Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.07.2021

Ibiza-Untersuchungsausschuss: E-Mail-Postfächer

Bundeskanzler zur Vorlage bestimmter E-Mail-Postfächer an den Ibiza-Untersuchungsausschuss verpflichtet. VfGH 10.5.2021, UA 4/2021 (8. Juli 2021)

Sachverhalt

Mit Antrag gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG begehrten fünf Mitglieder (= mehr als ein Viertel) des Ibiza-Untersuchungsausschusses (UsA) beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Feststellung, dass der Bundeskanzler verpflichtet sei, die vollständigen E-Mail-Postfächer des Bundeskanzlers, der übrigen Regierungsmitglieder im Bundeskanzleramt (BKA) sowie näher bezeichneter Bediensteter des BKA aus dem Untersuchungszeitraum vorzulegen.

Vorangegangen waren mehrere Verlangen auf Vorlage näher bezeichneter Akten und Unterlagen sowie schließlich die Aufforderung gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA, der Vorlageverpflichtung binnen zwei Wochen nachzukommen. Der Bundeskanzler hatte dem UsA jeweils mitgeteilt, bereits alle abstrakt relevanten Akten und Unterlagen übermittelt zu haben.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofes

Der VfGH führte zunächst aus, dass keine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Frage besteht, welche Akten und Unterlagen der Bundeskanzler dem UsA bereits vorgelegt hat. Der Antrag beziehe sich lediglich auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Begründung für die teilweise oder gänzliche Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen; er sei somit zulässig.

In der Sache verwies der VfGH zunächst auf seine bisherige Judikatur, wonach das vorlagepflichtige Organ seiner Behauptungs- und Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht vorgelegten Akten und Unterlagen für den Untersuchungsgegenstand bereits gegenüber dem UsA und nicht erst im Verfahren vor dem VfGH diesem gegenüber nachzukommen hat. Das bewirke auch, dass das vorlagepflichtige Organ die Tätigkeit des UsA nicht dadurch verzögern könne, dass es Gründe für die Verweigerung der Vorlage auch nach einer bereits vom VfGH ausgesprochenen Vorlageverpflichtung (erstmals) gegenüber dem UsA vorbringt.

Da der Bundeskanzler lediglich seiner Behauptungs-, aber nicht auch seiner Begründungspflicht gegenüber dem UsA entsprochen habe, sei er verpflichtet, diesem sämtliche vom Viertel der Mitglieder des UsA begehrten Akten und Unterlagen vorzulegen. Ein Nachschieben von Begründungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren sei weder für den UsA bzw. das Viertel seiner Mitglieder noch für das vorlagepflichtige Organ möglich. Habe der VfGH die Verpflichtung zur Vorlage einmal ausgesprochen, könnten Verweigerungsgründe – nach Ablauf der Frist gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA – auch dem UsA gegenüber nicht mehr vorgebracht werden. Einzig eine Berufung auf Art. 53 Abs. 4 VO-UA könne dann ausnahmsweise im Einzelfall noch einmal zulässig sein (vgl. bereits die Auswertung zu VfGH 10.5.2021, UA 3/2021).

Vor diesem Hintergrund sei auf das Vorbringen des Bundeskanzlers, das erst gegenüber dem VfGH erstattet wurde (u.a. dass bestimmte E-Mail-Postfächer bereits gelöscht worden seien), nicht weiter einzugehen. Ob und inwieweit der Bundeskanzler aus faktischen Gründen nicht in der Lage sein sollte, seiner Vorlageverpflichtung nachzukommen, ändere im Übrigen nichts an der grundlegenden Verpflichtung, auch diese Akten und Unterlagen vorzulegen. Die Frage, ob E-Mails unwiederherstellbar gelöscht sind, wäre im Rahmen einer allfälligen Exekution gemäß Art. 146 Abs. 2 B‑VG zu klären.

Es bedürfe bis zum Ende der (Nach-)Frist gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA eines wechselseitigen Kommunikationsprozesses über die Aktenvorlage. Lehne das vorlagepflichtige Organ die Vorlage von Akten und Unterlagen (teilweise) ab, so müssten die Mitglieder des UsA anhand dieser Kommunikation nachvollziehen können, welche Akten und Unterlagen aus welchen Gründen nicht vorgelegt werden. Es bedürfe daher einer Umschreibung des Akten- und Unterlagenbestandes und einer darauf bezogenen substantiierten Begründung. Die bloße Darlegung der Kriterien, nach denen die Suche erfolgt sei, genüge nicht, um der Begründungspflicht nachzukommen.

Der VfGH hielt weiters fest, dass der Bundeskanzler auch gegenüber dem VfGH zur vollständigen Vorlage der Bezug habenden Akten und Unterlagen verpflichtet gewesen ist (vgl. bereits die Auswertung zu UA 3/2021). Die dem VfGH letztlich vorgelegten 692 Rückmeldungen von Bediensteten des BKA auf die Aufforderung zur Suche nach abstrakt relevanten Akten und Unterlagen seien das Ergebnis des Suchprozesses innerhalb des BKA und würden bei weitem nicht dem Anspruch an eine umfassende Aktenvorlage entsprechen.

Da der Bundeskanzler somit seiner Begründungspflicht gegenüber dem UsA nicht hinreichend entsprochen habe, sei er verpflichtet, diesem die in Rede stehenden Akten und Unterlagen vorzulegen.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.