Fachinfos - Judikaturauswertungen 06.10.2020

Fachärztliche Atteste können eine „genügende Entschuldigung“ sein

Fachärztliche Atteste können eine „genügende Entschuldigung“ im Sinn des § 36 VO-UA sein. BVwG 3.8.2020, W234 2233183-1/12E (6. Oktober 2020)

Sachverhalt

Eine Auskunftsperson wurde für den 5. Juni 2020 in den Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss, im Folgenden: UsA) geladen. Sie legte ein ärztliches Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin betreffend Zugehörigkeit zur COVID-19 Risikogruppe vor und teilte mit, dass sie der Ladung selbst unter risikominimierenden Bedingungen im Sinn der AUVA-Empfehlung für Risikogruppenangehörige nicht Folge leisten werde. Aufgrund ihres Nichterscheinens wurde die Auskunftsperson erneut – diesmal für den 15. Juli 2020 – geladen. Der Ladung wurde ein Begleitbrief des Vorsitzenden angeschlossen, der über die erhöhten Sicherheits- und Schutzmaßnahmen im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie in den Parlamentsgebäuden, insbesondere im Untersuchungsausschusslokal informierte. Die Auskunftsperson legte daraufhin ein weiteres ärztliches Attest, diesmal von einem Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, vor und wies darauf hin, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen könne. Weiters übermittelte sie schriftlich inhaltliche Ausführungen zum Untersuchungsgegenstand und erschien neuerlich nicht zur Befragung im UsA.

Der UsA beantrage daraufhin am 16. Juli 2020 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Verhängung einer Beugestrafe. Begründend führte er aus, es sei nicht ersichtlich, inwieweit die Abwesenheit unvermeidlich oder durch einen beachtenswerten Grund ausgelöst gewesen sei. Es liege keine akute Erkrankung vor, die ein Nichterscheinen rechtfertigen könne. 

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Das BVwG hielt fest, dass die beiden Ladungen ordnungsgemäß erfolgt sind und dass der Antrag des UsA auf Verhängung der Beugestrafe den Anforderung des Verwaltungsgerichtshofs genüge. Dieser stelle keine intensiven Anforderungen an die Begründung des Antrags, der lediglich „eine (erste) Grundlage für die Entscheidung des BVwG“ liefern solle. Die Begründung des UsA erweise sich jedoch als nicht haltbar, da eine genügende Entschuldigung iSd § 36 Abs. 1 VO-UA vorliege.

Der UsA habe – entsprechend dem in der VO-UA vorgesehenen Schutz der Grund- und Persönlichkeitsrechte einschließlich des Schutzes der Gesundheit der Auskunftsperson –  die Modalitäten der Befragung mit Blick auf die Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe ausreichend angepasst. Darin könne somit keine genügende Entschuldigung des Ausbleibens der Auskunftsperson mehr liegen. Die Auskunftsperson habe aber eine weitere ärztliche Bestätigung eines Facharztes für Innere Medizin und Kardiologie vorgelegt, an dessen Qualifikation nicht zu zweifeln sei. Danach sei der Auskunftsperson aus medizinischer Sicht mit Blick auf konkret drohende Gesundheitsrisiken von einer Teilnahme an der Befragung im UsA dringend abzuraten. Dieses Attest begründe eine genügende Entschuldigung im Sinn des § 36 Abs. 1 VO-UA, zumal ansonsten keine medizinischen Beweisergebnisse vorgelegen seien. Der UsA habe die fachärztliche Einschätzung offenbar nicht geteilt, es aber dennoch unterlassen, zusätzliche medizinische Beweise zu ermitteln. Er trete der Argumentation nicht auf gleicher fachlicher, nämlich medizinischer Ebene entgegen.

Sollte der UsA den durch ihn erzielten Kreis der Beweismittel zum Gesundheitszustand der Auskunftsperson und zu den Modalitäten, unter welchen ihre Befragung aus medizinischer Sicht vertretbar sein könnte, erweitert sehen wollen, sei auf Folgendes hinzuweisen: Der UsA könne gemäß § 22 iVm §§ 47 ff VO-UA Beweis durch einen Sachverständigen erheben. Es sei durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens möglich und gestattet, weitere Beweise zum Gesundheitszustand und den möglichen Auswirkungen einer Einvernahme sowie den medizinisch vertretbaren Modalitäten einer Befragung zu ermitteln. Diese Befugnis des UsA zeige § 34 Abs. 1 VO‑UA deutlich, wo der Gesundheitszustand jedenfalls von einem Sachverständigen zu erheben sei, sofern die Auskunftsperson noch nicht über einschlägige medizinische Befunde verfüge. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens liege zudem auch im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes, zumal dieser die Befragung der Auskunftsperson einschließe und somit auch eine Prüfung des Fernbleibens von der Befragung erfasst sei.

Überdies komme die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand der Auskunftsperson im Verfahren beim BVwG nicht mehr in Betracht. Dieses habe ausschließlich anhand der vorgelegten Beweise über die Verhängung der beantragten Beugestrafe zu entscheiden. Es könne kein Gutachten anstelle des UsA nachholen, um einen Mangel an tragfähigen Beweisergebnissen für Behauptungen des Antrags möglicherweise zu beseitigen. Auch die kurze Entscheidungsfrist von 14 Tagen („Eilverfahren“) spreche gegen eine Ermittlungsbefugnis des BVwG. In diesem Zeitraum sei es nicht möglich, die rechtsstaatlichen Gebote der umfassenden Ermittlungstätigkeit, der Gewährung des rechtlichen Gehörs samt hinreichender Möglichkeit, Beweisergebnissen wirksam entgegen zu treten, einzuhalten. Der UsA habe hingegen ausreichend Zeit dazu zur Verfügung. Sollte sich der UsA eines Sachverständigen bedienen, habe die Auskunftsperson durch die Beistellung medizinischer Befunde oder Mitwirkung an einer körperlichen Untersuchung mitzuwirken.

Anhand des vorliegenden Ermittlungsergebnisses zum Gesundheitszustand der Auskunftsperson könne eine Beugestrafe nicht verhängt werden.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.

Eine in den Hauptargumentationspunkten gleich gelagerte Entscheidung des BVwG vom 3. August 2020, W249 2233184-1/24E, finden Sie hier.