Fachinfos - Judikaturauswertungen 15.12.2022

Bild eines Politikers als Zitat für Aufruf zu Gegendemonstration

OGH 24.5.2022, 4 Ob 37/22b

Ein Verein (die Beklagte) nutzte ein Foto eines Klubobmannes – ohne Zustimmung der Rechteinhaber:innen – in den sozialen Medien für den Aufruf zu einer Gegendemonstration. Dagegen erhob der parlamentarische Klub des betreffenden Klubobmannes urheberrechtliche Unterlassungsansprüche. Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied nun, dass die Verwendung des Bildes als Zitat nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) im politischen Meinungsstreit vor dem Hintergrund des Rechts auf freie Meinungsäußerung zulässig war.

Sachverhalt

Ein Fotograf erstellte für den Kläger, einen Parlamentsklub, ein Bild mit einem Portraitfoto ihres Klubobmannes samt Hintergrund und übertrug ihr ein umfangreiches Werknutzungsrecht an dem Bild. Das Bild wurde noch mit einem Text versehen, wonach der abgebildete Politiker an einer Demonstration teilnehmen werde. Die Beklagte verwendete Teile dieses Bilds in einem Internet Posting, in dem sie über große Teile des Portraitfotos und über Teile des Textes Balken und Schriftzüge einfügte, in denen zu einer Gegendemonstration aufgerufen wurde. In einem Balken stand: „Nie wieder Faschismus!“. Dem Begleittext des Postings war die Behauptung zu entnehmen, dass der Kläger Neonazis zur Teilnahme an der Demonstration mobilisieren würde.

Der Kläger begehrte in seiner Klage, der Beklagten die Vervielfältigung und öffentliche Zurverfügungstellung des Bildes im Internet zu verbieten sowie die Zahlung von € 300,–. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, da ein Werk im Sinne von § 3 Abs. 2 UrhG vorliege und die Nutzung durch die Beklagte weder ein Zitat nach § 42f UrhG noch Berichterstattung über ein Tagesereignis im Sinne des § 42c UrhG darstelle, weshalb die Veröffentlichung ein Eingriff in die Rechte eines Lichtbildherstellers nach § 74 UrhG sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten statt und wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Posting ein neues Werk im Sinne von § 5 Abs. 2 UrhG sei.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Der OGH bestätigte den Spruch des Berufungsgerichts, allerdings mit abweichender Begründung:

Zunächst hielt der OGH fest, dass die Verwendung des Bildes keine Neuschöpfung nach § 5 Abs. 2 UrhG darstellt. Jedoch handle es sich bei der Nutzung des Bildes durch die Beklagte um ein zulässiges Zitat im Sinne des § 42f UrhG. Ein solches müsse erkennbar der Auseinandersetzung mit dem übernommenen Werk dienen, etwa als Beleg oder Hilfsmittel der eigenen Darstellung (Zitat- und Belegfunktion). Zudem dürfe das Zitat eines geschützten Werks nicht derart umfangreich sein, dass es die normale Verwertung des Werks beeinträchtige. Das Zitatrecht sei im Wege der verfassungskonformen Interpretation unter Bedachtnahme auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK auszulegen. Zu berücksichtigen sei somit unter anderem auch, ob die Verneinung der freien Werknutzung als Zitat einem sozialen Bedürfnis im Sinne der Judikatur der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) diene.

Der OGH erachtete die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Zitats in diesem Fall aus folgenden Gründen für erfüllt: Aus dem Slogan „Nie wieder Faschismus“ in Verbindung mit dem Begleittext sei nicht abzuleiten, dass dem Klubobmann vorgeworfen werde, er würde die Ideologie des Faschismus vertreten. Die Äußerungen seien vielmehr darauf bezogen, dass auch „Neonazis“ auf die Straße gehen würden. Somit liege auch keine Herabsetzung eines politischen Gegners durch unwahre Behauptungen vor, die der Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung entgegenstünde. Die Beklagte habe sich durch das Posting zudem kritisch mit dem Demonstrationsaufruf des Klägers auseinandergesetzt. Außerdem sei die normale Verwertung des Werks durch den Kläger durch die Verwendung seitens der Beklagten nicht ungebührlich beeinträchtigt. Schließlich würde eine Verneinung der freien Werknutzung auch keinem dringenden sozialen Bedürfnis in einer demokratischen Gesellschaft dienen, stelle doch die Freiheit der politischen Diskussion das Herzstück einer demokratischen Gesellschaft dar.

Der OGH thematisierte außerdem auch die (strittige) Frage, ob das Recht auf freie Meinungsäußerung einem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch entgegenstehen bzw. einen Urheberrechtseingriff „per se“ rechtfertigen könne. Eine solche, sich unmittelbar aus der Verfassung ergebende Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht habe der OGH in Bezug auf Äußerungen im politischen Diskurs mehrfach bejaht. In der Literatur werde dies jedoch kritisch beurteilt, weil ein Urheberrechtseingriff ein Eigentumseingriff sei und einem Aufbrechen des geschlossenen Katalogs von freien Werknutzungen das Grundanliegen auf Rechtssicherheit entgegenstehe. Da im gegenständlichen Fall jedoch ohnehin ein zulässiges Zitat gemäß § 42f UrhG vorliege, sei eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage nicht erforderlich.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.