Fachinfos - Judikaturauswertungen 27.01.2021

„Ibiza-Video“ ist dem Untersuchungsausschuss unabgedeckt vorzulegen

Justizministerin ist ihrer Behauptungs- und Begründungspflicht gegenüber dem U-Ausschuss nicht nachgekommen. VfGH 2.12.2020, UA 3/2020 (27. Jänner 2021)

Sachverhalt

Der Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss, im Folgenden: UsA) wurde am 22. Jänner 2020 eingesetzt. Zunächst erklärte der Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrates (GO-A) das Verlangen auf Einsetzung des UsA für teilweise unzulässig und grenzte den Untersuchungsgegenstand ein.

Infolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom 3. März 2020 (UA 1/2020), mit dem festgestellt wurde, dass der Beschluss des GO-A über die teilweise Unzulässigkeit des Einsetzungsverlangens rechtswidrig war, fasste der GO-A einen ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschluss, mit dem die Mitglieder der Bundesregierung zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des uneingeschränkten Untersuchungsgegenstandes verpflichtet wurden.

Die Bundesministerin für Justiz legte dem UsA auf Grund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses und auf Grund des ergänzenden grundsätzlichen Beweisbeschlusses wiederholt Akten und Unterlagen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand vor. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien übermittelte das „Ibiza-Video“ samt Auswertungsberichten (Transkription) jedoch mit Abdeckungen (Schwärzungen) und nicht in der unabgedeckten (ungeschwärzten) Fassung, in der es die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) und die Staatsanwaltschaft Wien erhalten hatten.

Daraufhin forderte der UsA die Bundesministerin für Justiz gemäß § 27 Abs. 4 Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) erneut auf, binnen zwei Wochen ihrer Verpflichtung zur Vorlage des gesamten Audio- bzw. Videomaterials in Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre sowie der vollständigen Transkripte nachzukommen. Die Bundesministerin für Justiz begründete die Nichtvorlage insbesondere damit, dass diese mangels Relevanz für das Ermittlungsverfahren nicht zum Ermittlungsakt genommen werden durften, infolge Unzulässigkeit der weiteren Verwahrung nicht mehr vorliegen und folglich eine Vorlage an den UsA nicht möglich sei.

Nach Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist beantragte ein Viertel der Mitglieder des UsA beim VfGH die Feststellung, dass die Bundesministerin für Justiz verpflichtet ist, dem UsA das gesamte Ton- und Bildmaterial des „Ibiza-Videos“ und die dazugehörigen Transkripte unabgedeckt (ungeschwärzt) vorzulegen.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH gab dem Antrag statt und sprach aus, dass dem UsA das Ton- und Bildmaterial des „Ibiza-Videos“ und die dazugehörigen Transkripte im Umfang des Untersuchungsgegenstandes unabgedeckt (ungeschwärzt) vorzulegen sind. Die wesentlichen Aussagen des Erkenntnisses lauten wie folgt:

Vorlagepflicht besteht auch in Bezug auf Unterlagen, die nicht formal zum Ermittlungsakt gehören

Der VfGH stellte fest, dass die Bundesministerin für Justiz nicht nur Akten im formellen Sinn vorlegen muss, sondern auch verpflichtet ist, Unterlagen vorzulegen, die nach den einschlägigen Bestimmungen der StPO und nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht formal zum (Ermittlungs-)Akt genommen hätten werden dürfen oder worden sind. Allein der Umstand, dass die abgedeckten (geschwärzten) Passagen nicht formal zum Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft genommen worden sind, rechtfertige die Ablehnung der Vorlage dieser Unterlagen nicht.

Im konkreten Fall seien die Akten und Unterlagen auch nicht vernichtet oder zurückgegeben worden. Es komme auch nicht darauf an, ob das „Ibiza-Video“ und die dazugehörigen Transkripte physisch im Bundesministerium für Justiz vorhanden sind, hat doch die Bundesministerin für Justiz gemäß § 27 Abs. 2 VO-UA Akten und Unterlagen vorzulegen, die sich auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden beziehen; dies ungeachtet dessen, dass der grundsätzliche Beweisbeschluss und der ergänzende grundsätzliche Beweisbeschluss neben der Bundesministern für Justiz auch die Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit als zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes verpflichtet nannte.

Der Behauptungs- und Begründungspflicht gegenüber dem UsA wurde nicht nachgekommen

Ob für einen UsA angeforderte Akten oder Unterlagen vom Untersuchungsgegenstand umfasst sind, habe zunächst das vorlagepflichtige Organ zu beurteilen. Gegenüber dem UsA habe die Bundesministerin für Justiz nicht vorgebracht, dass die abgedeckten (geschwärzten) Passagen nicht vom Untersuchungsgegenstand umfasst seien. Die Bundesministerin für Justiz habe erstmals in ihrer Äußerung an den VfGH ausgeführt, dass eine auch nur abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand entweder auszuschließen oder jedenfalls nicht erkennbar ist. Das vorlagepflichtige Organ habe aber seiner Behauptungs- und Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der abgedeckten (geschwärzten) Passagen für den Untersuchungsgegenstand bereits gegenüber dem UsA und nicht erst im Verfahren vor dem VfGH nachzukommen, um zunächst dem UsA eine Überprüfung und allfällige Bestreitung der Argumentation im Sinne einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung zu ermöglichen.

Konsultationsverfahren nach § 58 VO-UA kann auch noch nach Feststellung der Vorlageverpflichtung durch den VfGH eingeleitet werden

Der VfGH sprach aus, dass die vom VfGH festgestellte Vorlageverpflichtung die Bundesministerin für Justiz nicht daran hindert, in weiterer Folge beim Vorsitzenden des UsA die Aufnahme eines Konsultationsverfahrens nach § 58 VO-UA zu verlangen, wenn sie dies für erforderlich erachten sollte. Etwaige Meinungsverschiedenheiten zwischen dem UsA und der Bundesministerin für Justiz im Zusammenhang mit einem Konsultationsverfahren könnten auch zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem VfGH nach Art. 138b Abs. 1 Z 6 B-VG gemacht werden.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.