Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.07.2020

Erfolgloser AfD-Eilantrag

Eilantrag gegen die Abberufung des Vorsitzenden des Rechtsausschusses abgelehnt. Dt. BVerfG 4.5.2020, 2 BvE 1/20 (8. Juli 2020)

Sachverhalt

Der Vorsitz des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (Rechtsausschuss) des 19. Deutschen Bundestages stand nach einer Vereinbarung im Ältestenrat der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) zu. Diese schlug den Abgeordneten Brandner vor, den der Rechtausschuss sodann auch zum Vorsitzenden wählte.

Der Ausschussvorsitzende Brandner rief wiederholt durch das Weiterleiten fremder Beitrage und durch eigene Beiträge auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ öffentliche Empörung hervor. Daraufhin beantragten die Obleute der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen die Abberufung des Ausschussvorsitzenden Brandner. Der Vorsitzende repräsentiere den Rechtsausschuss und sei dabei den Werten des Grundgesetzes (GG) wie Demokratie, Respekt, Toleranz und Vielfalt verpflichtet. Die Vereinbarung des Ältestenrates habe weiterhin Bestand, es liege an der AfD, eine neue Person zu nominieren, die dem Amt gerecht werde.

Die AfD erwiderte, dass es keine rechtliche Grundlage in der Geschäftsordnung für die Abwahl des Ausschussvorsitzenden gebe. Außerdem sei der Vorsitz stets professionell geführt worden. Die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses sei zu keiner Zeit gefährdet gewesen. Für Äußerungen außerhalb der Sitzungen gebe es keinen Anspruch auf verbale Mäßigungen. Die Äußerungen des Vorsitzenden in den sozialen Medien seien für jedermann leicht erkennbar nicht in seiner Funktion als Vorsitzender, sondern als Bürger und Parteipolitiker getätigt worden.

Mit 37 Ja-Stimmen gegen sechs Nein-Stimmen berief der Rechtsausschuss den Abgeordneten Brandner als Vorsitzenden ab. Die Leitung des Rechtsausschusses übernahm der stellvertretende Ausschussvorsitzende, ein Abgeordneter der CDU/CSU.

Am 7. Februar 2020 beantragte die AfD-Fraktion (Antragstellerin) beim Deutschen Bundesverfassungsgericht (Dt. BVerfG) festzustellen, dass der Rechtsausschuss sowie der Deutsche Bundestag gegen die Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG – Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion sowie Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – und gegen deren aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG folgendes Recht auf effektive Opposition verstoßen hätten. Denn der Rechtsausschuss (als Teilorgan des Deutschen Bundestages) habe den von der Antragstellerin entsandten Abgeordneten Brandner als Ausschussvorsitzenden „abgewählt“. Außerdem stellte sie – unter Berufung auf dieselben Bestimmungen – den Antrag, festzustellen, dass der Deutsche Bundestag gegen die Rechte der Antragstellerin verstoße, weil er es dem Abgeordneten Brandner unmöglich mache, seine Rechte und Pflichten als Vorsitzender des Rechtsausschusses tatsächlich wahrzunehmen. Diesen Zustand möge das Dt. BVerfG im Wege einer einstweiligen Anordnung regeln.

Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts

Nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) kann das Dt. BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Das Dt. BVerfG führte zum Eilantrag aus, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren einen erheblichen Eingriff in Autonomie und originäre Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane bedeute. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG sei daher grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens müsse das Dt. BVerfG die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.

Den Fraktionen im Deutschen Bundestag käme ein Recht auf gleiche Teilnahme an der parlamentarischen Willensbildung zu. Grundsätzlich müsse jeder Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in sich die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln. Im vorliegenden Fall gehe es aber nicht um die Verweigerung eines Ausschussvorsitzes durch die Geschäftsordnung selbst, sondern um einen Posten, der der Antragstellerin grundsätzlich zustehe. Eine Beeinträchtigung des Teilnahmerechts sei durch die Abwahl daher nicht ausgeschlossen.

Gegenstand des Verfahrens sei nicht die Rechtsposition eines/einer einzelnen Abgeordneten, sondern die der Antragstellerin als Bundestagsfraktion. Ihr stehe die Möglichkeit offen, andere Personen für den Vorsitz des Rechtsausschusses zu nominieren und auf diese Weise ihre Beeinträchtigung selbst zu verringern. Es sei nachvollziehbar, dass die Antragstellerin nicht irgendwelche Personen nominieren wolle. Es sei jedoch nicht zutreffend, dass sie dadurch an der Erfüllung ihrer Oppositionsaufgaben vollständig gehindert wäre.

Ob eine Beeinträchtigung der vorgenannten Rechtspositionen vorliege und unter welchen Voraussetzungen sie gegebenenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden könnte, sei nicht ohne Weiteres zu beantworten. Dies müsse im Hauptsacheverfahren geprüft werden. Die wegen des offenen Verfahrensausgangs zu treffende Interessenabwägung führe zur Ablehnung des Eilantrags.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.