Die Beschwerdeführerin ist lettische Staatsbürgerin und war bis 1991 hochrangige Funktionärin der kommunistischen Partei Lettlands (KPL). Die KPL wurde in Folge der Unabhängigkeitserklärung Lettlands von der Sowjetunion aufgrund mehrerer Versuche eines Staatsstreichs 1991 für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst. Die Beschwerdeführerin war nach der Auflösung der KPL politisch weiter aktiv und von 2004 bis 2024 Abgeordnete zum Europäischen Parlament (EP).
Sie hatte 1998 und 2002 eine Kandidatur bei den lettischen Parlamentswahlen angestrebt, diese war ihr jedoch untersagt worden. Die lettische Wahlbehörde berief sich hierbei auf Art. 5 Abs. 6 des Parlamentswahlgesetzes, wonach Personen, die sich – wie die Beschwerdeführerin – nach dem 13. Jänner 1991 (erster Staatsstreich) noch an Aktionen der KPL beteiligt hatten, vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sind. In Folge ihres Ausschlusses von der Kandidatur im Jahr 2002 hatte sich die Beschwerdeführerin an den EGMR gewandt und geltend gemacht, dass Art. 5 Abs. 6 des Parlamentswahlgesetzes das Recht auf freie Wahlen gemäß Art. 3 des 1. ZP zur EMRK verletze. Der EGMR stellte daraufhin jedoch fest, dass die angefochtene Bestimmung keine Verletzung des Rechts auf freie Wahlen nach der EMRK darstelle (EGMR 16.03.2006, 58278/00 [GK], Ždanoka gg. Lettland). Der Ausschluss vom Wahlrecht diene legitimen Zwecken und sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Bestimmung müsse auf die individuellen politisch-historischen Umstände im Mitgliedstaat abgestellt werden, wobei diesem hierbei ein Beurteilungsspielraum zukomme. Dieser sei im konkreten Fall nicht überschritten worden. Der damit grundsätzlich konventionskonforme gesetzliche Ausschluss vom Wahlrecht sei allerdings vom lettischen Parlament regelmäßig auf seine weitere Zweck- und Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen.
Im Jahr 2018 wurde der Beschwerdeführerin eine Kandidatur für die Union russischer Parteien ("Latvijas Krievu savienība") bei den Parlamentswahlen erneut verweigert. Auch das lettische Verfassungsgericht bestätigte Art. 5 Abs. 6 des Parlamentswahlgesetzes als verfassungskonform, legte diesen aber dahingehend neu aus, dass auch die konkrete Gefahr, die von der betroffenen Person gegenwärtig noch ausgehe, im Verfahren über den Ausschluss zu berücksichtigen sei.
Die Beschwerdeführerin wandte sich daraufhin mit der vorliegenden Beschwerde erneut an den EGMR, wobei sie sich weitgehend auf dieselben Beschwerdegründe stützte wie zuvor. Zusätzlich brachte sie vor, dass Lettland es verabsäumt habe, eine regelmäßige Überprüfung der weiteren Zweck- und Verhältnismäßigkeit der Bestimmung vorzunehmen. Ein Ausschluss von der Kandidatur bei nationalen Parlamentswahlen aufgrund von Vorfällen, die bereits rund 30 Jahre zurücklagen, könne nicht mehr als verhältnismäßig beurteilt werden. Die nunmehr im Ausschlussverfahren zusätzlich geforderte Bewertung der gegenwärtigen Gefahr, die von der politischen Tätigkeit der:des Betroffenen ausgeht, sei für die Beschwerdeführerin unvorhersehbar gewesen; diese Bewertung erfolge zudem willkürlich.