Das Dt. BVerfG entschied, dass der Präsident des Deutschen Bundestages den Antragsteller in seinem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt hat, weil die Polizei beim Deutschen Bundestag seine Abgeordnetenräume betreten hat.
Diese Bestimmung gewähre den Abgeordneten nämlich das Recht, die ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten ohne Beeinträchtigungen durch Dritte nutzen zu können. Die effektive Wahrnehmung des Mandats setze voraus, dass die Abgeordneten eine gewisse Infrastruktur nutzen könnten, ohne eine unberechtigte Wahrnehmung ihrer Arbeit durch Dritte befürchten zu müssen. Die Abgeordnetentätigkeit sei von kommunikativen Elementen und vom Umgang mit schriftlichen Unterlagen geprägt, die eine Meinungsbildung im parlamentarischen Prozess erst ermöglichen. Geistige Haltungen und politische Projekte würden regelmäßig in verkörperter Form entstehen; sie würden einen räumlichen Schutz benötigen, damit ihre Entfaltung nicht von vornherein Hemmnissen unterliege.
Müsste ein/e Abgeordnete/r jederzeit mit Maßnahmen dieser Art rechnen, bestünde von vornherein die latente Gefahr, dass Arbeitsentwürfe und Kommunikationsmaterial im Zuge solcher Maßnahmen wahrgenommen oder sichergestellt werden. Das könne etwa zur Folge haben, dass Dokumente oder die darin enthaltenen Gedanken nach außen dringen, obwohl sie nicht zur Verbreitung in der Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Freiheit des Mandats erfordere es jedoch gerade, dass der/die Abgeordnete über Art, Zeitpunkt und Umfang der Veröffentlichung seiner/ihrer Arbeitsinhalte selbst entscheide.
Ein Eingriff in diesen Abgeordnetenstatus (auch durch das Hausrecht oder die Polizeigewalt des Präsidenten) sei zulässig, wenn und soweit andere Rechtsgüter von Verfassungsrang – wie die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments – dies rechtfertigen. Das konkrete Betreten der Abgeordnetenräume würde diesen Anforderungen an einen Eingriff jedoch nicht genügen: Ob Abgeordnetenräume betreten werden dürften, bestimme sich nach der Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst der Polizei beim Deutschen Bundestag. Diese gestatte der Polizei beim Deutschen Bundestag das Betreten eines Raums zur Abwehr einer Gefahr.
Im konkreten Fall sei die Maßnahme aber nicht verhältnismäßig gewesen: Der Eingriff wiege schwer, denn es sei ein hochrangiges Rechtsgut – die Abgeordnetenrechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG – betroffen. Das freie Mandat sichere die freie Willensbildung der Abgeordneten und damit eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wähler/inne/n. Es diene auch dazu, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages insgesamt zu gewährleisten. Dabei stelle die räumliche Integrität eines Abgeordnetenbüros ein wichtiges Element der freien Mandatsausübung dar. Frei von Hemmnissen sei die Mandatsausübung nur dann, wenn der/die Abgeordnete innerhalb seiner/ihrer Büroräume von vornherein nicht – beziehungsweise nur unter Wahrung hoher Voraussetzungen – mit Zugriffen Dritter rechnen müsse.
Die Absicht, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages durch die Abwehr äußerer Gefahren zu sichern, wiege nicht schwerer als die Sicherung der Funktionsfähigkeit durch die Gewährleistung der Integrität der Abgeordnetenbüros. Darüber hinaus seien die Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage nur schwach ausgeprägt gewesen. Zum Zeitpunkt des Betretens der Abgeordnetenräume sei nicht ersichtlich gewesen, dass Passant/inn/en die Plakatierungen bereits wahrgenommen hätten. Die Polizei beim Deutschen Bundestag habe keinen ersichtlichen Anhaltspunkt gehabt, um anzunehmen, dass jemand bereits im Begriff gewesen sei, Handlungen zum Nachteil des Parlamentsgebäudes oder der Parlamentsmitarbeiter/innen vorzunehmen.
Unabhängig davon sei das Provokationspotential gering gewesen, denn die Plakatierungen seien nur eingeschränkt wahrnehmbar gewesen. Sie seien in einem Format gehalten gewesen, das sich bezogen auf die Außenfassade eines Bürokomplexes als äußerst kleinformatig darstellte. Außerdem habe (durch das Anbringen im obersten Stockwerk des Gebäudes) eine gewisse räumliche Distanz zu den Passant/inn/en bestanden.
Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.