Überblick
Traditionelle Ansätze zur Trennung des zugrunde liegenden Trends des Produktionspotenzials von der konjunkturellen Entwicklung stützen sich meist auf das Konzept der inflationsneutralen Produktion und sind daher nicht dafür geeignet, durch den Finanzzyklus verursachte Aufschwünge zu erkennen, die auf lange Sicht oft nicht nachhaltig erscheinen. In dieser Studie wird daher vorgeschlagen, das von Harvey (1989) und Harvey und Jaeger (1993) entwickelte Modell struktureller unbeobachteter Komponenten um Informationen zum Finanzzyklus, das heißt zur Entwicklung von privaten Krediten und Immobilienpreisen, zu erweitern, um die zyklischen Abweichungen vom Produktionspotenzial zu erklären. Auf diese Weise sind wir in der Lage, ein "finanzneutrales" Produktionspotenzial und eine entsprechende "finanzgestützte" Produktionslücke zu berechnen, die die Auswirkungen von Finanzvariablen berücksichtigen.
Dieses neue Konzept wird vergleichend auf vier hochentwickelte Volkswirtschaften (AT, IE, NL, US) und vier Volkswirtschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (BG, EE, PL, SK) angewandt. Die Ergebnisse zeigen einen beträchtlichen Einfluss des Finanzzyklus auf die Entwicklung des Konjunkturzyklus in den meisten der untersuchten Volkswirtschaften, sowohl in fortgeschrittenen als auch in aufstrebenden Volkswirtschaften. Bemerkenswerterweise weisen die finanzgestützten Produktionslücken eine wesentlich höhere Erklärungskraft für die Variation der beobachteten Arbeitslosenquoten in den entsprechenden Volkswirtschaften auf als Standardansätze (wie der HP-Filter). Mit anderen Worten: Die Ergebnisse sprechen klar für die Berücksichtigung des Finanzsektors bei der Konjunkturmessung.
Dominik Bernhofer, Octavio Fernández-Amador & Martin Gächter und Friedrich Sindermann (2014): Finance, Potential Output and the Business Cycle: Empirical Evidence from Selected Advanced and CESEE Economies, Focus on European Economic Integration, Q2/2014, S. 52‑75.