegen die Person Straches gerichtete substratlose Diffamierung darstellen. Sie seien zweifelsfrei politischer Natur und würden eine Frage von öffentlichem Interesse behandeln, wobei eine ausreichend faktische Grundlage bestehe.

Vgl. zu diesem Verfahren die Fundstellen MR 2018, 57; jusIT 2019,17 und ZIIR 2019, 355, in denen Passagen der Entscheidung abgedruckt sind.