Der EGMR hob einleitend hervor, dass die Beschwerdeführer/innen Betreiber/innen von Online-Medienportalen waren, die zu einem großen Teil regierungskritische Artikel und Analysen veröffentlichten. Die Sperre ihrer Websites habe nicht nur in das Recht der Betreiber/innen auf Weitergabe von Informationen eingegriffen, sondern auch in das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu diesen Informationen. Dieser Eingriff sei nur gerechtfertigt gewesen, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruhte, mit Blick auf ein legitimes Ziel erfolgte und auch verhältnismäßig war.
In der Tat habe das russische Informationsgesetz die Möglichkeit vorgesehen, dass Websites auf Antrag der Staatsanwaltschaft gesperrt werden können, wenn ihr Inhalt zu Massenaufruhr oder zur Teilnahme an rechtswidrigen öffentlichen Veranstaltungen aufruft. Im konkreten Fall hätten die Staatsanwaltschaft und die Telekommunikationsregulierungsbehörde allerdings in unterschiedlicher Weise begründet, warum es zur Sperre der Websites kam. Die Telekommunikationsregulierungsbehörde habe in ihren Verständigungen über die Sperren zudem nicht die konkrete(n) Seite(n) der Website angeführt, die problematische Inhalte enthielt(en), sondern pauschal jeweils nur die gesamte Domain der Websites angegeben. Dadurch sei es den Betreiber/inne/n letztlich nicht möglich gewesen, die problematischen Inhalte zu entfernen. Dieses Vorgehen von Seiten der russischen Behörden sei willkürlich gewesen und habe den Betreiber/inne/n überdies das Recht genommen, die Sperren gezielt zu bekämpfen. Auch die Argumentation, wonach die Websites über rechtswidrige öffentliche Veranstaltungen informiert hätten, war aus Sicht des EGMR zurückzuweisen: Im konkreten Fall sei es die journalistische Pflicht der Betreiber/innen der Websites gewesen, die Öffentlichkeit über diese Angelegenheiten von allgemeinem Interesse zu informieren, insbesondere auch deswegen, weil diese regierungskritischen Inhalts waren.
Der EGMR betonte in der Folge, dass die gänzliche Sperre von Websites eine extrem schwerwiegende Maßnahme ist, die mit dem Verbot der Publikation einer Zeitung oder dem Schließen eines Fernsehsenders vergleichbar ist. Bei der Umsetzung solcher Maßnahmen würde bewusst nicht zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Inhalten von Websites unterschieden, sodass auch rechtmäßige Inhalte im Ergebnis nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Das Sperren rechtswidriger Inhalte auf einer Website dürfe aber nie automatisch zur Sperre der gesamten Website führen, weil dies im Ergebnis einen willkürlichen Eingriff in die Rechte der Betreiber/innen der Website darstellen würde.
Das Vorbringen der Beschwerdeführer/innen, wonach die Sperre ihrer Websites in Wahrheit darauf abzielte, den Zugang zu oppositionellen Medien zu unterdrücken, rief dem EGMR zufolge tiefe Besorgnis hervor. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die Ansicht des UN-Menschenrechtsausschusses, wonach ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung, der darauf abzielt, Online-Medien oder Websites aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung oder des politischen Systems generell zu sperren, niemals gerechtfertigt sein könne. Im Ergebnis kam der EGMR daher zum Schluss, dass die gänzliche Sperre der Websites kein legitimes Ziel verfolgte.
Schließlich stellte der EGMR fest, dass die Betreiber/innen der Websites nach russischem Recht keine ausreichende Möglichkeit hatten, rechtlich gegen die willkürlichen Eingriffe in ihr Recht auf Verbreitung von Informationen vorzugehen. Gesetzlich sei nämlich nicht vorgesehen, dass die Betreiber/innen im Verfahren vor der Sperre ihrer Websites gehört werden müssen. Die zuständigen Behörden müssten auch nicht abschätzen, welche Auswirkungen eine Sperre haben würde, und sie müssten auch nicht rechtfertigen, warum sie eine Sperre mit sofortiger Wirkung verhängen, ohne dass die Betreiber/innen der Website dazu vorab Stellung beziehen können. Ebenso wenig müssten die russischen Behörden prüfen, ob ein konkreter Eingriff tatsächlich notwendig und verhältnismäßig ist, sodass sie im Ergebnis – wie im vorliegenden Fall – auch exzessive Sperren anordnen können.
Der EGMR kam daher zum Schluss, dass die Beschwerdeführer/innen durch die Sperre ihrer Websites und die fehlende Möglichkeit, die Sperre vor einem Gericht zu bekämpfen, in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK und in ihrem Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art. 13 iVm Art. 10 EMRK verletzt wurden.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (jeweils in englischer Sprache).