Die Sperrklausel verstoße in ihrer geltenden Form aber gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit. Zwar könne eine Beeinträchtigung dieses Grundsatzes mit dem Ziel gerechtfertigt sein, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestags zu sichern. Dafür sei eine Sperrklausel in Höhe von fünf Prozent grundsätzlich ein geeignetes Mittel. Unter den gegenwärtigen tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen sei die konkrete Ausgestaltung der Sperrklausel jedoch nicht in vollem Umfang erforderlich:
Zur Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages sei es nicht notwendig, eine Partei bei der Sitzverteilung unberücksichtigt zu lassen, deren Abgeordnete eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten einer anderen Partei bilden würden, wenn beide Parteien gemeinsam das Fünf-Prozent-Quorum erreichen würden.
Konkret bestehe die Möglichkeit, dass die CSU bei der nächsten Bundestagswahl die bundesweite Sperrklausel nicht überschreiten werde. Im Fall ihrer Berücksichtigung bei der Sitzverteilung würden ihre Abgeordneten jedoch hinreichend sicher eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten der CDU bilden. Grundlage hierfür sei eine auf Dauer angelegte Kooperation der beiden Parteien, die sich durch drei Elemente auszeichne: (1.) die Absicht, aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele eine Fraktion zu bilden, (2.) den Umstand, dass schon bisher (seit 1949) eine solche gemeinsame Fraktion im Bundestag bestand, und (3.) den Verzicht auf Wettbewerb untereinander, indem Landeslisten nur in unterschiedlichen Ländern eingereicht werden.
Das Ziel der Sperrklausel werde in gleicher Weise erreicht, wenn die Zweitstimmenergebnisse von Parteien, die in dieser Form kooperieren, gemeinsam berücksichtigt werden. Diese Kooperation gehe über ein reines Wahlbündnis hinaus, sie betreffe unmittelbar die Tätigkeit im Bundestag selbst und umfasse sämtliche Parlamentsfunktionen. Werden diese beiden Parteien bei der Anwendung der Sperrklausel gemeinsam berücksichtigt, stelle dies zwar eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Parteien dar. Diese Ungleichbehandlung sei aber jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn sie auf Parteien beschränkt ist, die alle drei genannten Voraussetzungen erfüllen.
Im Ergebnis verletze die Bestimmung der Fünf-Prozent-Sperrklausel den Grundsatz der Wahlgleichheit sowie die CSU in ihrem Recht auf Chancengleichheit.
Angesichts der bevorstehenden Wahl des nächsten Bundestages könne eine verfassungskonforme Neuregelung aber möglicherweise nicht rechtzeitig erfolgen. Das BVerfG ordnete daher an, dass bis zu einer gesetzlichen Neuregelung die Sperrklausel mit der Maßgabe fortgelte, dass eine Partei, die bundesweit weniger als fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten hat, nur dann nicht berücksichtigt wird, wenn ihre Bewerber:innen in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen erlangt haben. Damit gilt die Grundmandatsklausel also fort, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung getroffen hat.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.