Fachinfos - Judikaturauswertungen 12.04.2021

Deutschland: Covid-19 und (Landtags-)Wahlen

Unterschiede in der Herabsetzung des Unterschriftenquorums für Wahlvorschläge. VerfGH Rheinland-Pfalz 28.1.2021, VGH O 82/20 u.a. und VerfGH Berlin 17.3.2021, VerfGH 4/21 u.a. (12. April 2021)

Sachverhalt

Der Landtag Rheinland-Pfalz nahm im Dezember 2020 im Hinblick auf mögliche Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Landtagswahl im März 2021 eine Änderung des Landeswahlgesetzes vor. Neben einer (flächendeckenden) Einführung der Briefwahl wurde auch die Sammlung von Unterstützungserklärungen für die Einreichung von Wahlvorschlägen durch nicht im Landtag vertretene Parteien erleichtert: Die Zahl der notwendigen Unterstützungsunterschriften wurde auf allen Wahlkreisebenen um 75 % gesenkt. Für die Landesliste wurde diese Zahl also von 2.080 auf 520 reduziert. Die nicht im Landtag von Rheinland-Pfalz vertretene Partei Liberal-Konservative Reformer bekämpfte diese Senkung vor dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (VerfGH R.-Pf.) als unzureichend.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs Rheinland-Pfalz

Die Klage wurde zurückgewiesen. Wie schon der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom November 2020 (siehe dazu die Judikaturauswertung 4. Qu./2020/Nr. 15), stellte der VerfGH R.-Pf. ab auf die Chancengleichheit der Parteien und die Wahlrechtsgleichheit einerseits und andererseits auf die Notwendigkeit, durch Unterstützungserklärungen die Ernsthaftigkeit der Bewerbungen, den integrativen Charakter der Wahl und die Funktionsfähigkeit des Landtages zu sichern. Die Senkung der erforderlichen Unterschriftenzahl um 75% sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es bestehe keine Verpflichtung, die Sammlung von Unterschriften wegen der weitgehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens gänzlich abzuschaffen. Das Internet biete nämlich auch neue Arten der Ansprache von Bürger/inne/n. Außerdem würden die vorgelegten 300 Unterschriften und die von anderen Bewerber/inne/n vorgelegten Unterschriften im vierstelligen Bereich zeigen, dass Sammlungen auch unter den erschwerten Bedingungen möglich seien. Auch ein Vergleich der pandemiebedingten Senkung um 60% bzw. 50% in anderen Bundesländern zeige, dass die in Rheinland-Pfalz vorgenommene Senkung von 75% sehr deutlich sei: Die abgesenkte Zahl ergäbe bei über mehr als 3 Millionen Wahlberechtigten ein Unterschriftenquorum von etwa 0,017 Prozent.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.

VerfGH Berlin 17.3.2021, VerfGH 4/21 u.a.

Einen parallel gelagerten Fall hatte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin zu entscheiden:

Sachverhalt

Im Land Berlin werden am 26. September 2021 die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen stattfinden. Gemäß dem Landeswahlgesetz müssen Parteien, die derzeit nicht in den genannten Organen vertreten sind, ihre Wahlvorschläge von einer bestimmten Zahl von Wahlberechtigten persönlich und handschriftlich unterzeichnen lassen. Im Fall von Landeslisten müssen das regulär mindestens 2.200 Personen sein. Die Sammlung dieser Unterschriften ist zwischen 27. September 2020 und 20. Juli 2021 möglich. Mit Gesetzesänderung vom 23. Februar 2021 wurden für die Wahlen im Jahr 2021 die Unterstützungszahlen auf allen drei Ebenen (Land, Kreis und Bezirk) um etwa 50 % gesenkt. Damit wurde das Unterschriftenquorum auf Landesebene mit ca. 0,04 %, auf Kreisebene mit ca. 0,08 und auf Bezirksebene mit ca. 0,05 % festgelegt. Dagegen wandten sich vier Parteien an den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin (VerfGH Berlin) und machten mit Verweis auf die 75 %ige Senkung der Unterschriftenquoren in Rheinland-Pfalz geltend, dass die Senkung in Berlin den veränderten tatsächlichen und gesetzlichen Gegebenheiten aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht ausreichend Rechnung trage. Sie beantragten eine Herabsetzung auf 10 % bzw. zumindest 25 % oder die Aussetzung dieser Anforderung für die Wahlen 2021.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofes des Landes Berlin

Dem VerfGH Berlin zufolge verletzen die Regelungen des Landeswahlgesetzes zu den Unterschriftenquoren die Rechte auf Chancengleichheit der (antragstellenden) Parteien und das Recht auf Gleichheit der Wahl. Den außergewöhnlichen Bedingungen der Corona-Pandemie sei nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Schon der bisherige Sammelzeitraum von sechs Monaten sei von Kontaktbeschränkungen geprägt gewesen. Mit Blick auf die geringe Impfquote und dem Auftreten von Virus-Mutationen sei auch für den restlichen Sammelzeitraum von vier Monaten keine Verbesserung des Infektionsgeschehens absehbar. Auch wenn in der aktuellen Corona-Verordnung des Landes Berlin Ausnahmeregelungen für politische Tätigkeiten enthalten seien, sei die Kontaktaufnahme mit Bürger/inne/n im öffentlichen Raum sehr erschwert. Das Werben um Unterschriften im Internet sei vergleichsweise nicht so erfolgversprechend wie der persönliche Kontakt. Deshalb dürfe der Gesetzgeber maximal 20 bis 30 % der bisher zu leistenden Unterschriften für die Einbringung der Wahlvorschläge festlegen. Der Antrag auf Aussetzung der Unterschriften-Regelung wurde vom VerfGH Berlin jedoch zurückgewiesen.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.