Fachinfos - Judikaturauswertungen 18.07.2025

EuG: EP muss trotz anhängigen Verfahrens Zugang zu Dokumenten gewähren

EuG 9.7.2025, T-1031/23, Kaili gg. Parlament

Das Europäische Parlament (EP) hatte der Klägerin, einer Abgeordneten zum EP, den Zugang zu Dokumenten betreffend Unregelmäßigkeiten bei der Handhabung parlamentarischer Vergütungen an akkreditierte parlamentarische Assistent:innen durch Abgeordnete verweigert. Der Zugang würde den Schutz eines anhängigen Gerichtsverfahrens beeinträchtigen, das ein Verfahren zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Klägerin aufgrund von Ermittlungen im Zusammenhang mit der Handhabung parlamentarischer Vergütungen betraf. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) sprach aus, dass der Schutz dieses Gerichtsverfahrens nicht beeinträchtigt würde, weil der Gegenstand der angeforderten Dokumente ein anderer sei als jener des Gerichtsverfahrens und die Dokumente keine internen Positionen des EP zu den im Verfahren strittigen Punkten enthielten. Der bloße Umstand, dass die Dokumente als Beweismittel im Gerichtsverfahren verwendet werden könnten, sei nicht ausreichend. Durch die Gewährung des Zugangs würde weder der Grundsatz der Waffengleichheit noch die geordnete Rechtspflege im anhängigen Verfahren beeinträchtigt.

Sachverhalt

Aufgrund von Ermittlungen betreffend die Handhabung parlamentarischer Vergütungen war beim EP die Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Klägerin beantragt worden. Diese hatte dagegen Klage beim EuG eingereicht (Rechtssache T-46/23). In der Folge beantragte sie beim EP Zugang zu Dokumenten in allen Fällen, die Unregelmäßigkeiten bei der Handhabung bestimmter Vergütungen durch Abgeordnete betrafen.

Das EP verweigerte den Zugang zu diesen Dokumenten mit der Begründung, dass sonst der Schutz des – damals noch anhängigen – Gerichtsverfahrens beeinträchtigt würde (inzwischen wurde die Klage abgewiesen). Es stützte sich dabei auf die Ausnahme für den "Schutz von Gerichtsverfahren" gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission. Nach Ansicht des EP würde eine Herausgabe zum einen den Grundsatz der Waffengleichheit und zum anderen die ordnungsgemäße Rechtspflege im anhängigen Gerichtsverfahren verletzen.

Gegen diese Entscheidung des EP richtete sich die Klage im vorliegenden Fall.

Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union

Das EuG gab der Klägerin Recht und erklärte die Entscheidung des EP für nichtig.

In der vom EP herangezogenen Ausnahmebestimmung gehe es um den Schutz von Schriftstücken, die für ein bestimmtes Gerichtsverfahren erstellt wurden, aber auch um solche, die die Waffengleichheit vor Gericht beeinträchtigen können, weil sie interne Positionen beinhalten. Dafür sei es aber erforderlich, dass die Dokumente den Standpunkt des betreffenden Organs zu strittigen Fragen erkennen lassen, die im Gerichtsverfahren aufgeworfen werden.

Die im konkreten Fall angeforderten Dokumente beträfen die Verwaltungstätigkeit des Parlaments und seien nicht für die Zwecke eines konkreten Gerichtsverfahrens erstellt worden. Der Gegenstand der Dokumente sei zudem ein anderer als jener des anhängigen Verfahrens – nämlich der Umgang des Parlaments mit Unregelmäßigkeiten bei der Handhabung bestimmter Vergütungen durch Abgeordnete. Die Dokumente enthielten auch keine internen Positionen des EP zu den strittigen Fragen. Der bloße Umstand, dass die Dokumente als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren genutzt würden, reiche für die Verweigerung des Zugangs nicht aus. Der Zugang zu den angeforderten Dokumenten sei nicht geeignet gewesen, die Waffengleichheit im Verfahren T‑46/23 zu beeinträchtigen.

Im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Rechtspflege und die Integrität der Gerichtsverfahren führte das EuG aus, dass gerichtliche Tätigkeiten vom Recht auf Zugang zu Dokumenten ausgenommen seien – um sicherzustellen, dass die gerichtlichen Tätigkeiten in einer ruhigen Atmosphäre und ohne Druck von außen stattfinden. Die Verordnung Nr. 1049/2001 könne nicht als Mittel zur Vorlage von Beweisen dienen. Ein Antrag auf Zugang zu Dokumenten müsse vom EP dennoch objektiv und im Lichte aller Umstände des Falles, insbesondere des Inhalts der Dokumente, geprüft werden.

Die bloße Gewährung des Zugangs zu den angeforderten Dokumenten, die im Gerichtsverfahren vorgelegt werden könnten, beeinträchtige allein aus diesem Grund noch nicht die ordnungsgemäße Anwendung der Verfahrensordnung. Angesichts der Umstände des Falles und insbesondere des Inhalts der angeforderten Dokumente – deren Zugänglichmachung den Grundsatz der Waffengleichheit wie ausgeführt nicht beeinträchtige – könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Zugang zu den Dokumenten dazu führen würde, dass die gerichtlichen Tätigkeiten einem Druck von außen ausgesetzt würden und die Ruhe des Verfahrens gestört würde. Der Zugang zu den anforderten Dokumenten beeinträchtige daher auch nicht die ordnungsgemäße Rechtspflege in der Rechtssache T-46/23.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (in englischer Sprache).