Der EuGH hat die Klagen auf Nichtigerklärung in vollem Umfang abgewiesen.
In seiner Entscheidung hat sich der EuGH zunächst mit der Frage befasst, ob Ungarn im Rahmen der Klagserhebung vertrauliche Dokumente des Juristischen Dienstes des Rates verwenden durften. Dies erfolgte nämlich ohne Zustimmung des Rates. Der EuGH hält fest, dass Ungarn grundsätzlich verpflichtet gewesen ist, die Vertraulichkeit zu wahren. Allerdings sei auch das Prinzip der Offenheit und Transparenz zu beachten, wie es die Art. 1 und 10 Abs. 3 EUV sowie weitere Bestimmungen des AEUV ausgestalten. Diese Prinzipien stellen eine wesentliche Grundlage der EU dar, da sie Legitimität und Vertrauen sichern würden. Das sei von besonderer Bedeutung, wenn es um die Erlassung neuer Rechtsvorschriften gehe. Nur so sei es den EU-Bürger:innen möglich, zu verstehen, welchen Inhalt und welche Auswirkungen die Regelung habe. Daher bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung und Nutzung des Gutachtens.
Im Hinblick auf die Rechtsgrundlage der bekämpften Verordnung stellte der EuGH fest, dass das in der Verordnung vorgesehene Verfahren nur unter besonderen Bedingungen eingeleitet werden kann. Es müssten zum einen hinreichende Gründe für die Feststellung vorliegen, dass in einem Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen werde. Zum anderen müssten diese Verstöße die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Schließlich dürften sich die Maßnahmen, die getroffen werden, ausschließlich auf die Ausführung des Haushaltplans beziehen. Damit ergibt sich für den EuGH, dass das Ziel der Verordnung darin besteht, den Unionshaushalt vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich hinreichend unmittelbar aus Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ergeben. Die Verordnung habe nicht das Ziel, diese Verstöße als solche zu ahnden.
Der EuGH betonte, dass der Haushalt der Union eines der wichtigsten Instrumente sei, mit denen der Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten konkretisiert werden könne. Daher sei er besonders auf das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die verantwortungsvolle Verwendung der Haushaltsmittel angewiesen. Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtstaatlichkeit könnten die wirtschaftliche Führung des Haushalts und die finanziellen Interessen der EU jedoch schwer beeinträchtigen. Daher könne der „Konditionalitätsmechanismus“ der Verordnung unter die der EU durch die Verträge verliehene Zuständigkeit fallen, „Haushaltsvorschriften“ über die Ausführung des Haushaltsplanes der EU zu erlassen.
Aus diesen Gründen könne die Verordnung auch nicht als Umgehung der sogenannten Artikel-7-Verfahren verstanden werden, da dieses andere Ziele verfolge. Da Kommission und Rat im Sinne der Verordnung nur Umstände oder Verhaltensweisen prüfen können, die den Behörden eines Mitgliedstaats zurechenbar sind und für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union von Bedeutung erscheinen, werden auch nicht die Grenzen der Zuständigkeiten der Union überschritten.
Vgl. zu diesen Verfahren die Pressemitteilung und die Volltexte der Entscheidungen C-156/21 und C‑157/21 (in englischer Sprache).