Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2023

EuG: Weigerung des Schutzes der Immunität nicht anfechtbar

EuG 5.7.2023, T-115/20, Puigdemont i Casamajó und Comín i Oliveres gg Parlament

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Nichtigerklärung der Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP), die in einem Schreiben von ihm enthalten gewesen sein soll und als Antwort auf eine Anfrage zur Verteidigung ihrer Immunität dienen sollte. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) stellte jedoch fest, dass die angefochtene Handlung des Präsidenten keine rechtliche Wirkung entfaltete und somit nicht angefochten werden konnte.

Sachverhalt

Zwei katalanische Politiker wurden 2019 ins EP gewählt, jedoch wurde ihre Immunität nicht anerkannt. Grund dafür war die Beteiligung der beiden am Unabhängigkeitsreferendum 2017 in Katalonien, weswegen sie angeklagt und daraufhin aus Spanien geflohen waren. Sie beantragten nach ihrer Wahl ins EP beim Präsidenten des EP, ihre parlamentarische Immunität zu verteidigen. Der Präsident lehnte ihren Antrag jedoch in einem Schreiben vom Dezember 2019 ab, in dem er im Wesentlichen erklärte, dass sie nicht als Mitglieder des Parlaments angesehen werden könnten, da die spanischen Behörden ihre Wahl nicht offiziell mitgeteilt hätten. Er verwies auch auf Rechtsprechung des EuG sowie des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH).

Daraufhin erhoben die Kläger Klage beim EuG und beantragten die Nichtigerklärung des Schreibens des Präsidenten. Sie machten geltend, dass der Präsident des EP seine Befugnisse überschritten habe, indem er ihren Antrag abgelehnt habe, ohne ihn dem zuständigen Ausschuss vorzulegen oder ihn im Parlament anzukündigen. Sie behaupteten zudem, dass eine Entscheidung des Parlaments zur Verteidigung ihrer Immunität rechtliche Wirkungen gegenüber den nationalen Gerichten entfalten würde.

Das EP hat daraufhin die Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Es berief sich auf ein Verfahrenshindernis, weil keine anfechtbare Handlung im Sinne des Art. 263 AEUV vorliege. Das Parlament machte in erster Linie geltend, dass der angefochtene Rechtsakt rein informativen Charakter habe. Ferner machte es geltend, dass der Präsident des EP nicht die Absicht gehabt habe, einen endgültigen Standpunkt einzunehmen. Gemäß Art. 9 Abs. 1 der Geschäftsordnung des EP gäbe der Präsident, wenn ein Abgeordneter Antrag auf Schutz der Vorrechte und Befreiungen stellt, diesen Antrag im Plenum bekannt und überweise ihn an den zuständigen Ausschuss. Es sei unstrittig, dass die angefochtene Handlung lediglich eine Folgemaßnahme zum Antrag auf Schutz der Immunität der Kläger gewesen sei, da sie weder im Parlament angekündigt noch an den zuständigen Ausschuss überwiesen worden sei.

Das EP fügte hinzu, dass die nationalen Rechtsakte, welche sich laut den Klägern aus dem angefochtenen Rechtsakt ergäben, von den spanischen Behörden allein nach nationalem Recht autonom erlassen worden seien. Zudem hielt das EP fest, dass seine Geschäftsordnung keine rechtlichen Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründen könne.

Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union

Nach der Rechtsprechung stelle die Antwort eines EU-Organs auf ein Ersuchen nicht zwangsläufig einen Beschluss im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV dar, welcher eine Nichtigkeitsklage ermögliche. Jedoch stelle eine Ablehnung eine Handlung dar, gegen die eine Nichtigkeitsklage erhoben werden kann, sofern die Handlung, deren Erlass das EU-Organ ablehnt, selbst nach dieser Bestimmung hätte angefochten werden können. Das EuG musste somit klären, ob der abgelehnte Erlass Rechtswirkung entfaltet hätte.

Da die Kläger geltend machten, dass die Rechtsprechung nicht auf den Schutz der Immunität übertragen werden könne, sondern die Kompetenz auf der ausschließlichen Zuständigkeit des EP für die Aufhebung dieser Immunität nach Art. 9 Abs. 3 des Protokolls Nr. 7 oder alternativ auf einem nationalen Gesetz basiert, prüfte das EuG beide Varianten.

Im Ergebnis stellte es jedoch fest, dass das Parlament in diesem Fall nicht die ausschließliche Zuständigkeit hat, sondern dass diese Frage von den nationalen Gerichten beurteilt werden muss.

Das EuG wies zudem darauf hin, dass die Immunität nach Art. 9 des Protokolls Nr. 7 von den nationalen parlamentarischen Immunitäten abhängt. Dem EP komme daher – auch nach spanischem nationalen Recht – keine Zuständigkeit zu, die Immunität der Kläger mit Bindungswirkung gegenüber nationalen Behörden zu verteidigen.

Das EuG stellte daher fest, dass der Beschluss des Parlaments eine Stellungahme ohne Bindungswirkung für die nationalen Gerichte darstellt. Daher könne der angefochtene Rechtsakt nicht mit einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV angefochten werden. Der vom Parlament erhobenen Einrede der Unzulässigkeit sei daher stattzugeben, so dass die Klage unzulässig sei.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in deutscher Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in englischer Sprache).